Bei der Brexit-Entscheidung, Trumps Wahlsieg und den Midterms in den USA – Social-Media-Kommunikation spielt eine zentrale Rolle in politischen Kampagnen. Parteien sprechen gezielt eng ausgewählte, einzelne Gruppen an, ohne dass die Öffentlichkeit von den Inhalten erfährt. Sie nutzen dafür Microtargeting. Das iRights.Lab hat eine Studie zum Forschungsstand in Deutschland im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW vorgelegt. Diese Studie soll aufzeigen, welche Bedeutung Microtargeting derzeit hat und was daraus für die politische Kommunikation und Öffentlichkeit folgt.

Ein erstes Fazit lautet, dass zwar Onlinekommunikation und gezielte Wählergruppenansprache mittlerweile zum Standardrepertoire der Parteien im Wahlkampf gehören, die Forschung zu politischem Microtargeting in Deutschland und in Europa jedoch noch in den Kinderschuhen steckt. Viele Fragen können noch nicht geklärt werden. Zukünftig werden aber komplexere, automatisierte Auswertungsverfahren möglich sein.

Was ist Microtargeting?


Jan und Jens sind online sehr aktiv. Während Jan ein leidenschaftlicher Radfahrer ist und sich für mehr Fahrradwege und Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge einsetzt, pendelt Hobby-Rennfahrer Jens mit seinem Diesel-PKW täglich in die Stadt. Mit entsprechenden Daten könnte eine Partei nun Anzeigen bei Jan schalten, in denen sie sich für Fahrverbote und kostenlose Busse und Bahnen einsetzt, sich bei Jens hingegen in den Anzeigen als Partei darstellen, die bei einem Wahlsieg Fahrverbote aussetzen und die Kraftstoff-Steuer senken würde. Jan und Jens wüssten nicht, dass die Partei dem anderen völlig gegenteilige Versprechen macht. Dabei kann die Partei auch indirekt vorgehen: Aus Alter, Wohnort und der Einstellung zur Mobilität lassen sich auch Rückschlüsse ziehen, mit welchen Anzeigen z. B. zum Thema Ernährung die Partei bei Jan und Jens punkten kann.


Microtargeting ist ein datengetriebenes Verfahren der politischen Kommunikation, das auf Grundlage möglichst vieler Wählerinnen- und Wählerdaten durch statistische Verfahren ermöglicht festzulegen, wie genau welche Gruppe von Wählern angesprochen werden soll. Soziale Netzwerke und der Zugriff auf die dort generierten Daten bilden die Grundlage für personalisierte politische Kommunikation. Mögliche Wählerinnen und Wähler werden durch die so personalisierte Ansprache gezielt auf sozialen Netzwerken mit einer Botschaft angesprochen, die am ehesten bei ihnen verfängt. Oft werden Microtargeting und personalisierte politische Kommunikation austauschbar verwendet.

Insbesondere in den USA sind Wahlkämpfe sowohl bei Demokraten wie auch bei Republikanern stark datengestützt. Beide Lager setzen vor allem für ihren intensiven Haustürwahlkampf auf die daraus gewonnen Informationen. Wie meist schwappen die Trends der politischen Kommunikation und neue digitale Entwicklungen früher oder später nach Europa und damit Deutschland über. Grund genug, sich mit diesen Konzepten und deren Folgen auseinander zu setzen.

Im Vergleich zu den USA steht dieses Thema hier allerdings noch am Anfang. Die Auseinandersetzung erfolgt insbesondere mit Blick auf Wahlkämpfe und nicht die allgemeine Parteienkommunikation. Dies hat mehrere Gründe. So sind der Zugang zu den Daten sowie Datenschutzgesetze in Deutschland und Europa weit aus strenger geregelt als in den USA. Des Weiteren erschweren bis verweigern soziale Netzwerke wie beispielsweise Facebook den Zugang zu ihren Daten für Externe (Betriebsgeheimnis). Letztlich fehlt es auch an Transparenz: Auf Seiten der Politik wird die Nutzung solcher Verfahren und die Herkunft der Daten selten preisgegeben. Eine systematische Auseinandersetzung mit den personalisierten Anzeigen ist zudem erschwert dadurch, dass die Anzeigen jeweils nur für eine bestimme Zielgruppe der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke zugänglich ist.

