Prof. Alexander Siedschlag untersuchte in seiner Studie “Die Bewertung des Internets als Kanal und Verstärker deliberativer Demokratiekultur – Verlauf der politikwissenschaftlichen Theoriedebatte, sozialwissenschaftliche Modelle netzgestützter Kommunikation und Vergemeinschaftung sowie Konzepte politischer Online-Öffentlichkeit” das Internet als Kanal für Demokratiekultur.

Das Internet hat sich weder zu einem eigenen politischen Raum entwickelt, noch hat es zur Durchsetzung grundlegend neuer normative Maßstäbe für die Bewertung von Politik geführt. Es liefert jedoch neue Leitungen, über die sich die öffentliche Meinung ausdrücken kann. Das beinhaltet neue Chancen zur Kritik und Kontrolle politischer Herrschaft sowie zu ihrer Legitimation und Unterstützung. Gleichwohl ist das Internet nicht schon von Natur aus demokratisch. In der netzgestützten Kommunikation müssen die demokratischen Spielregeln immer von neuem durchgesetzt werden.

Deshalb gibt es auch keine modellübergreifende Bewertung der möglichen Rolle des Internets als Kanal und Verstärker deliberativer Demokratiekultur. Bestimmte Verände-rungen des politischen Handlungsrahmens durch netzgestützte Kommunikation sind dennoch festzustellen. So zum Beispiel besitzt das Internet auf kommunaler Ebene aktivierende Potenziale durchaus im Sinn einer Cyberdemocracy, die zur Entwicklung kollektiven Verantwortungsbewusstseins und neuen politischen Gemeinsinns führen können. Solche Entwicklungen müssen gleichwohl von staatlicher und zivilgesellschaft-licher Seite medienpädagogisch im Sinn der breiten Vermittlung von Civic Skills begleitet werden; denn politisches Wissen, dass die Handlungsfähigkeit des Einzelnen stärkt, entsteht erst, wenn dieser die Kompetenz besitzt, Informationen zu integrieren und mit politischem Geschehen zu verbinden.

Die Technik muss darüber hinaus sinnvoll in vorhandene soziale und kulturelle Kontex-te eingeordnet werden. Politische Internetnutzung verlangt deshalb nach Technikkompe-tenz, die ebenfalls vermittelt werden muss. Unter diesen Voraussetzungen können in der netzgestützten Kommunikation die Gestaltungs- und Interaktionsmöglichkeiten des Einzelnen in bestimmten Bereichen deutlich wachsen. Gleichwohl ist das Netz ist nicht dazu geeignet, Identität zu stiften, sondern pointiert vorhandene Identitäten.

Insofern können im Zuge netzgestützter Kommunikation auch Interessen inhaltlicher Art fokussiert, geschärft und im Sinn einer Pointierung verändert werden. In diesem spezifischen Sinn ist eine direkte Auswirkung des Internets auf das politische Agenda Setting anzunehmen. Darüber hinaus ist es möglich, dass das Internet die Grundlagen der medialen Öffentlichkeit und der Medienkultur verändert.

Prinzipiell kann sich Medienkultur dem State of the Art sozialwissenschaftlicher Kulturtheorie zufolge insbesondere auf den folgenden Wegen verändern:

  • Wandel der Schnittstelle zwischen Akteuren und Strukturen (z.B. infolge neuer Tätigkeitsprofile von Parlamenten als Informationsmittler zwischen Gesellschaft und politischem System).
  • Entstehen neuartiger Möglichkeiten von Gesellschaften, ihre Umwelt zu erfahren – zum Beispiel durch transnationale digitale Vernetzung. Dem sind jedoch durch Sprachbarrieren und die vor allem durch Suchmaschinen bedingte Pfadabhängigkeit der netzgestützten Kommunikation Grenzen gesetzt, die allzu optimistische Hoff-nungen auf online-kommunikativ vermittelte Integration ad absurdum führen.
  • Veränderungen im symbolisch vermittelten Wissensmanagement sozialer Gemein-schaften, die zu einer neuen Art der kollektiven Einstellung gegenüber der Realität führen.
  • Verstärkung von Ingroup-Outgroup-Differenzierungen insbesondere durch die im Internet gegebene Anonymität. Das bringt möglicherweise das Risiko einer konflikt-verschärfenden Radikalisierung einzelner Gruppen mit sich. Gerade das von der Theorie sozialer Praktiken thematisierte “Repressionspotenzial” des Internets durch den Anpassungszwang an vorhandene Strukturen verdient deshalb weitere Aufmerk-samkeit im Rahmen einer kulturorientierten empirischen Analyse.

In der Theoriediskussion wird in der Regel die Entstehung von (z.B. themenspezifi-schen) Teilöffentlichkeiten oder von einer fragmentierten Öffentlichkeit (z.B. Cyberpoli-tics außerhalb der “vermachteten” Politiksphäre) erwartet. Mit der Ausdifferenzierung von Teilöffentlichkeiten ist insbesondere im Rahmen einer E-Democracy zu rechnen, sofern diese zwar breite Informationsmöglichkeiten bereitstellt, aber dennoch Einkanal-Regierungs- oder Parlamentskommunikation gegenüber der Bürgerschaft betreibt und sich insbesondere nicht für die Verbesserung von deren Medienkompetenz engagiert. Aber auch im Kontext von lokalen Public Net-Works wie auch zwischen Deliberations-Clustern ist eine derartige Aufsplitterung des politischen Diskurses zu erwarten.

Kulturtheoretisch steht nämlich zu erwarten, dass Diskurse innerhalb von Kulturgemeinschaften selbstreferenziell statt deliberativ ablaufen und dass Diskurse zwischen Kulturgemeinschaften (oder Gemeinschaften mit unterschiedlichen Identitätskonzepten und Wertvorstellungen) unwahrscheinlich sind. Zudem lassen sich alltagsweltliche Normen und Rollen sich nicht leicht in die Netzwelt übertragen. Eine weltweit gültige Auffassung von Freiheit und Gleichheit wird sich im Netz aus beiden Gründen nicht entwickeln. Bereits deshalb ist es theoretisch fraglich, in welchem Ausmaß diese virtuellen Gemeinschaften reale politische Virulenz erreichen können. Umgekehrt müssen Online-Diskurse im Kontext existierender Machtstrukturen und (Sub-)Kulturräume etabliert werden, um inhaltlich hochwertig und politisch effektiv zu sein.

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