Live von der Klimakonferenz aus Kopenhagen stand Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, im tagesschau-Chat am 15.12.2009 Rede und Antwort. Die User von tagesschau.de und politik-digital.de interessierten sich dabei besonders für den Stand der Verhandlungen und die Rolle der Entwicklungsländer.

Moderator: Willkommen zum Chat mit dem Germanwatch-Chef Klaus Milke live von der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Klaus Milke beobachtet hier in der dänischen Hauptstadt kritisch die politischen Verhandlungen für ein neues Klimaabkommen. GermanwatFoto: Germanwatchch setzt sich für ein Abkommen ein, das einen nachhaltigen Ausgleich für die Folgen des Klimawandels zwischen reichen und armen Ländern beinhaltet. Dafür hält Milke mit seinen Mitarbeitern engen Kontakt zu den Regierungsdelegationen – vor allem zu der deutschen – um über aktuelle Entwicklungen bei den komplexen Verhandlungen der Klimakonferenz informiert zu sein und bei Bedarf beratend zur Seite zu stehen. Er ist in Kopenhagen als Umwelt- und Entwicklungsaktivist und nicht als Klimawissenschaftler. Wir bitten also um Verständnis, dass dieser Chat sich um die Gespräche in Kopenhagen und die Folgen des Klimawandels dreht und nicht um die Frage "ist der Klimawandel von Menschen verursacht". Und nun begrüßen wir Klaus Milke und gehen zur ersten Frage:

Alternativo: Sie sind ja hautnah am Gipfelgeschehen. Was ist Ihr Eindruck: haben die Teilnehmer den Ernst der Lage erkannt? Oder wird seitens der Regierungen nur taktiert?

Klaus Milke: Alle Teilnehmer, die hier in Kopenhagen sind, sind sich des Ernstes der Lage bewusst. Allerdings haben auch viele erkannt, dass sie von einem ambitioniertem Abkommen in Dänemarks Hauptstadt auch in ihren Interessen eingegrenzt werden. Das sind z.B. die OPEC-Staaten. Die Gegner eines Abkommens sind mehr und mehr in die Defensive geraten und versuchen trotzdem, Nebelkerzen zu werfen und den Prozess zu verlangsamen oder sogar gänzlich zu stoppen.

Mareike: Wie viel Einfluss haben Ihrer Meinung nach hartnäckige Gegner von Klimaverträgen, wie z.B. einige mächtige Herren aus den Emiraten oder Russland, die ökonomisches Wachstum ohne Rücksicht auf die Umwelt verteidigen.

Klaus Milke: Es geht hier nicht um einen reinen Umweltgipfel, sondern im Grunde um einen Weltwirtschafts- und Weltentwicklungsgipfel. Einige haben sich schon sehr viel Wohlstand durch das fossile Industriemodell geschaffen – andere wollen ähnlichen Wohlstand für die bisher arme Bevölkerung erreichen.

suomi: Ich vermisse Staatenlenker, die über das Ende ihrer Amtszeit hinaus denken. Wie kann man erreichen, dass diese Haltung sich ändert?

Klaus Milke: Wir müssen zu unserem Schrecken feststellen, dass viele Politiker nur sehr kurzfristig denken. Nämlich an die Zeit ihrer Legislaturperiode und nicht an die Lebensnotwendigkeiten für zukünftige Generationen.

Gast: Welche Nation/Staatengemeinschaft steht Ihrer Meinung an erster Stelle, die Gespräche in Kopenhagen zum Erfolg zu führen?

Klaus Milke: Wir sind fest davon überzeugt, dass auf der einen Seite die Europäer eine Vorreiterrolle spielen können und müssen. Dass aber auf der anderen Seite die ärmsten Entwicklungsländer und die kleinen Inselstaaten den notwendigen Druck erzeugen, damit die Mächtigen dieser Welt sich bewegen.

Hansi: Welches Druckmittel haben die Entwicklungsländer in den Verhandlungen?

Klaus Milke: Die Entwicklungsländer haben zwei Hebelmöglichkeiten hier, Einfluss zu üben. Zum einen stellen sie zahlenmäßig im UN-Prozess die Mehrzahl aller Länder, zum anderen können sie für sich den moralischen Druck in Anspruch nehmen, dass den Opfern des von den reichen Ländern verursachten Klimawandels unverzüglich geholfen wird.

Tamino: Wie agieren die Vertreter von Ländern wie Tuvalu oder den Atollen auf der Konferenz in Kopenhagen? Die sind klein, aber das Wasser steht ihnen buchstäblich bis zum Hals. Wie schaffen die es, von den Großen wie USA oder China gehört zu werden?

