Am 3. Juli 2007 war der Energie-Experte Michael
Schlesinger vom Prognos-Insitut zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation
mit politik-digital.de. Für
den Energiegipfel der Bundesregierung am 3. Juli 2007 hat sein Institut
die Zukunft von Energiepolitik und Klimaschutz durchgerechnet –
inklusive Weiternutzung der Atomkraft.

Moderatorin:
Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Heute ist Michael Schlesinger
zu uns ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Er ist Direktor und Chefökonom
des Prognos-Institutes und hat für den heutigen Energiegipfel
der Bundesregierung Zukunftsszenarien entwickelt. Für Sie,
liebe User, eine gute Gelegenheit, Fragen rund um die Energie an
einen Experten zu richten. Herr Schlesinger, ich begrüße
Sie, können wir beginnen?

Michael Schlesinger: Können
wir.

Michael Schlesinger
Michael Schlesinger,
Direktor und Chefökonom des Prognos-Institutes


kohlenstoff: Es gibt ja wohl drei Szenarien in
ihrer Studie. Können Sie die mal beschreiben?

Michael Schlesinger: Also die
Szenarien beruhen zunächst mal – das sollte man vorweg sagen
– auf der Annahme, dass die Wirtschaft in Deutschland mit 1,7 Prozent
pro Jahr wächst, dass die Bevölkerung leicht zurückgeht
bis zum Jahr 2020 und dass die Zahl der privaten Haushalte noch
etwas ansteigt.
Dann war es eine ganz wichtige Vorgabe, dass sich die Energieproduktivität
– das ist eine Größe, die angibt, wie viel Bruttoinlandsprodukt
pro Energieeinheit man erwirtschaften kann – zwischen 1990 und 2020
verdoppelt. Das ist ein Ziel, das auch im Koalitionsvertrag (KV)
festgelegt ist. Und das bedeutet dann, dass sich zwischen 2005 und
2020 die Energieproduktivität jedes Jahr um drei Prozent steigern
muss.
Eine weitere Annahme ist, dass der Ölpreis bis 2015 zurückgeht
und dann wieder ansteigt. 2020 sind es dann so etwa 50 US-Dollar
pro Barrel. Das zweite Szenario hatte einen stärkeren Ausbau
der erneuerbaren Energie (EE) als Vorgabe und im dritten Szenario
ist die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert worden, also
anders als in der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Kraftwerkswirtschaft
vorgesehen.

Moderatorin: Gab es signifikante
Unterschiede in den Ergebnissen?

Michael Schlesinger: Zunächst mal geht in
allen Szenarien der Energieverbrauch zurück und die CO2-Emissionen
gehen zurück. Zwischen dem ersten Szenario (KV) und dem zweiten
(EE) sind die Unterschiede bei den CO2-Emissionen nicht allzu gravierend.
Zwischen 1990 und 2020 gehen die Treibhausgas-Emissionen im Szenario
KV um 39 Prozent zurück und im Szenario EE um 42 Prozent und
im Szenario mit den verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke
(KKW) ist der Rückgang 45 Prozent. Also sieht man schon Unterschiede
zwischen den Szenarien.

Bernd58: Welches Energiekonzept würden Sie
sich für Deutschland wünschen?

Michael Schlesinger: Also einmal brauchen wir
für Deutschland einen breiten Energiemix, das heißt,
wir brauchen sowohl Kohle, Gas und erneuerbare Energien. Bei der
Kernkraft muss man politisch entscheiden, ob die Risiken getragen
werden sollen. Und wir brauchen ein Energiekonzept, dass die Verbesserung
der Energieeffizienz zum Ziel setzt, weil sich damit gleich mehrere
Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen.

Holgi: Welche Argumente liefert ihre Studie den
Atomkraftbefürwortern (oder den Gegnern)?

