300 Netzaktivisten demonstrierten am vergangenen Samstag in Düsseldorf auf der Straße

Es war eine neue Erfahrung für die Mitglieder und Sympathisanten des
Chaos Computer Club: Zum ersten Mal in seiner 20jährigen Geschichte hatte der CCC zu einer “richtigen” Demo aufgerufen – mit Transparenten und Plakaten, Kleinlastern, Straßensperrungen, Kundgebung und polizeilicher Begleitung. Anlass und Ziel war die
Düsseldorfer Bezirksregierung , die seit Ende letzten Jahres für Aufregung in der Netzgemeinde sorgt. Die Behörde möchte illegale Inhalte, die auf ausländischen Servern liegen, für deutsche Nutzer sperren lassen – per Filtersystem bei den Zugangsprovidern. “Opferschutz” nennen dies Regierungspräsident Jürgen Büssow und seine Mitarbeiter, “Zensur” ihre Gegner. Die hatten bereits mit einer
Online-Unterschriftensammlung, einer Strafanzeige unter anderem wegen Verletzung von Grundrechten und mit ausführlicher Diskussionsarbeit in Newsgroups, Mailinglisten und Foren Aufmerksamkeit erzeugt – vornehmlich allerdings in internet-affinen Kreisen. Mit der Demonstration am 6. April sollte das Thema nun einer breiteren Öffentlichkeit nähergebracht werden.

Ungewöhnliche Allianzen

Dabei schienen die Allianzen auf den ersten Blick ungewöhnlich: Den
Aufruf zur Demo, der eine Rücktrittsforderung an Büssow einschloss, unterzeichneten sowohl Vertreter von SPD und PDS als auch der als CSU-nah geltende Rechtsanwalt von
Gravenreuth, vor Ort hielt ein Vertreter der regionalen Antifa-Gruppe eine Rede, in der er sich vehement gegen die Düsseldorfer Aktionen “gegen Rechts” aussprach.

Die gemeinsame Position der Protestierenden, die im Motto der Demo “Wegfiltern ist Wegschauen” zum Ausdruck kam, scheint sich “Otto Normaluser” nicht auf Anhieb zu erschließen. Und so sehen sich die Netzaktivisten immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie träten für die unbeschränkte Meinungsfreiheit von Rassisten ein und machten sich an den Straftaten von Holocaust-Leugnern mitschuldig.

“Das ist Unsinn”, weist Alvar Freude von
ODEM.org diese Anschuldigungen zurück. “Es geht uns nicht um die Meinungsfreiheit von Nazis, sondern um die Informationsfreiheit aller Internetnutzer.”

Vorrangiges Ziel der Zensurgegner ist es darum auch, von der Fokussierung auf die beiden rechtsextremistischen Seiten wegzukommen, die sich die Düsseldorfer Behörde für ihre
Sperrverfügung ausgesucht hatte. Suchmaschinen, die auf illegale Angebote verlinken, seien im Text dieser Verfügung bereits erwähnt, warnt Freude und verweist auf Begehrlichkeiten seitens der Musik- und Softwareindustrie: “Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um Massenabmahnungen und Markenrechtsverletzungen bei Domainnamen sind bekannt – alles Fälle, in denen zukünftig Filtersysteme zum Einsatz kommen könnten.”

Büssow selbst bestätigte, dass es bei seinem Vorstoß nicht ausschließlich um rechtsextreme Angebote gehe, sondern um alle “unzulässigen” Inhalte. Der Regierungspräsident und sein Stellvertreter Jürgen Riesenbeck stellten sich nach dem Ende der Demo noch über eine Stunde lang der Diskussion – und nötigten damit ihren Gegnern einigen Respekt ab. Auch dass Riesenbeck zugab, dass die rechtliche Grundlage der Sperrverfügungen auf einem schmalen Grat fuße, überraschte. Die Bezirksregierung wünsche sogar einen Musterprozess, um ihr Vorgehen juristisch abzusichern. Weiter deuteten die beiden Medienwächter an, sie handelten in Abstimmung mit vorgesetzten Behörden. Diese äußern sich jedoch ebenso wie die Pendants der Düsseldorfer Bezirksregierung in anderen Bundesländern noch immer nur zurückhaltend zum Thema. Jürgen Büssow, da ist sich Freude mit vielen Beobachtern einig, lässt mit seinem Alleingang den Testballon für ein landesweites Filtersystem steigen, und “missbrauche” dafür die gesellschaftliche Ächtung des Rechtsextremismus. Die providerseitige Unterdrückung sei die einzige Möglichkeit, gegen illegale Inhalte vorzugehen, verteidigte die Behörde ihr Vorgehen am Samstag, und wiederholte, man habe als Medienaufsicht für Nordrhein-Westfalen die Pflicht, so zu handeln.

Doch keine ganz normale Demo

Die Veranstalter zeigten sich mit dem Verlauf der Demonstration sehr zufrieden. Zwar waren nicht soviele Teilnehmer erschienen wie man bei der Polizei angemeldet hatte, Ingo Schwitters vom CCC Köln wertet jedoch die Tatsache, dass man fast 300 Computerfreaks “vom Bildschrim weg auf die Straße” gelockt habe, als Ausdruck des ernsten Anliegens. Den Humor ließen die Aktivisten dennoch nicht vermissen: Als Jürgen Büssow die von ODEM.org gesammelten Unterschriften entgegennehmen wollte, wie er es bereits einen Tag im Voraus in einer
Presseerklärung angekündigt hatte, verwehrten ihm ein Vertreter des CCC den Papierstapel mit den Worten “Leider können wir nicht zulassen, dass sie sich mit diesen Demonstranten näher befassen.” Die ersatzweise angebotenen Mickey-Mouse-Hefte als Zeichen für die gefilterte “heile Welt” nahm Büssow nicht entgegen.

Erwartungsgemäß beschränkte sich der Club nicht auf die “Offline-Demo”, sondern verknüpfte sie mit Live-Berichterstattung im Netz. Auf die
Netzzensur-Seite stellten die Organisatoren laufend kurze Berichte, am Abend folgten mehrere hundert Fotos von Demo und Kundgebung. In der Materialsammlung findet sich auch die Rede des Bielefelder
Netzkünstlers padeluun, der die Thematik abstrahierte und die Befürchtung äußerte, alle Handlungen der Politik seien nur noch symbolischer Art. Demokratie werde durch “Demoskopie ersetzt”, warnte der Organisator der
Big Brother Awards in Deutschland, und das “frei nach dem Hausbesetzer-Motto der 80er Jahre: Legal? Illegal? Scheißegal.” Das Ergebnis werde nicht aussehen wie Nazi-Deutschland, sondern eine “Big-Warner-Brother-World” sein.

Demonstration war nicht der letzte Schritt

Um diese zu verhindern, sind weitere Aktionen geplant. Die Unterschriftensammlung von ODEM.org, die bislang fast 8.000 Unterstützer gefunden hat, soll noch bis zum Sommer weiterlaufen und auch der CCC sieht die Demonstration nur als einen von vielen Schritten. Bereits auf dem 18. Chaos Communication Congress im Dezember 2001 hatte man die Idee einer “Cyber Rights Union” auf europäischer Ebene entworfen. Zunächst aber denken die Aktivisten über eine öffentliche Diskussion mit Vertretern aller Seiten nach – ein Vorschlag, den auch Regierungspräsident Büssow machte. Dabei ist noch offen, ob die Debatte im Netz stattfinden soll oder ob die Zensurgegner erneut den Weg ins “Real Life” gehen.

Erschienen am 11.04.2002