Klaus Milke: Die kleinen Inselstaaten spielen hier eine sehr konstruktive Rolle, auch durch symbolhafte Aktionen schon im Vorfeld von Kopenhagen. Und sie können am Allerdeutlichsten vermitteln, dass um ihre Existenz verhandelt werden muss.

Moderator: Können die kleinen Länder – wie etwa Tuvalu – die Verhandlungen ernsthaft blockieren oder gar zum Scheitern bringen?

Klaus Milke: Da es in Kopenhagen ein Ergebnis nur im Konsens geben kann, also alle Staaten zustimmen müssen, können auch die kleinen und die ärmsten Länder ein schlechtes Ergebnis oder eine reine Showveranstaltung am Schluss verhindern oder dies als Scheitern brandmarken.

Klimaschützer: Frau Merkel lehnt derzeit weitere Zugeständnisse Deutschlands und Europas ab: Andere Staaten sollen erstmal nachziehen. Die von Wissenschaftlern als notwendig angesehenen finanziellen Zusagen an die Entwicklungsländer gibt Merkel nicht. Wie schätzen Sie die Macht von Entwicklungsländern und Umweltschützern ein, die Bundeskanzlerin noch zum Umdenken bewegen zu können?

Klaus Milke: Deutschland hat in den Jahren der Klimaverhandlungen immer eine sehr konstruktive Rolle gespielt und wir erwarten, dass dies auch am Schluss dieser Woche so sein wird, aber auch andere im gleichen Zug anzuspornen, ebensolches zu tun.

Redondo: Hier in Deutschland wird ja gerade angesichts der Wirtschaftskrise über die Höhe der Zahlungen an Entwicklungsländer diskutiert – welche Rolle spielt Norbert Röttgen auf dem Gipfel?

Klaus Milke: Es hat sich inzwischen in Deutschland herumgesprochen, dass ein ambitioniertes Klimaabkommen in Kopenhagen für die deutsche Wirtschaft und für deutsche grüne Jobs von unmittelbarem Vorteil sein kann. Also sind auch Zahlungen seitens Deutschland für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel letztlich positiv, weil daraus wieder Aufträge für Deutschland erwachsen. Wir gehen davon aus dass Herr Röttgen diese Position teilt.

MbM: 2,4 Milliarden pro Jahr Transferzahlungen von der EU an Entwicklungsländer. Die G77 fordern dagegen 200 Milliarden. Ich gehe davon aus, dass Sie zustimmen, dass mehr getan werden müsste. Fraglich ist nur, woher das Geld stammen soll. In einem Nullsummenhaushalt bedeuten Mehrausgaben Kürzungen anderswo. Streicht man beim Arbeitslosengeld, gibt es Montagsdemos, bei der Bildung Studentendemos. Die Deutschen sind nicht bereit, mehr zu opfern. Sind also nicht wir, die verantwortlich sind für das "Nein", zu mehr verpflichtet?

Klaus Milke: Die Mittelaufbringung für das notwendige Geld an die Entwicklungsländer – vor allem die Ärmsten – ist eine der zentralen Fragestellungen hier in Kopenhagen. Insofern kann man nur mit innovativen Instrumenten, die unabhängig von den vorgegebenen Haushalten der Industrieländer erwirtschaftet werden, erfolgreich sein. Zwei Stichworte: Der globale Emissionshandel und Abgaben auf die Emissionen im Flugverkehr und im internationalen Schiffsverkehr können hier weiterhelfen.

Kurt: Wissen Sie etwas zum derzeitigen Stand der Dinge?

Klaus Milke: Heute am Dienstag der Schlusswoche werden die Fachberatungen zu einem vorläufigen Ende geführt, die in vielen Untergruppen verhandelt wurden und nun in zwei Protokollentwürfen zusammengeführt werden müssen. Die Fachminister werden in den zwei folgenden Tagen die offenen Fragen, die sie klären können, im Konsens beraten, um dann sehr einfache Entscheidungspakete zu schnüren, die von den Staatsoberhäuptern am Freitag entschieden werden können.

Merds: Sehr geehrter Herr Milke, glauben Sie, dass auf dem Klimagipfel in Kopenhagen konstruktive Ergebnisse herauskommen werden?