Michael Schlesinger: Den Befürwortern liefern
sie Ergebnisse, dass die Energieemissionen weiter gesenkt werden
können und die Energieversorgung und die Stromversorgung insgesamt
billiger ist als in den anderen Szenarien. Den Gegnern der Kernenergie
liefert die Studie das Argument, dass man auch ohne Kernenergie
rund 40 Prozent CO2-Emissionsreduktion erreichen kann, allerdings
immer unter der Voraussetzung, dass die Energieproduktivität
um drei Prozent pro Jahr steigt, was nach meiner Einschätzung
sehr ambitioniert ist.

Dipl.-Phys. MH: Die fossilen Brennstoffe werden
in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen, gibt es
eigentlich wirkliche (nicht politische) Alternativen zum Atom?

Calvin: Ist es wirklich sinnvoll, deutsche AKWs
zu schließen und dann Strom eventuell aus Nachbarländern
einzukaufen, die schlechtere Sicherheit in den AKWs haben?

Michael Schlesinger: Man kann da sehr viele Argumente
abwägen. Letztlich kann man das aus wissenschaftlicher Sicht
nicht eindeutig belegen. Was man festhalten kann, ist, dass, wie
die Szenarien gezeigt haben, sich die Emissionen leichter reduzieren
lassen und dass man Strom kostengünstiger produzieren kann.
Nun sind mit der Kernkraft Risiken verbunden. Zum einen entstehen
Abfälle und zum anderen gibt es das Risiko im Betrieb. Und
letztlich müssen diese Risiken gegen Vorteile abgewogen werden.
Das kann im Grunde nur in einem gesellschaftlichen Prozess passieren.

thomasK: Haben Sie auch eine sinnvolle Lösung
für die Lagerung des Atommülls?

Michael Schlesinger: Ich habe da keine sinnvolle
Lösung. Man kann nur schwer absehen, ob es eine geben wird.
Es sind eben die beiden Risiken und das Lagerungsrisiko, das man
dabei bedenken muss.

Moderatorin: In der Studie werden Voraussetzungen
gemacht, zum Beispiel ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent jährlich
bis 2020. Mit Blick auf das schlechte Wachstum noch vor ein paar
Jahren ist das ganz schön viel. Wie belastbar sind die Aussagen
noch, wenn das Wirtschaftswachstum weniger stark ausfällt?

Michael Schlesinger: 1,7 Prozent sind gemessen
an der Vergangenheit wirklich viel, kann man sagen. Aber es ist
nicht ausgeschlossen, dass es so kommt. Man muss zwei Effekte sehen:
Wenn die Wirtschaft langsamer wächst, bedeutet das weniger
Energieverbrauch. Auf den zweiten Blick relativiert sich das ein
bisschen. Und zwar deshalb, weil bei schwachem Wirtschaftswachstum
weniger investiert wird und auch weniger Einkommen zur Verfügung
steht. Das bedeutet dann beispielsweise, dass in der Industrie neue
Anlagen nicht in Betrieb genommen werden, die Energie einsparen,
dass Gebäude nicht isoliert werden oder dass Sprit schluckende
Autos länger gefahren werden. Aber wenn man mal alles zusammen
nimmt, glaube ich, dann wäre bei weniger Wirtschaftswachstum
der Energieverbrauch niedriger. Auf jeden Fall, wenn man drei Prozent
als Vorgabe hat.

Grolle: Sie waren vermutlich beim Energiegipfel.
Wie war denn die Stimmung dort zwischen Industrie und Politik?

Michael Schlesinger: Ich will das nicht im Einzelnen
darlegen, aber ich fand die Stimmung konstruktiv. Ich hatte nach
der Presseberichterstattung im Vorfeld erwartet, dass dort mehr
Konfrontation entsteht.

MalleP: Bleibt das Klimaschutzziel beim Energiegipfel
wirklich ein frommer Wunsch?

Michael Schlesinger: Das Klimaschutzziel ist aus
meiner Sicht ganz wichtig, auch beim Gipfel. Es ist auch immer wieder
betont worden.

Truko: Kann die Bundesregierung an den Stromkonzernen
vorbei regulieren? Das sind doch Global Player!

