Die Botschaft ist simpel: Bau dir deine eigene Nation. Ob Politiker, Künstler, Autoren oder Vereine, mit NationBuilder.com kann jeder Bürger seinen eigenen Staat kreieren, um im 21. Jahrhundert sein Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Kann das US-Kampagnentool auch in Deutschland Erfolg haben? Gemeinsam mit dem netzpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Malte Spitz hat sich politik-digital.de NationBuilder.com näher angeschaut.
NationBuilder.com ist ein neues Kampagnentool Schrägstrich Internetaktivismusplattform von Mark Zuckerbergs ehemaligem Mitbewohner Joe Green und dem Internetaktivisten und Filmemacher Jim Gilliam. Aufgebaut in etwa wie ein flexibles Content Management System (CMS) verbindet NationBuilder alle gängingen Social-Media- und Kampagnentools zu einem System, das die “Community” organisieren soll. Die Idee hinter NationBuilder: Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, sich eine eigene Internetkampagne zu stricken.
Die Revolution im US-Wahlkampf 2008
Der Startschuss für groß angelegte Internetkampagnen im politischen Bereich fiel 2008 mit der US-Präsidentschaftswahl. Barack Obama hatte damals, auch dank der Unterstützung von Tausenden Internetnutzern, die Wahl ums Weiße Haus für sich entschieden. Seitdem verlagert sich das Ringen um die Wählerstimmer weltweit immer mehr in die Online-Welt. Selbst Kommunalpolitiker benutzen neue Medien wie Facebook und Twitter, um einerseits ihre Anliegen schneller an die Bürger zu bringen und anderseits ihre Unterstützer zu organisieren. Es scheint einfach geworden zu sein, dem potentiellen Wähler persönliche Nachrichten direkt ins Wohnzimmer zu schicken und ihn ohne Umwege zu kontaktieren. Beispielsweise verschickt das Kampagnenteam um Obama seit 2008 E-Mails mit Betreffs wie “Meet me for dinner” oder “It’s me, Joe” mit den Absendern Barack Obama, Michelle Obama oder Joe Biden. Diese personalisierte Nachricht fordert die Bürger auf freundliche Weise zum Spenden auf, und das oftmals mit Erfolg. Abgesehen davon sind aber auch die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger größer geworden. Man kann nicht nur wie früher spenden oder Wahlveranstaltungen besuchen, sondern sich online einbringen und so Teil eines Wahlkampfteams werden.
Das ursprüngliche System, das den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf seinerzeit revolutionierte, wurde entwickelt von der Firma Blue State Digital. 2008 integrierte die Plattform MyObama.com alles, von Fundraising, über Online-Paritzipationsmöglichkeiten bis hin zu Social Networking. Für den diesjährigen Wahlkampf benutzt aber nicht nur Obama ein solches Tool, sondern auch sein republikanischer Widersacher Mitt Romney versucht mit einem Ableger von Salesforce.com, die Gunst der Wähler zu gewinnen. Allerdings sind beide Formate nicht nur extrem kostspielig, sondern auch sehr arbeitsintensiv.
Einfache Anwendung für jedermann
Laut Malte Spitz, dem netzpolitischen Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen, ist aus dem Innovationsschub, den man 2008 in den Kandidatenkampagnen erleben durfte, einiges mehr entstanden als nur eine neue Form, Wahlkampf zu führen. Spitz sieht durch die Neuen Medien die Möglichkeit einer “kleinen Revolution von unten, wo jede und jeder Kampagnen starten kann – effektiv und funktional, parteipolitisch gebunden und ungebunden, ob Einzelperson oder Organisation.”
Nationbuilder.com versucht nun genau dies zu beherzigen. Mit seinem “Community Organizing System (COS)” will das System die Kosten minimieren und so eine Internetkampagne à la Obama für den einfachen Bürger oder gemeinnützige Organisationen ermöglichen. Wie auf den Homepages von Blue State oder Salesforce kann man mit NationBuilder eine Online-Präsenz rund um einen Kandidaten oder Verein erstellen, das heißt eine maßgeschneiderte Webseite mit einer Personen-Datenbank und zahlreichen Koordinationsmöglichkeiten für Unterstützer. Außerdem ermöglicht das System die Interaktion mit Wählern und Anhängern, erstellt Social-Media-Petitionen und hat eine Spendenfunktion, die es sogar erlaubt, mit dem Mobiltelefon online zu spenden. Die Möglichkeiten scheinen fast grenzenlos, um den Nutzer in seiner Kreativität nicht zu beschränken und das Format zu individualisieren. Die Bedienung des CMS wirkt auf den ersten Blick einfach, ist dank der How-to-Videos auf der Homepage sehr übersichtlich und braucht daher auch keine teuren IT-Experten für die Umsetzung. Das Grundpaket, das bereits die meisten Features einschließt, gibt es bereits ab 20 Euro im Monat.
