Algorithmen und KI-Anwendungen sind im medizinischen Bereich nicht mehr wegzudenken. Doch wie ist es um Dr. Algorithmus in der Praxis wirklich bestellt? Darüber diskutierten vier Experten auf dem Panel der Generali // Open minded Veranstaltung am 15. Mai in Berlin.

Einsatz von Algorithmen und KI im Gesundheitsbereich: What’s new?

Um einen Einstieg in das komplexe Thema des Abends zu finden, fragte die Moderatorin Dr. Andrea Timmesfeld (Head of Public Affairs & Community Engagement der Generali Deutschland AG) ihre Panelisten, was sich durch den Einsatz von KI im Monitoring von Krankheiten getan habe. Prof. Dr. Bert Arnrich (Professor für Digital Health – Connected Healthcare am Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam) konstatiert: „Neu ist, dass viele der Technologien und Sensoren jetzt in Alltagsgegenstände eingebaut sind. Sie sind so klein, dass wir sie nicht bemerken.“ EKGs in Apple Watches und Smartphones, die gesundheitsrelevante Daten messen, seien nur zwei Beispiele für diese Entwicklung. Prof. Dr. med. Jörg Debatin (Chairman Health Innovation Hub) findet, diese Features funktionierten „verdammt gut“. Wichtig sei aber, aus den gesammelten Daten das Relevante zu filtern. Ein Vorteil der Nutzung von Sensorik im Alltag sei, dass körperliche Veränderungen früher erkannt würden, so Debatin. Die Features arbeiteten sozusagen präventiv: „Man muss nicht mehr auf die Krise warten, bis der Patient zum Arzt geht.“ Wenn man beispielsweise eine offene Wunde ständig mittels einer App dokumentiert und Bilder an einen Dermatologen übersenden lässt, könne bei Infektionen schneller eingegriffen werden. Zudem bestünde dann kein Laboreffekt, der möglicherweise die Ergebnisse verfälscht.

„Ich werde bei Ihrer Untersuchung Künstliche Intelligenz verwenden“

Ist das ein Satz, den Patienten eigentlich öfter hören müssten? Ist die Ärzteschaft stets in der Verpflichtung ihre Patienten über den Einsatz von Algorithmen und KI-Anwendungen aufzuklären? Dr. Frank Niggemeier (Leiter des Referats Ethik im Gesundheitswesen im Bundesministerium für Gesundheit) findet, nur wenn die KI-Methode Teil des akzeptierten Behandlungsverfahrens ist, müsse keine gesonderte Aufklärung erfolgen. Und was, wenn KI genutzt wird, um Empfehlungen für die weitere Behandlung des Patienten zu geben? Niggemeier ist sich sicher: „Eine optimale Behandlung erfolgt dann, wenn der Patient beide Meinungen hört, die der KI und des Arztes. Wenn es zwischen ihnen Ambivalenzen gibt, muss ein mündiger Patient selbst entscheiden was er möchte“, denn wie Ingeborg Bachmann schon sagte: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Grundsätzlich, so Niggemeier, sollten Patienten solange über die Nutzung von KI im Gesundheitsbereich aufgeklärt werden, bis sie sich vollends etabliert habe. Schließlich würde man heute auch keinem Patienten mehr über die Benutzung eines Stethoskops unterrichten.

„Solange wir die Kernprobleme in der Gesundheit nicht angehen, werden wir die Möglichkeiten der KI nicht ausschöpfen“

Das findet zumindest Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (Direktor des Harding Zentrums für Risikokompetenz). Studien hätten gezeigt, dass ¾ der Ärzte in Deutschland Gesundheitsstatistiken und Kernbegriffe nicht verstehen würden. Dies läge vor allem an der schlechten Ausbildung der Medizinstudierenden. Big Data könne nur da Probleme lösen, wo alles stabil sei: „Einen Hautkrebs kann KI erkennen. Wenn es aber volatil wird, da hilft Big Data wenig. Da sind einfache Methoden besser. Digitalisierung hilft eben nicht, wenn sie nicht verstanden wird.“ Debatin bricht an dieser Stelle eine Lanze für die Mediziner. Durch NC-Verfahren selektiert, seien die meisten von ihnen ziemlich kompetent. Wichtiger findet er, dass sie sich der Grenzen der KI bewusst würden.

Digitalisierung und Gesundheit: Verlierer Deutschland

Laut einer Bertelsmann Studie von 2018 hinkt Deutschland im Bereich Digitalisierung und Gesundheit stark hinterher. Anrich sieht das Problem vor allem darin, dass es in Krankenhäusern und Praxen zu viele unterschiedliche digitale Systeme zum Sammeln von Patientendaten gibt, die untereinander nicht kompatibel seien. In Ländern wie China und USA sei dies anders. Niggemeier erwähnt in diesem Kontext die kulturgeschichtlichen Erfahrungen Deutschlands. Der (Daten-)Schutz des Individuums würde in Deutschland nicht umsonst groß geschrieben: „Vor 80 Jahren hätten die Daten, die wir heute haben, das Mordinstrument Staat was es damals gab, noch besser funktionieren lassen“.

Wie sieht also die Zukunft des Gesundheitswesens in Bezug auf KI-Anwendungen aus? Anrich findet, KI-Verfahren sollten genutzt werden, um Ärzten zu assistieren, nicht um sie zu ersetzen. Debatin stimmt zu und glaubt dennoch, dass der Einsatz von KI zu massiven Veränderungen im Gesundheitsbereich führen könne. Und auch Niggemeier denkt, dass es in 20-30 Jahren etwa das Berufsbild des Radiologen so nicht mehr geben wird.

In der Schlussrunde bittet Timmesfeld darum, dass sich ihre Diskutanten, in ein Zukunftsszenario reindenken: „Es ist 2030. KI wird in der Früherkennung von Krankheiten genutzt und kommt in 99 % der Fälle zum richtigen Ergebnis. Würden sie am Verfahren teilnehmen?“ Der Konsens lautet: „Ja.“ Lediglich Ginzerer ist und bleibt skeptisch.

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