Michael Schlesinger: Die Bundesregierung kann
natürlich im Rahmen ihrer Kompetenzen die Regeln für den
Strommarkt aufstellen. Da ist man ja auch dabei und die Regulierungsbehörde
geht ja jetzt mehr in die Richtung, die Preise im Strombereich nach
unten zu bringen und den Wettbewerb zu stärken. Insofern denke
ich, dass die Politik da eine wichtige Rolle spielt.

Moderatorin: Utz Claasen, Chef des Energiekonzerns
EnBW hält gar nichts vom Ziel, beim Energieverbrauch jährlich
drei Prozent effektiver zu werden. Das sei eine Illusion, meinte
er im „Bericht aus Berlin“. Woher kommt diese Skepsis
und der Widerstand der Energieerzeuger?

Michael Schlesinger: Diese drei Prozent sind einfach
ein sehr hohes Ziel. Wenn man mal in die Vergangenheit schaut, lag
dieser Wert eher so im Bereich ein bis zwei Prozent und um diese
drei Prozent zu erreichen, müssten in allen Bereichen (Haushalte,
Industrie, Fahrzeuge, …) sehr viele Maßnahmen ergriffen
werden, die zur Effizienzsteigerung beitragen. Das ist technisch
zwar möglich, aber es gibt doch zahlreiche Hemmnisse, die dem
entgegenstehen. Vielleicht dazu ein Beispiel: Wenn heute ein Hausbesitzer
sein Gebäude isoliert, also auf den neuesten Stand bringt,
dann kann er die daraus resultierenden Energieeinsparungen seinen
Mietern nur zum Teil weitergeben. Da besteht noch ein großes
Hemmnis. Das so genannte Vermieter-Mieter-Dilemma. Oft ist es auch
so, dass beispielsweise der Verbraucher gar nicht weiß, wo
er Energie einsparen kann. Und das es sich im Einzelfall auch rechnet.
Dass es billiger ist, ein teureres Gerät zu kaufen und nachher
weniger Energiekosten zu haben. Beispiel ist die Energiesparleuchte.

kkkk-lllll: Wie sehen Sie das Energieeinspar-Verhalten
der Bürger? Und bringt das überhaupt was im Vergleich
zu dem, was die Industrie sparen kann?

Michael Schlesinger: Bei den privaten Haushalten
wird ein Großteil der Energie für die Gebäudeheizung
gebraucht. Da kann man jede Menge einsparen. Das würde aber
bedeuten, dass, wenn Gebäude saniert werden, man dann auch
eine energetische Sanierung durchführen müsste. Also beispielsweise
die Außendämmung verbessern, das Dach vernünftig
dämmen, Kellerdecke und so weiter. Und dann idealerweise auch
noch eine Heizanlage einbauen, die der modernsten Technik entspricht
und auf das nur wenig Energie verbrauchende Gebäude abgestimmt
ist. Genauso könnte man dadurch sparen, dass man sparsame Waschmaschinen
kauft oder auch dadurch, dass man sich ein kleineres Auto anschafft.
Ich glaube, dass es im Bereich der privaten Haushalte ein ganz enormes
Einsparpotenzial gibt und ein Teil davon kann schon durch reine
Verhaltensänderung realisiert werden.

Moderatorin: Hier kommt mehr ein Kommentar als
eine Frage:

uranbob: Energiesparen ist ja eine feine Sache,
doch wächst der tägliche Stromverbrauch doch auch seit
den letzten Jahren.

Michael Schlesinger: Das stimmt. Ein Grund dafür
ist sicherlich, dass die Ausstattung mit Kommunikationsgeräten
zunimmt. Das führt zu einem höheren Verbrauch, selbst
wenn die Geräte an sich effizienter sind. Gerade weil das so
ist, müsste mehr darauf geachtet werden, dass man energiesparende
Geräte kauft und auch da gibt es ja Kampagnen der deutschen
Energieagentur, die auch dort Informationen für die Verbraucher
bereitstellt. Das tun im Übrigen auch Energieversorger und
in der EU wird an diesem Thema auch intensiv gearbeitet.

troll: Mit welchen Maßnahmen wird die Industrie
auf die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Regierung reagieren? Welche
Kosten sind zu erwarten?