Wo ist das Problem?

Die bisherigen Studien konzentrieren sich auf die Folgen datengestützter und personalisierter politischer Kommunikation für Privatsphäre und Datenschutz sowie für die Einhaltung demokratischer Prinzipien und die Entstehung einer informierten Öffentlichkeit.

Die Grenzen zwischen informativer politischer PR und persuasiver politischer Werbung verschwimmen zunehmend und es kommt zu einer Vermischung mit journalistischen Inhalten.

Während der Wahlkampfzeiten und für politische Werbung gelten in traditionellen Massenmedien klare Regeln. Social Media fehlen hier (noch) die Regeln.
Gleichzeitig bilden sich digitale Teilöffentlichkeiten, die selten ein Bild der Allgemeinheit abgeben. Der Interessenausgleich, wie im demokratischen Prozess vorgesehen, wird durch individuelle Wahlversprechen in sozialen Netzwerken hinterfragt. Durch die Bildung dieser Teilöffentlichkeiten entfällt außerdem die traditionelle Kontroll- und Prüfinstanz. Eine Rolle die die traditionellen Massenmedien als Gatekeeper eingenommen haben.

Inwieweit der Wählerwillen durch diese Art der politischen Kommunikation z.B. durch Externe beeinflussbar und auch manipulierbar ist, gilt es noch zu untersuchen.
Darüber hinaus wird befürchtet, dass durch die Nutzung von Microtargeting die Privatsphäre einzelner Nutzer zumindest teilweise ausgehebelt wird. Denn welcher Nutzer kennt schon all die Daten, die er generiert, wenn er sich im Web bewegt?

Wie wird Microtargeting genutzt?

Die Nutzung sozialer Netzwerke zur Wähleransprache und Mobilisierung der eigenen Anhänger ist mittlerweile fast Standard. In Frankreich hatte Präsident Emmanuel Macron in seinem Wahlkampf stark auf datenbasierten Wahlkampf gesetzt, u.a. auch die CDU setzt auf datengestützten Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Insbesondere seit dem Bundestagswahlkampf 2017 hat die Nutzung datengestützter Verfahren zugenommen, da sie ein kostengünstiges, effektives Mittel ist. Alle Parteien nahmen dafür mehr Geld in die Hand.

Der Erfolg einer solchen datengestützten Kampagne hängt dennoch von mehreren Faktoren außer dem dafür verfügbaren Budget ab, wie beispielsweise dem öffentlichen Zugang zu oder der Hinzukauf von Daten. Die Daten werden letztlich vor allem für die Zielgruppenansprache auf sozialen Netzwerken genutzt. In Deutschland war Facebook das zentrale Medium. Obwohl auch die mediale Berichterstattung zu diesem Phänomen zugenommen hat, gibt es wenig detailliertes Wissen über die Nutzung sowie die Wirkung datengestützter Verfahren auf unsere demokratischen Prozesse.

Wie geht es weiter?

Die Studie des iRights.lab beschränkt sich auf den Forschungsstand und die Ausgangslage in Deutschland. Mit dem anstehenden Europawahlkampf wird Microtargeting und personalisierte politische Kommunikation auch in anderen europäischen Ländern eine wichtige Rolle spielen, sagen doch Beobachter, dass sich alle fünf Jahre mit den Europawahlen eine Spielwiese für neue Entwicklungen ergibt. Derzeit zeigen sich auch einige Parteien bereit, durch eine Offenlegung ihrer personalisierten Posts auf einer für alle Menschen einsehbaren Plattform für mehr Transparenz zu sorgen. Dass sich dem auch die Parteien anschließen, die sehr kontroverse Anzeigen schalten, scheint jedoch wenig wahrscheinlich. Nach Datenskandalen und Vorwürfen der Manipulation durch Dritte reagieren auch Twitter und Facebook und führen erste Wahlwerbe-Archive ein, die dann zu neuen Forschungszwecken genutzt werden können.

Die Studie „Microtargeting in Deutschland und Europa“ steht hier zum Download.

Titelbild: Haustürwahlkampf von Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen via flickr CC-BY-SA 2.0