"Wie viele Geheimnisse verträgt die Politik in Zeiten von WikiLeaks & Co.?" Am gestrigen Mittwoch diskutierten der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier und die FAZ-Korrespondentin Christiane Hoffmann über den Wert von Geheimdiplomatie und die Rolle der Transparenz in politischen Prozessen.

Spätestens seit der Veröffentlichung geheimer Botschaftsdepeschen durch die Internetplattform WikiLeaks sind das Thema Transparenz und die Frage der Zugänglichkeit von Informationen in aller Munde. "Transparenz dürfe kein Selbstzweck sein", argumentieren kritische Beobachter. Andere sehen bereits eine Revolution der politischen Kommunikation heraufziehen. Müssen Staaten ihre Daten schützen? Welche Geheimnisse sind schützenswert? Welchen Einfluss haben veröffentlichte Geheimdokumente auf diplomatische Beziehungen? Darüber debattierten der ehemalige Außenminister und die FAZ-Korrespondentin im UdL Digital-Talk.

Hoffmann erkannte das Primat der Sicherheit und die Geheimdiplomatie zwar als legitime Gründe für die Geheimhaltung bestimmter Informationen an, forderte aber zugleich eine grundsätzliche Rechtfertigungspflicht für die Politik. Das Beispiel der abgebrochenen Friedensverhandlungen im Nahostkonflikt zeige, dass Geheimhaltung manchmal sehr wichtig sei, ergänzte Steinmeier. Der TV-Sender Al Jazeera hatte Anfang des Jahres Geheimdokumente zu den Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern veröffentlicht. Letztlich habe dies entscheidend zum Abbruch der Gespräche beigetragen. Auch die Veröffentlichungspraxis von WikiLeaks sieht Steinmeier durchaus kritisch. "Unter solchen Voraussetzungen kann ein Botschafter eigentlich nicht arbeiten", resümierte er. Insgesamt gehe es jedoch weniger um die Frage einer neuen Form der Öffentlichkeit, als um die individuelle Verantwortung für öffentlich getätigte Aussagen. Aufgrund der weitgehenden Anonymität im Netz gebe es bei zahlreichen Äußerungen einen demagogischen Trend. Daher frage er sich, was dagegen spreche, auch im Internet zu seinem Wort zu stehen.

Im Gegensatz zu Steinmeier schätzt Hoffmann den Einfluss von WikiLeaks geringer ein. Schließlich hätten die Veröffentlichungen lediglich einen Mitarbeiter der FDP den Job gekostet. Sie interessierte sich vielmehr für die Frage, ob sich das Verhalten der Politiker durch die zunehmende Tranparenz wandelt. Steinmeier gab zu bedenken, dass geschützte Räume, in denen über Handlungen und Aussagen nachgedacht werden könne, bei vollständiger Transparenz wegfallen würden. Dies würde die Qualität politischer Entscheidungen nicht unbedingt verbessern. Moderator Cherno Jobatey wollte wissen, ob die Bürger in Anbetracht dessen nicht mit bestimmten Geheimnissen wie dem kürzlich kontrovers diskutierten Panzerdeal der Bundesrepublik mit Saudi-Arabien leben müssten. Während Hoffmann die Ausreden der Bundesregierung nicht gelten lassen wollte, verwies Steinmeier auf die teilweise notwendige Geheimhaltung zur Vermeidung außenpolitischer Spannungen. Allerdings äußerte auch er in diesem Fall Unverständnis für die Politik der Bundesregierung. Auch wenn totale Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen nicht möglich sei, liege ihr Ausmaß heute nicht mehr in den Händen der Regierung. Letztlich müssten die Grenzen zwischen geheimen und öffentlichen Informationen neu verhandelt werden – denn Geheimnisse werde es auch in Zukunft geben. Vielleicht werde aber auch der dezeit hochgelobte Wert der Transparenz in den kommenden Jahren zur Dispostion gestellt und neu bewertet, so Steinmeier.

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und wird in den nächsten Tagen online gestellt.