Michael Schlesinger: Es gibt Branchen, zum Beispiel
die Stahlindustrie, da gibt es einfach physikalische Grenzen für
die Absenkung des Energieverbrauchs. Dann gibt es viele Unternehmen
und Branchen, in denen spielt die Energie als Kostenfaktor keine
so große Rolle. Und gerade dort gibt es sicherlich noch Potenzial,
das man ausschöpfen kann, um Energie einzusparen. Beispiele
dafür sind elektronisch geregelte Antriebe oder Pumpen, Benutzung
von Druckluft oder aber auch die Abwärmenutzung. Da gibt es
schon Potenziale, die letztlich nicht unbedingt mit Kostensteigerungen
verbunden sind. Aber die Frage ist für ein Unternehmen immer:
Soll es lieber in Markterweiterung investieren oder Energieeinsparung.
Und da steht die Energieeinsparung in Konkurrenz mit anderen und
vielleicht rentableren Investitionen.

klotzz: Die Wirtschaft sagt, der ganze Klimaschutzkram
bremst die wirtschaftliche Entwicklung. Sie sind ja Ökonom.
Ist das nachvollziehbar?

Michael Schlesinger: Auch da muss man ganz stark
differenzieren. Es gibt sicherlich Unternehmen, für die ist
der Klimaschutz mit Mehrkosten verbunden. Und das kann dann bei
diesen Unternehmen auch dazu führen, dass sie langsamer wachsen
oder die Produktion verlagern. Aber ebenso gibt es Unternehmen,
die Vorteile aus dem Klimaschutz haben. Denken Sie beispielsweise
an Hersteller von Dämmmaterial für Gebäude oder die
Hersteller von Windkraftanlagen oder Solarzellen. Ich denke insgesamt
führt Klimaschutz nicht zu langsamerem Wachstum – aber zu Umstrukturierungen
in der Wirtschaft. Und sie kann den Strukturwandel beschleunigen.

Helios: Wird es, falls Deutschland seine ambitionierten
Klimaschutzvorhaben in die Tat umsetzt, nicht zu einer massiven
Abwanderung einiger Industriezweige kommen?

Michael Schlesinger: Man muss schon sehen, dass,
wenn Deutschland sehr anspruchsvolle Klimaziele verfolgt, man sich
nicht zu weit von den anderen Ländern entfernen darf. Denn
wenn das der Fall wäre, wenn also Produktion nur verlagert
wird, ist dem Klima damit weltweit nicht geholfen. Deswegen ist
es wichtig, auf diesen Abstand zu achten und die anderen Länder
mitzuziehen. Das ist letztlich wieder eine Frage der Politik, wie
beispielsweise innerhalb der EU Klimaschutzziele verteilt werden.
Und ganz wichtig ist es, gerade auch die Entwicklungsländer
hier einzubinden, weil von dort die stärksten Steigerungsraten
bei den Emissionen zu erwarten sind.

loggoo: Wie sieht das eigentlich in anderen Ländern
aus? Werden da solche Diskussionen auch geführt? Haben Sie
dazu mal Studien gemacht?

Michael Schlesinger: Studien haben wir nicht gemacht,
aber man bekommt so einiges mit. Wenn man sich mal anschaut, wie
die Klimaschutzerfolge in anderen Ländern sind: Deutschland
und England sind auf dem Weg, die Ziele zu erreichen, bei den anderen
Ländern sieht es nicht so gut aus. Ich denke auch, dass die
Energieversorgung in vielen anderen Ländern weniger unter dem
Aspekt des Klimaschutzes gesehen wird, als mehr unter dem der Versorgungssicherheit.
Deswegen ist auch da eine Diskussion um die Steigerung der Energieproduktivität
ganz wichtig, weil die dazu beiträgt, auch die Abhängigkeit
zu verringern.