Klaus Milke: Wir versuchen seitens der internationalen Gemeinschaft der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen den Druck aufzubauen und den Sachverstand hier einzubringen, damit wir noch in diesem Jahr zu einem globalen Rahmen kommen für ein völkerrechtliches Abkommen. Wobei die Staatschefs hier verpflichtend die Eckpunkte festlegen müssen. Der Vertragstext im Detail muss innerhalb von sechs Monaten nach Kopenhagen schlussverhandelt werden.

bella i: Was passiert, wenn es nicht zu einem Konsensus kommt?

Klaus Milke: Ein Konsens muss gefunden werden. Die Staatschefs haben sich selber unter historischen Erfolgsdruck gesetzt und werden nicht ohne ein Erfolgsergebnis nach Hause fahren wollen. Es besteht die Gefahr, dass der Weltöffentlichkeit reine Sonntagsreden als Ergebnis verkauft werden und die faire völkerrechtliche Verbindlichkeit hier nicht verabredet wird. Dies werden wir als Nichtregierungsorganisationen sofort als Skandal öffentlich machen.

SP71: Viele Ökonomen sehen in einem globalen Emissionshandelssystem den wirksamsten Weg zum effektiven Erreichen definierter Klimaziele und kritisieren unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als nutzlos für den Klimaschutz. Halten Sie einen globalen Emissionshandel denn für eine politisch erreichbare Option?

Klaus Milke: Ein zentrales Element eines fürwahr sehr komplexen Vertragswerkes von Kopenhagen muss ein globales Emissionshandelssystem sein. CO2, das sonst einfach ohne Kosten in der Atmosphäre gelagert wird, muss einen hohen Preis bekommen. Dies können wir aber nur schaffen, wenn möglichst alle emittierenden Länder sich an so einem System beteiligen.

Weiterdenker: Ist Klimaschutz nicht mehr als die bloße Reduzierung des CO-2-Ausstoßes? Wie steht es um den Schutz (!) von Wäldern, um eine klimaverträgliche Nahrungsmittelproduktion angesichts der dramatischen Entwicklung der Weltbevölkerung? Wie lange hält uns unser Planet noch aus (Stichwort Tragfähigkeit der Erde).

Klaus Milke: Die Wissenschaftler sagen uns in aller Deutlichkeit, dass wir den Waldschutz, die Speicherungsmöglichkeit der Böden, aber auch den Bereich der Ernährung, der Nahrungsmittelproduktion mit in die Betrachtung und Verhandlungen einbeziehen müssen. Wir hoffen alle, dass in Kopenhagen gerade für den Waldschutz etwas Nachhaltbares herauskommt. Die Besorgnis ist, dass der Waldschutz auch als großes Schlupfloch genutzt wird, weil die Staaten jeweils selbstbestimmen wollen, mit welchen Reduktionsprozenten ihr individueller Waldschutz in die Zielediskussion miteinbezogen wird.

pearson: Wie stehen Sie dazu, dass Kritiker nicht zu Wort kommen oder abgewürgt werden. Ich habe das schon oft gesehen auch bei Veranstaltungen, bei denen ich war. Was halten Sie von den E-Mails, vom Einfluss der Sonne (Klimawandel auf anderen Planeten). Warum glauben Sie, erkennt man, wenn man sich die Klimagrafiken anguckt, dann doch ein Absenken der Wärmephasen? Man kann ne Menge Beispiele nennen, aber die werden im Mainstream nicht zugelassen. Wenn man was weiß, dann, dass man nichts weiß.

Klaus Milke: Der sogenannte Treibhauseffekt – der dazu führt, dass wir moderate Verhältnisse auf diesem Planeten haben und Leben und menschliche Tätigkeiten sich entwickeln konnten – hat sehr viel mit der Sonne zu tun und unterschiedliche Sonnenintensität hat immer zu Warm- und Kaltzeiten geführt. Der Mensch hat jedoch in 150 Jahren Industrialisierung dieses Treibhaus durch insbesondere CO2-Konzentration immer dichter gemacht und damit den menschverursachten Klimawandel vorangetrieben.

vektor: Mich würde interessieren, wie weit die Klimaskeptiker die Klimakonferenz beeinflussen oder beeinflusst haben und ob eine wirklich sachliche und gewinnbringende Diskussion überhaupt noch möglich ist?

Klaus Milke: Die Klimaskeptiker spielen in den dramatischen Verhandlungen hier in Kopenhagen nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Lediglich Saudi-Arabien hat zu Beginn versucht, das Thema aufzumachen. Doch kein anderes Land hat sich darauf bezogen.

feliz: Ein Klimagipfel kann ja politisch richtungsweisend wirken. Welche Chancen aber sehen Sie, das Verhalten der Menschen dauerhaft zu ändern? Hinkt die Wahrnehmung der Problematik in der Bevölkerung nicht deutlich hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen her?

