Die Unternehmensberatung Accenture stellte auf einer Pressekonfrenz in Berlin am Mittwoch, den 29.05.2002 ihre Studien “eGovernment Leadership – Realizing the Vision” und die Studie “Visionen mit Pragmatismus – eGovernment in Deutschland 2002” vor. politik-digital sprach mit Holger Bill, Geschäftsführer bei Accenture und verantwortlich für den Bereich “Post & Public Services” in Deutschland, der Schweiz und Österreich.

politik-digital: Was sind die Ergebnisse der Studie im Unterschied zur vorjährigen Studie?

Holger Bill: Insgesamt haben alle Länder sowohl die Gesamtzahl der im Internet angebotenen Dienstleistungen erhöht, als auch bereits vorhandene Services weiterentwickelt – von der reinen Veröffentlichung zur interaktiven oder vollständigen Online-Abwicklung. Deutschland hat einen signifikanten Sprung nach vorn gemacht: von Platz 15 auf Platz 9.

politik-digital: Wie sind Sie vorgegangen?



Holger Bill:
Wir haben aus der Perspektive eines Bürgers oder Unternehmers auf den Webseiten nach Verwaltungsdienstleistungen gesucht. Der Entwicklungsgrad des eGovernment wurde anhand der Kriterien “Service Angebot” und “Customer Relationship Management” ermittelt. Die Ergebnisse der beiden Kategorien bildeten die Grundlage für die “Service Reife” der untersuchten Länder und Kommunen. Mit dem Kriterium Service-Angebot wird der Grad der Umsetzung der jeweiligen Online-Präsenz gemessen. Dabei wurden sowohl die Zahl der im Internet verfügbaren Dienstleistungen aus dem öffentlichen Verantwortungsbereich (Breite), als auch den Reifegrad des Serviceangebots (Tiefe) berücksichtigt. Das Kriterium Customer Relationship Management legt die Qualität und Intensität der Online-Bürgerbeziehungen fest. Wichtige Faktoren sind dabei ein zentraler Zugang, ein benutzerfreundliches Design, umfangreiche, maßgeschneiderte Informationen aus unterschiedlichsten Quellen sowie die Möglichkeit, eine Website zu personalisieren. Um die Rangfolge der 23 Länder beziehungsweise 17 Kommunen festzulegen, wurden die Ergebnisse aus den Kategorien Service-Angebot und Customer Relationship Management miteinander kombiniert. Berechnungsgrundlage für den jeweiligen Wert waren wie im Vorjahr zu 70 Prozent die Ergebnisse im Service-Angebot und zu 30 Prozent im Bereich Customer Relationship Management.

politik-digital: Was unterscheidet einen Spitzenreiter von einem Herausforderer?



Holger Bill:
Spitzenreiter erreichen eine Servicereife von über 50 Prozent, Herausforderer liegen zwischen 40 und 50 Prozent. Spitzenreiter bieten eine große Anzahl von ausgereiften Online-Dienstleistungen an und sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein starkes Gewicht auf Customer Relationship Management legen.

politik-digital: Wodurch hat Deutschland aufgeholt? Das Ende des “Amtsschimmels”?



Holger Bill:
Der Amtsschimmel wiehert sicher noch hier oder da. Insgesamt aber hat die öffentliche Verwaltung in Deutschland begonnen, sich zunehmend als moderner Dienstleister zu verstehen. Dass es da an einigen Stellen noch hapert, ist klar. Deutschland hat insbesondere durch die Initiative BundOnline 2005 diese enormen Fortschritte gemacht.

politik-digital: Wie stark hat das Programm BundOnline2005 dazu beigetragen?

Holger Bill: Ohne diese Initiative wäre Deutschland mit Sicherheit auf einem Platz in den hinteren Reihen gelandet. Durch die Bündelung der Verantwortlichkeiten im Bundesinnenministerium ist einiges erreicht worden. Im Anschluss an unsere Ergebnisse 2001 hatte ich deutlich gemacht, dass ein Internetminister benannt müßte. Den gibt es zwar nicht, aber die Verantwortlichkeit für diesen Bereich wurde immerhin zentral gebündelt.

politik-digital: Was müsste in welchem Bereich noch gemacht werden, um in die Gruppe der Spitzenreiter vorzurücken?