Moderatorin: Sie haben die EU schon erwähnt,
aber noch einmal konkret:

Falbala: Welche Rolle spielt eigentlich die EU
bei den Klimaschutzbestrebungen?

Michael Schlesinger: Die EU treibt ja den Klimaschutz
auch ganz klar mit voran. Sie hat sich jetzt auch sehr anspruchsvolle
Ziele gesetzt, sowohl was die Effizienz angeht, als auch was die
erneuerbaren Energien angeht. Dahinter steht letztlich Klimaschutz
und die Verringerung der Abhängigkeit. Insofern kommt der EU
eine wichtige Rolle beim Klimaschutz zu.

Dipl.-Phys. MH: Die Wirtschaft? Die Stromkonzerne
sind an einem Haartrockner mit fünf Watt genauso interessiert
wie die Mineralölkonzerne am Drei-Liter-Auto. Sie als Ökonom
wissen das sehr viel besser als ich. Aber wäre es nicht sinnvoll,
sich mal die drei Kurven anzusehen: Stromerzeugung: Kosten, Umweltbelastung
und mögliche Gefahren – rein mathematisch muss es für
die drei Kurven ein gemeinsames Minimum geben.

Michael Schlesinger: Natürlich ist es so,
dass Stromkonzerne Strom verkaufen wollen und Mineralölkonzerne
Öl. Aber ich glaube nicht, dass das einem wirksamen Klimaschutz
entgegen steht. Man braucht nur ein Zwischenglied, das ist dieses
so genannte Contracting. Dabei verkauft Ihnen der Stromkonzern zum
Beispiel nicht mehr den Strom, sondern dass ihr Gebäude beleuchtet
ist. Dann wird er im eigenen Interesse dort Energiesparleuchten
einsetzen, weil das im Zweifel günstiger ist, als den Strom
zu liefern. Letztlich verdient dann der Stromkonzern daran, dass
er die Dienstleistung „Licht" verkauft und nicht mehr
den Strom. In die Richtung müsste aus meiner Sicht noch viel
mehr gedacht und gemacht werden.

mule: Was halten Sie von dem Vorgehen der Japaner,
nachdem der Markt sich immer nach dem sparsamsten zur Verfügung
stehenden Elektrogerät richten muss?

Michael Schlesinger: Das ist ein sehr anspruchsvolles
Vorgehen. Mit dem man auch hier den Energieverbrauch stärker
absenken kann, als es zur Zeit mit den üblichen Maßnahmen
der Fall ist. Wir haben ja heute nur diese Kennzeichnung von Elektrogeräten
nach Effizienzklassen und der Verbraucher entscheidet sich dann
nicht immer für das effizienteste Gerät.

Moderatorin: Noch mehr Technik:

bigTom2000: Kann man auf lange Sicht auf Energie
aus Fusionsreaktoren hoffen oder ist die Forschung noch zu weit
am Anfang, um darüber genaueres sagen zu können? Und wie
umweltfreundlich und wirtschaftlich wäre diese Technologie
einzuschätzen?

Michael Schlesinger: Wir sind heute noch sehr
weit davon entfernt, dass das wirklich wirtschaftlich nutzbar wäre.
Innerhalb der nächsten 50 Jahre ist von dieser Seite sicherlich
kein Beitrag zur Energieversorgung zu erwarten, was danach kommt,
ist kaum einzuschätzen, aber ich bin da sehr skeptisch.

Moderatorin: Noch einmal zum Energiesparen im
Kleinen:

muftoni: Wie sehen Sie die Ökobilanz bezüglich
dem Kauf neuer, energiesparender Autos/Geräte gegenüber
dem „Aufbrauchen" existierender?

