In den Posteingängen stapeln sich die Friedensmails, doch Sinn und Zweck der Mails liegen im Dunklen. Aber immerhin bekommt man Post von Freunden, die man schon verloren geglaubt hat. Eine Glosse.

Die erste Mail kam aus Spanien. Die Cousine eines Freundes war aktiv geworden und hatte an mich gedacht. Der Betreff lautete: „Fwd: Fwd: Fwd: contra la guerra“. Eine Mail gegen den Krieg, übersetzte ich mir, und schon drei Mal weitergeleitet. Tatsächlich, ohne große Umschweife ging der Text gleich ordentlich zur Sache. „Die Vereinigten Staaten sind gerade dabei einen Krieg zu diktieren. Wir befinden uns heutzutage in einem weltweiten Ungleichgewicht, was zu einem DRITTEN WELTKRIEG führen kann. Wenn Du Dich ebenfalls dagegen aussprichst, die UNO ist gerade dabei Unterschriften zu sammeln, um diesem tragischen Geschehen entgegenzuwirken.“

Nur noch 34 Weiterleitungen bis zum Schreibtisch von Kofi Annan

Das klang nach einer günstigen Gelegenheit. Gerade jetzt, wo ich mich gegen den Krieg und das weltweite Ungleichgewicht im Allgemeinen aussprechen wollte, war also die UNO dabei, Unterschriften zu sammeln. Und wer das Glück hatte, eine Liste mit über 500 Namen zu erhalten, durfte die gesammelten Unterzeichner gar nach Washington schicken. Genauer gesagt an unicwash@unicwash.org, einer offensichtlich extra dafür eingerichteten Mailadresse. Mein Name stand schon an Stelle 466, nur noch 34 Weiterleitungen, rechnete ich, und mein Name würde auf dem Schreibtisch von Kofi Annan landen. Ich zögerte nicht lange und leitete die Mail an meinen Verteiler weiter.

Schon am nächsten Tag befanden sich fünf weitere dieser Mails in meinem Posteingang. „Friede!“ hießen die einen, die anderen nannten sich „IRAK“. Gemeinsam hatten sie die erste Unterzeichnerin, eine Französin aus Grenoble, und meist ab dem 20. Listenplatz teilten sich die Namen und Kontinente. Die Mail war von Frankreich nach Spanien gewandert, von dort aus nach Chile geflogen und über Brasilien nach Marokko gelangt. Sogar eine Kriegsgegnerin aus Azerbajan hatte unterzeichnet. Ich war schwer beeindruckt vom Zusammenhalt der weltweiten Antikriegsbewegung.

Ganz nebenbei diente die Friedensmail auch der persönlichen Kontaktpflege. Ich wurde plötzlich von Leuten angeschrieben, die sich schon monatelang nicht mehr gemeldet hatten oder mit denen ich noch nie elektronischen Briefkontakt hatte. Die Französin aus Grenoble schien auf wundersamen Umwegen mit meinem weitesten Bekanntenkreis verbunden zu sein. Vom Vater einer alten Schulfreundin bekam ich eine Liste mit 498 Unterschriften. Bei einer anderen kam meine Unterschrift auf den Platz 547. Hier sollten aber 600 Personen unterschreiben und die fertige Liste an inquiries@un.org schicken.

Präventiver Mailschlag, neues Material für Chefinspektor Blix

Eine besonders kinderfreundliche Version versendete meine Cousine. „Wir wollen keinen Krieg!“ hieß die Mail, die alles von „USA“ (Vereinigte Staaten von Amerika) bis „Weiterleiten“ (an alle Freunde und Bekannte) erklärte. Auch variierte die Schwerpunktsetzung von Mail zu Mail durchaus. „Bitte KOPIERE diese Mail…“ betonte ein Text in Blockbuchstaben, einem anderen waren noch Äußerungen zur illegalen Einwanderung angefügt und in einem dritten Brief wurde darum gebeten, die Mail einfach weiterzuleiten, auch wenn man kein Interesse am Weltfrieden habe.

Natürlich leitete ich alle Mails eifrig weiter. Schließlich hatte ich mir inzwischen so meine Gedanken gemacht. Die Millionen von Listen, die die UN bekommen hatten, mussten ein Buch von unvorstellbarer Größe ergeben. Selbst bei einem zweispaltigen Format und einer Schriftgröße von acht Punkten würde der Mailbericht wahrscheinlich doppelt so viele Seiten umfassen wie Saddams Waffenbericht, rechnete ich aus. Für die Mehrheit der Weltbevölkerung überraschend würde Hans Blix vor dem Sicherheitsrat mit der Listensammlung auftrumpfen und in einer bewegenden Rede an die Weltnation auch Bush von der Unmöglichkeit eines Irak-Krieges überzeugen. Ganz im Sinne des Weltfriedens wären die UN der „International Security Strategy“ der USA mit einer innovativen „Internet Security Stategy“ begegnet und hätten der Doktrin vom Präventivschlag einen präventiven Mailschlag entgegen gehalten. Und die Welt würde wieder ins Gleichgewicht geraten.