Holger Bill: Insgesamt bleibt es zunächst einmal ein ehrgeiziges Ziel, die circa 400 Dienstleistungen des Bundes bis 2005 online zu stellen. Um in die Gruppe der Spitzenreiter aufzusteigen, sollte Deutschland sich stärker darauf konzentrieren, maßgeschneiderte Dienstleistungen anzubieten, – vor allem aber im Vorfeld der kostenintensiven Implementierung zu überprüfen, inwieweit diese Services überhaupt gewünscht sind.

politik-digital: Gibt es neue Entwicklungen in der Spitzengruppe, die als Vorbild für andere dienen können?

Holger Bill: Die Spitzenreiter kennzeichen sich durch eine intensive Zusammenarbeit mit anderen Behörden, Ministerien, privaten Institutionen und der Privatwirtschaft aus. Sie können so Synergien schaffen, die letztendlich der Effizienz, Kundenorientierung und einer Kostenreduzierung dienen.

politik-digital: Wie sehen Sie die Entwicklung der Kommunen im Bereich E-Government? Gibt es klare Trends?

Holger Bill: Der Großteil der von uns untersuchten Seiten hat durch einen Relaunch des Internet-Auftritts an Nutzerfreundlichkeit und Ästhetik gewonnen. Der intentionsbasierte Ansatz (Lebenslagenmodell) setzt sich mittlerweile fast überall durch, und in den Städten auf den ersten Rängen wird der Erfolg von Public Private Partnership-Initiativen immer deutlicher.

politik-digital: Was zeichnet einen Spitzenreiter im kommunalen Berich aus?

Holger Bill: Die Gewinner-Städte zeichnen sich in mehrerlei Hinsicht ausaus. Dazu gehört der bereits erwähnte, bürgerzentrierte und intentionsbasierter Ansatz (Lebenslagenmodell) sowie das Eingehen von Public Private Partnership-Modellen. Eine hohe Qualität des Angebots an Online-Dienstleistungen mit einer klaren Kundenorientierung ist Voraussetzung für einen Spitzenplatz, nicht zu vergessen Portal-Lösungen als zentrales Tor zum virtuellen Rathaus.

politik-digital: Was zeichnet die virtuelle Behörde von morgen aus im Unterschied zu früheren Annahmen?

Holger Bill: Man geht heute pragmatischer mit eGovernment um. Während früher eGovernment als Allheilmittel galt, mit der sich alle Herausforderungen zu meistern lassen schienen, ist es mittlerweile ein Lösungsansatz unter vielen. Insofern wird zukünfig nicht mehr alles wahllos online gestellt, sondern diejenigen Dienstleistungen ausgewählt, die erstens gewünscht und zweitens komplett online abgewickelt werden können.

politik-digital: Kennen die Behörden ihre Nutzer ausreichend?

Holger Bill: Nein, zu Beginn der eGovernment-Entwicklung wurde nahezu alles online gestellt, und was am einfachsten implementierbar war, kam als erstes dran – und zwar unabhängig davon, ob die Leute die Dienstleistung wollten oder nicht. Das hat natürlich Folgen für die Nutzungsintensität und Akzeptanz des Kanals Internet. Dessen ungeachtet werden Bürger nach wie vor nicht in ausreichendem Maße in die Diskussionen über Sinn und Unsinn bestimmter Angebote miteinbezogen.
Accenture befragt derzeit in Zusammenarbeit mit der Bayrischen Staatskanzlei, wo genau die Bedürfnisse von Bürgern, Unternehmen und Angestellten der öffentlichen Verwaltung liegen, um zu dieser Debatte beizutragen.

politik-digital: Unterscheiden die Kommunen ihre Angebote nach Nutzergruppen?

Holger Bill: Ja, in der Regel gibt es Angebote für Bürger, Touristen und Unternehmen. Manche Städte haben noch spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche, Frauen oder Migranten, um nur einige aufzuzählen.

politik-digital: Wenn ja, wie werden die Nutzergruppen gewichtet? Unternehmen vor den Bürgerinnen?

Holger Bill: Für Unternehmen wird insgesamt eine größere Zahl von Dienstleistungen bereit gestellt.

politik-digital: Wie können die finanzschwachen Kommunen besser an der Entwicklung teilhaben?

Holger Bill: Nur durch Kooperationen. Regionale Zusammenschlüsse können hier viel möglich machen.

Vielen Dank für ihre Antworten!

Erschienen am 30.05.2002