Insider der Branche für Kampagnen-Technologie vermuteten bereits, dass NationBuilder ein potentieller “game-changer” sein könnte, der die Kampagnenarbeit langfristig verändern wird. Das Debüt im Netz feierte NationBuilder zwar schon im April 2011, seitdem das Kampagnentool jedoch im März dieses Jahres durch die Unterstützung großer Investoren, wie dem Napster-Mitbegründer Sean Parker, eine Finanzspritze von 6,3 Millionen Dollar erhielt, ist es stetig weiterentwickelt und verbessert worden und wird von immer mehr “großen” Namen genutzt. So hat die Scottish National Party 2011 auch mit der Hilfe von NationBuilder als erste Partei überhaupt die absolute Mehrheit im schottischen Parlament erreicht. Auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich versuchte mit seiner Homepage NewtHampshire.com unter Zuhilfenahme von NationBuilder den Staat New Hampshire für sich zu gewinnen – übrigens ohne ausreichenden Erfolg. Ein weiterer prominenter Name, der im Wahlkampf 2008 aufgetaucht war, ist der von “Joe the Plumber”, eigentlich Simon Wurzelbacher. Wurzelbacher, angeblich ein Mann aus der bürgerlichen Mitte, versucht mit NationBuilder die Wahl für den US-Kongress im Bundesstaat Ohio
für sich zu entscheiden. Außerdem erwarten US-Medien für diese Woche, dass NationBuilder von den Republikanern als exklusiver Softwareprovider für das Republican State Leadership Committee ausgewählt wird.
NationBuilder für deutsche Politiker?
Die beiden Softwareentwickler Green und Gillam haben es mit dem NationBuilder auf beeindruckende Weise geschafft, Internetkampagnen für fast jeden zugänglich zu machen, so auch die Einschätzung von Malte Spitz. Allerdings sieht der Gewinner des Grimme Online-Awards es eher als temporäres Kampagnentool und weniger als primäres Wahlkampftool – “gut für alle, die ein Anliegen haben und dieses (temporär) online organisieren wollen“.
Und wie sehen die Chancen für Deutschland aus? Bislang spielten die sozialen Netzwerke in der Politik eine eher untergeordnete Rolle. Zwar benutzen immer mehr Politiker Facebook, Twitter und Co., aber die Koordination und Organisation von Unterstützern fand online hierzulande noch fast gar nicht statt. Während die Bereitschaft zur politischen Online-Partizipation bei den Amerikanern spätestens seit 2008 spürbar vorhanden ist, fehlt in der deutschen Onlinewelt, vorwiegend bei der jungen Generation, das Interesse an politischen Themen. Laut Spitz ist NationBuilder deshalb vor allem “für kleinere Organisationen spannend, die erste Online-Kampagnen starten wollen, die über eine Unterschriftenliste hinausgehen. Außerdem kann es für regionale Kampagnen und Bürgerinitiativen von Interesse sein.” Spitz, der das Tool für politik-digital.de getestet und seine eigene Nation aufgebaut hat, lobt die Anwendung vor allem für ihre Bedienungsfreundlichkeit: “Dafür ist die Übersichtlichkeit gegeben, viele Funktionalitäten sind automatisiert und nach einem halben Tag Einarbeitung ist man fit fürs Administrieren.”
Bedenken hat Malte Spitz hingegen beim Thema Datenschutz, denn der Facebook Like-Button als fester Bestandteil der Seite könnte ihmzufolge in Deutschland zu Debatten führen.
Man darf also gespannt sein, ob es in Zukunft einen deutschen Ableger von NationBuilder.com geben wird. Der eine oder andere Lokal- oder Kommunalpolitiker könnte vielleicht gut damit fahren, seine Online-Kampagnen mit NationBuilder zu organisieren.