Infratest dimap hat zusammen mit NFO Infratest das Pilotprojekt Online-Vorwahlerhebungen zur Bundestagswahl 2002 durchgeführt.

Ziel der Studie: Die möglichst genaue Messung der politischen Stimmung im Vorfeld der Bundestagswahl durch eine Online-Erhebung, die auf einer geschichteten Zufallsstichprobe von Online-Nutzern basiert. Die Schichtungsvorgaben orientieren sich dabei nicht an der Struktur der Online-Nutzer, sondern an der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung. Anhand dieser Studie soll geprüft werden, inwieweit mit Online-Befragungen heute schon harte, bevölkerungsrepräsentative Ergebnisse erzielt werden können.

Die Wahlforschung bietet für ein derartiges Experiment einzigartige Voraussetzungen um die Güte dieser Methode zu testen, da hier der zeitnahe Vergleich mit einem realen Ergebnis möglich ist, nämlich dem Wahlergebnis selbst.

Anlage der Studie: Um die Repräsentativität der Stichprobe zu gewährleisten, hat
Infratest dimap aus dem ca. 30.000 Teilnehmer umfassenden Online-Access-Panel von
NFO Infratest die Zielpersonen in einem aufwendigen Stichprobenverfahren ausgewählt.

Stichprobe: Bei dem Auswahlverfahren handelt es sich um eine nach Bundesländern, Alter, Geschlecht und Bildung geschichtete Zufallsstichprobe. Da Internetnutzer deutlich überdurchschnittlich gebildet sind und das Internet in den älteren Altersgruppen weit weniger genutzt wird als in den jüngeren, ist eine Berücksichtigung dieser Merkmale bei der Bildung einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe unbedingt notwendig, um strukturelle Verzerrungen zu vermeiden.

Die Altersgruppe über 60 Jahren ist jedoch trotz der Größe des Panels zahlenmäßig nur schwach vertreten, so dass aus forschungspragmatischen Gründen die Schichtungskriterien für diese Altersgruppe nicht angewendet und online-spezifische Verzerrungen (wie z.B. hohes Bildungsniveau) nicht ausgeglichen werden konnten.

Feldarbeit: Die auf diese Weise ausgewählten Zielpersonen wurden mit einer Einladungsmail aufgefordert, an der Web-Befragung teilzunehmen.

In dieser mail wurde ihnen das Passwort mitgeteilt, mit dem sich die Zielpersonen auf dem Webserver von NFO Infratest einloggen konnten.

Eine Woche nach Feldbeginn wurde eine Erinnerungsmail versandt, um die Panelteilnehmer, die bis dahin noch nicht teilgenommen hatten, an die Befragung zu erinnern. Insgesamt dauerte der Erhebung vom 29. August bis 9. September.

Während dieser Zeit haben sich 2.050 Panelteilnehmer an der Befragung beteiligt.

Nach dem selben Verfahren wurde eine erste Welle bereits im Mai durchgeführt, deren Ergebnisse zum Teil vergleichend in der Studie dargestellt werden.

Gewichtung: Um die strukturellen Abweichungen der realisierten Stichprobe wieder auszugleichen, wurde der Datensatz nach Feldende einer Gewichtung unterzogen und zwar nach den demographischen Variablen, die bereits für die Schichtung herangezogen wurden: Regionen, Alter, Geschlecht und Bildung. Dies hat zu einer Hochgewichtung insbesondere in der Altersgruppe der über 60jährigen geführt.

Zusätzlich zur Demographiegewichtung wurde die Sonntagsfrage einer Recallgewichtung unterzogen. Durch die Einbeziehung der Rückerinnerungsfrage sollen so längerfristige Parteipräferenzen berücksichtigt werden um dem Wahlergebnis so nahe wie möglich zu kommen.

Darstellung der Ergebnisse: Um die Ergebnisse besser einordnen zu können, haben wir die POB-Ergebnisse einer zeitgleich erhobenen Telefonerhebung gegenübergestellt. Beide Erhebungen geben das Meinungsbild in der Bevölkerung ca. 2-3 Wochen vor der Bundestagswahl wieder.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass die Online-Erhebung für “weichere” Indikatoren sehr ähnliche Ergebnisse erbringt wie bei den in der Wahlforschung üblichen Telefonerhebungen.