Michael Schlesinger: Es ist schon sinnvoll, ein
Auto, nachdem es zehn oder zwölf Jahre alt ist, auszutauschen.
Es muss ohnehin irgendwann technisch ausgetauscht werden. Dann sollte
man auf ein möglichst energieeffizientes umsteigen. Wann jetzt
unter Berücksichtigung der Emission und des Energieverbrauchs
bei der Produktion der Fahrzeuge der günstigste Zeitpunkt ist,
kann ich beim besten Willen nicht sagen.

Frutzlbub: Tragen nicht die Konzerne am meisten
zur Energieverschwendung bei, indem sie Produkte mit Verfallsdatum
produzieren (zum Beispiel Kühlschränke mit beabsichtigt
niedriger Lebensdauer) und so eine Wegwerfgesellschaft erzeugen?

Michael Schlesinger: Ich denke, es gibt ja schon
Produkte auf dem Markt, die deutlich länger halten als andere.
Diese Produkte haben meist auch einen höheren Preis. Und die
entscheidende Frage ist jetzt, ob der Verbraucher bereit ist, beim
Kauf eines Gerätes eben das teurere zu wählen, das dann
länger hält. Es ist ganz schwer zu sagen, ob nun eher
die Industrie oder der Verbraucher schuld ist. Denn letztlich stellt
die Industrie das her, was der Verbraucher nachfragt und wenn sich
der Verbraucher letztlich für das bessere Gerät entscheidet,
wird es langfristig auch bei der Industrie zu einem gewissen Umschwenken
führen. Das setzt immer voraus, dass der Verbraucher die Möglichkeit
und die Bereitschaft hat, mehr auszugeben.

Moderatorin: Zurück zu Ihrer Studie. „Sonntag"
will wissen:

sonntag: Sie haben die Szenarien für den
heutigen Gipfel entwickelt. Wer sind die Auftraggeber?

Michael Schlesinger: Auftraggeber war das Wirtschaftsministerium
und die Szenarien sind in einem größeren Kreis zwischen
Wirtschaftsministerium, Umweltministerium und Bundeskanzleramt abgestimmt
worden.

Eindringling: Halten Sie die Ergebnisse der IPCC-Berichte
für so gesichert, dass man sie als feste Grundlage der Energiepolitik
ansehen kann [Das IPCC ist eine zwischenstaatliche Sachverständigengruppe
über Klima-Änderungen, Anm. d. Red.] Es wurde ja massive
Kritik an der Arbeitsweise des IPCC laut.

Michael Schlesinger: Im IPCC-Bericht steht, dass
die Klimaveränderung unterwegs ist. Da gibt es dann Spannweiten,
die zeigen, wie das Klima sich verändern wird in Abhängigkeit
vom Treibhausgasausstoß. Ich bin jetzt nicht der Klimaexperte,
aber ich denke, dass vieles darauf hindeutet, dass an den Studien
etwas dran ist. Und dass man, wenn man Vorsorge betreibt, als verantwortungsvoller
Politiker auch auf diese Studien achten sollte und Klimaschutz als
eine wichtige Aufgabe begreift.

Mondragon: Herr Schlesinger, was wäre Ihre
erste Maßnahme in der Energiepolitik?

Michael Schlesinger: Für ganz wichtig halte
ich eine verbesserte Gebäudequalität. Als politische Maßnahme
steht dahinter meist eine bessere Information und wahrscheinlich
auch ein Förderprogramm, das mehr Investition in energiesparende
Gebäude auslöst. Aber ich glaube, jeder sollte sich auch
die Frage stellen, welches die erste Maßnahme für ihn
persönlich ist beim Energiesparen. Das fängt mit so einfachen
Dingen an wie das Licht ausschalten, wenn man den Raum verlässt,
Energiesparlampen zu benutzen oder bei kurzen Wegen statt des Autos
das Fahrrad zu benutzen.

Moderatorin: Hier kommen von „alma"
zwei Fragen auf einmal:

alma: Inwieweit können Sie mit Ihrem Wissen
Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger in der Energiepolitik
ausüben? Ich habe bei Umweltminister Gabriel das Gefühl,
Wahlversprechen seien die höhere Maßgabe. Warum hält
die SPD wider besseren Wissens am Ausstieg aus der Atomenergie fest?