Klaus Milke: Es ist ohne Frage – insbesondere wenn wir uns für demokratische Verhältnisse einsetzen – erforderlich, alle Menschen in einem Land mitzunehmen und zu überzeugen, dass Klimaschutz und Waldschutz und Schutz der Ressourcen dringend erforderlich ist. Und jeder einzelne und jede einzelne kann auch etwas dazu beitragen. Allerdings gibt es eine schiefe Ebene, gegen die Mann und Frau anlaufen muss. Diese schiefe Ebene muss von der Politik zu einer flachen Ebene umgestaltet werden.

Mattes: Die Menschen auf der Straße haben die Brisanz der Klimaveränderung erkannt und sind bereit, ihr Konsumverhalten zu ändern. Welche Möglichkeiten haben sie als Verbraucher hier möglichst effektiv zu handeln?

Klaus Milke: Die Verbraucherverbände und Verbraucherzentralen in Deutschland haben eine große Kampagne gestartet, um viele Möglichkeiten aufzuzeigen, wo mit dem Portemonnaie Klimaschutz betrieben werden kann, also durch tägliche Entscheidungen im Bereich Verkehr, Haushaltsgeräte und Wohnen.

Moderator: Sollten die Bundesregierung und die Länderregierungen umweltfreundliche Technologien noch stärker fördern bzw. belohnen?

Klaus Milke: Wir brauchen auf der einen Seite klare Begrenzungen, gegebenenfalls auch Verbote (in Deutschland steht ein Tempo-Limit immer noch aus). Zum anderen sollten aber weiterhin und noch stärker finanzielle Anreize für das Umsteuern in ein solares Zeitalter gegeben werden.

Merds: Sind auch diverse Großkonzerne auf der Versammlung vertreten, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind?

Klaus Milke: Die Wirtschaft und auch die ganz großen weltweit operierenden Unternehmen haben die Herausforderung des globalen Klimawandels inzwischen verstanden und entwickeln neue Geschäftsmodelle, die darauf ausgerichtet sind, dass wir im Jahre 2050 ein neues Wohlstands- und Wirtschaftsmodell auf der Basis vom 100-Prozent-erneuerbaren-Energien haben.

Moderator: Liebe Teilnehmer, der Terminplan von unserem Gast Klaus Milke ist sehr eng gestrickt. Deshalb sind wir leider schon fast am Ende und müssen nunmehr zum Ende kommen.

Romema: Wie kann sichergestellt werden, dass die in Kopenhagen gemachten Versprechen auch tatsächlich in den jeweiligen Ländern umgesetzt werden?

Klaus Milke: Genau das ist das, was auf dem Spiel steht. Wir brauchen ein völkerrechtlich verbindliches globales Abkommen, das fair ist und alle Teilnehmer miteinbezieht. Und damit brauchen wir auch Sanktionsmöglichkeiten gegenüber denen, die hier Versprechungen abgeben und die sie nachher nicht halten. Das hat uns Kyoto schon gelehrt.

Moderator: Nun zu unserer letzten Frage – unserer Abstimmung. 65 Prozent der Nutzer sind der Überzeugung, dass ein Klimaschutzabkommen Deutschland nützt. Was sagen Sie dazu?

Klaus Milke: Das Ergebnis der Umfrage macht deutlich, dass auch in Deutschland immer noch sehr viel Informations- und Bewusstseinsarbeit betrieben werden muss. Das aber im Vergleich zu vielen anderen Ländern in der Welt das Verständnis in der deutschen Bevölkerung schon sehr viel größer ist als dort. Dies ist wichtig, weil erst durch die Wahrnehmung der Chancen, die in einer Transformation aus dem fossilen Zeitalter in ein solares Zeitalter resultieren, wir die weltumspannende Dynamik gewinnen können, um auch wirklich bis zum Ende dieses Jahrhunderts nicht über zwei Grad Celsius Erderwärmung im globalen Durchschnitt gegenüber der vorindustriellen Zeit zu kommen.

Moderator: Sehr geehrter Herr Milke, wir danken Ihnen sehr, dass Sie einen Teil ihrer kostbaren Zeit aufwendeten, um diesen Chat zu machen. Wir sind leider am Ende unserer Zeit. Und wünschen Ihnen noch viel Erfolg bei den Verhandlungen hier in Kopenhagen. Einen herzlichen Dank hier aus Kopenhagen auch den Teilnehmern.