So wird die aktuelle wirtschaftliche Lage sowohl online als auch bei der Telefonerhebung ähnlich beurteilt (13 bzw. 21 Prozent). Nahezu deckungsgleich ist der Anteil der Befragten. die mit den Leistungen der Bundesregierung zufrieden sind (40 bzw. 41 Prozent).

Bei der Kanzlerpräferenz schneidet in der Online-Erhebung der Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber etwas schlechter ab (59 Prozent für Schröder, 29 Prozent für Stoiber) als in der Telefonerhebung (57:36 Prozent), in beiden Studien liegt er deutlich hinter dem Amtsinhaber Gerhard Schröder zurück.

In der Online-Erhebung ist der Anteil der Befragten, die sehr stark bzw. stark politisch interessiert sind, mit 42 Prozent etwas niedriger als in der Telefonerhebung (46 Prozent). Dafür zeigen sich 46 Prozent der Online-Befragten mittelmäßig an Politik interessiert, in der Telefonbefragung sind es lediglich 40 Prozent. Der Anteil politisch nur wenig interessierter Wahlberechtigter ist bei beiden Erhebungsmethoden etwa gleich groß (12:14 Prozent).

Die “härteren” Indikatoren, zu denen die Sonntags- und die Rückerinnerungsfrage gehören, sind hingegen durch die strukturellen Unterschiede zwischen Internetnutzen und Nicht-Nutzern deutlich verzerrt.

Daraus ergibt sich eine offensichtliche Überschätzung der SPD-Anteile, sowohl bei der Recall- als auch bei der Sonntagsfrage. Dieser Effekt ist auch bei anderen Erhebungsmethoden zu beobachten und muss durch verschiedene Indikatoren wieder ausgeglichen werden.

Bei der POB-Studie wurde ein einfacher Anpassungsschritt (Gewichtung der Daten mit der Recallfrage) vorgenommen, der zu einer erheblichen Annäherung der Online-Werte an die Telefonerhebung führt. Nach der Anpassung kommt die SPD bei der Online-Befragung auf 36 Prozent, die Union auf 35 Prozent.

Sonntagsfrage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?

Recallfrage: Und welche Partei haben Sie bei der Bundestagswahl im September 1998 gewählt?
Sonntagsfrage

(ungewichtet)
Recallfrage

(ungewichtet)
Sonntagsfrage

(recallgewichtet)
Zum Vergleich:

Sonntagsfrage Telefonerhebung

(vom 6.9.02)
SPD
43
55
36
38
CDU/CSU
29
25
35
39,5
Grüne
8
7
7
7,5
FDP
12
6
12
8,5
PDS
4
5
4
4
Sonstige
4
2
6
2,5

Im Vergleich zu den telefonisch erhobenen Daten stimmt damit zwar die Reihenfolge überein, die Werte für beide Volksparteien liegen aber in der Online-Erhebung deutlich niedriger.

Dafür schneidet dort die FDP mit einem Stimmenanteil von 12 Prozent (gegenüber 8,5 Prozent) deutlich besser ab. Die Grünen kämen in beiden Erhebungen auf rund 7 Prozent, die PDS auf 4 Prozent.

Die Schwäche der Union bei dieser Befragung ist offenbar in der Methode begründet: Traditionellerweise ist die CDU/CSU in der Altersgruppe ab 60 Jahren besonders stark. Dies ist hier zwar auch leicht überdurchschnittlich der Fall, insgesamt führt die Tatsache, dass über 60jährige Befragte in der Stichprobe unterrepräsentiert sind, aber offenbar auch zu einer Unterrepräsentation der Unions-Anhänger.

Eine Betrachtung dieser Altersgruppe nach psychographischen Merkmalen bleibt der weiteren Analyse vorbehalten.

Fazit: Die Ergebnisse der POB-Studie zeigen, dass mit repräsentativ für die Gesamtbevölkerung angelegten Online-Umfragen bei “weicheren” Indikatoren im Vergleich zu klassischen Erhebungsmethoden recht gute Resultate zu erzielen sind.

Bei “härteren” Indikatoren jedoch kommen die strukturellen Unterschiede zwischen Internetnutzerschaft und der Gesamtbevölkerung in Deutschland stärker zum Tragen und sorgen für eine deutlichere Abweichung zu den Ergebnissen aus herkömmlichen Befragungsmethoden.

Erschienen am 13.09.2002