Michael Schlesinger: Die Einflussmöglichkeit
auf die Politik ist begrenzt. Wobei ich schon denke, dass die Ergebnisse
von Studien und Gutachten von der Politik beachtet werden. Denn
diese Szenarien zeigen auf, wohin bestimmte Maßnahmen und
Handlungen führen. Und ich glaube, es ist für die Politik
auch wichtig, die Folgen des Handelns zu kennen. Was dann nicht
mehr zu beeinflussen ist, ist, welchen Stellenwert bestimmte Maßnahmen
im gesamten politischen Kontext bekommen.

sonntag: In der Diskussion und Ihren Szenarien
wird bei der Energieversorgung von monopolartigen Energiekonzernen
ausgegangen. Wäre es nicht auch sinnvoll darüber nachzudenken,
welchen Beitrag die lokalen Energieanbieter (Stadtwerke) leisten
könnten? So zum Beispiel durch Kraft-Wärme-Kopplung, BHKWS
[Blockheizkraftwerke, Amn. d. Red.] , Nahwärmenetze und so
weiter.

Michael Schlesinger: Wir haben ja in den Szenarien
schon angenommen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung eine deutlich
größere Bedeutung erhält als heute. So steigt der
Anteil des durch KWK-Anlagen hergestellten Stroms in den Szenarien
bis 2020 auf 23 Prozent, heute sind wir so bei zwölf bis12,5
Prozent. Insofern ist so ein Aspekt schon in gewisser Weise berücksichtigt.
Aber es wurde keine fundamental andere Versorgungsstruktur unterstellt,
als das heute der Fall ist.

werdas: Sind die Unterschiede zwischen den Szenarien
überhaupt relevant? Fünf Milliarden zwischen erneuerbaren
Energien und Kernkraftwerken sind doch gar nicht so viel?

Michael Schlesinger: Fünf Milliarden sind
erstmal fünf Milliarden. Im Hinblick auf die Haushalte ist
es nicht so viel (ca. 100 Euro pro Haushalt und Jahr). Wenn man
es ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt setzt, ist der Unterschied
nicht allzu gravierend.

hawi: Auf tagesschau.de wird gefragt, welcher
Energiemix am sinnvollsten ist? Was denken Sie?

Michael Schlesinger: Langfristig werden die erneuerbaren
Energien sicherlich eine größere Rolle spielen als heute,
das ist gar keine Frage. Wenn wir bis zum Jahr 2020 gucken, dann
wird der ganz überwiegende Teil des Energiebedarfs nach wie
vor durch fossile Energien gedeckt werden. Und bei denen ist wichtig,
dass man auch hier die Quellen diversifiziert, das heißt,
einen Mix aus Öl, Gas und Kohle hat. Das zum einen, um sich
gegen Preisrisiken abzusichern und zum anderen, um die Versorgungssicherheit
zu gewährleisten.

Moderatorin: Wir sind leider schon wieder am
Ende unserer Zeit angelangt. Herzlichen Dank unseren Usern, die
viele und interessante Fragen gestellt haben. Leider kamen nicht
alle zum Zug. Herr Schlesinger, möchten Sie noch ein Schlusswort
an die User richten?

Michael Schlesinger: Ich habe das schon kurz erwähnt:
Ich glaube, dass man nicht unbedingt auf die Politik warten muss,
um Energie zu sparen sondern jeder bei sich anfangen kann und sollte
und wir alle dazu beitragen, das Klima zu schützen.

Moderatorin: Das war unser tagesschau-Chat bei
tagesschau.de und politik-digital.de. Vielen Dank für Ihr Interesse
und vielen Dank an Herrn Schlesinger. Das Protokoll des Chats ist
in Kürze zum Nachlesen auf den Seiten von tagesschau.de und
politik-digital.de zu finden. Das tagesschau-Chat-Team wünscht
noch einen schönen Tag!