In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Einsatz von Wahlcomputern 2009 für verfassungswidrig erklärt. Bedeutet dies, dass Volksabstimmungen per E-Voting auch in naher Zukunft ausgeschlossen sind? Prof. Dr. Peter Purgathofer von der Uni Wien bejaht dies, während sich Prof. Dr. Rüdiger Grimm von der Uni Koblenz-Landau die technische Realisierung solcher Online-Wahlen vorstellen kann.

Im digital sehr umfassend vernetzten Estland können die Wähler ihre Stimme bei den landesweiten Parlamentswahlen bereits seit 2007 auch per E-Voting abgeben. Hierzulande wird solch einer Praxis nicht nur mit größerer Skepsis begegnet, sondern auch mit verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die bei der Bundestagswahl im Jahre 2005 eingesetzten Wahlcomputer sowie die Bundeswahlgeräteverordnung zuletzt für verfassungswidrig, da nach dem damaligen Verfahren nicht sichergestellt werden konnte, dass eine abgegebene Stimme unverfälscht und nachvollziehbar erfasst wird. Es reiche nicht aus, dass die Bürger dem System lediglich vertrauen, sie müssten seine Funktionsfähigkeit auch überprüfen können (Stichwort: Richtigkeitskontrolle). Auch der Chaos Computer Club (CCC) zeigt sich ablehnend gegenüber dem E-Voting bei Volksabstimmungen.

Parlamentswahlen per E-Voting könnten eine ortsunabhängige Wahl ermöglichen: sei es für im Ausland lebende Deutsche, für körperlich eingeschränkte Menschen oder Bürger, die ihre Stimme lieber im eigenen Wohnzimmer statt in der Wahlkabine abgeben. Wenn die technische Zuverlässigkeit des Systems garantiert wäre, könnte die elektronische Stimmabgabe auch einer Wahlmanipulation und einer Fehlauszählung entgegenwirken. Der gesamte Wahlprozess wäre unbürokratischer, unkomplizierter und kostensparender. Doch vor allem auf technischer Ebene gibt es noch viele berechtigte Bedenken. Diese werden auch von unseren beiden Autoren geteilt, mit dem feinen Unterschied, dass Prof. Grimm äußerst optimistisch auf die Informatik setzt, während Prof. Purgathofer ein grundsätzliches Problem mit dem E-Voting bei Volksabstimmungen hat.

Pro-Standpunkt Prof. Dr. Rüdiger Grimm

Online-Wahlen – eine positive Perspektive

Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik und aufgrund unserer Anforderungen an die Sicherheit und Beherrschbarkeit müssen wir heute parlamentarische Online-Wahlen ausschließen. Das Internet ist zwar ein Alltagsmedium unserer Kommunikation geworden, von sozialen Netzen über Online-Einkauf bis hin zum Homebanking. Aber die Sicherheitsrisiken von Online-Wahlen sind insofern nicht zu beherrschen, als wir noch kein bequem handhabbares Instrument haben, mit dem alle Nutzer die korrekte Durchführung von Wahlen unabhängig vom Online-System und unabhängig von ihren Betreibern prüfen können. Denn die innere Funktionalität eines IT-Systems – und ist es noch so sicher implementiert – erscheint der breiten Laienöffentlichkeit undurchschaubar. Auf deren Kontrolle kommt es aber gerade an, wie das Bundesverfassungsgericht am 3. März 2009 festgestellt hat. Nun kann man auf diese Lage reagieren, indem man auf ewig die Finger von Online-Wahlen lässt. Man kann aber die Forderung des Bundesverfassungsgerichts zur zuverlässigen Überprüfung einer Wahl durch die Öffentlichkeit produktiv annehmen. Dieser zweite Weg stellt die folgenden beiden Aufgaben an die Informatik: erstens das so genannte TÜV-Modell, d.h. die Sicherheitsüberprüfung des Gesamtsystems durch Fachexperten vor seiner Nutzung; zweitens die öffentliche Kontrolle jederzeit während und nach der Wahl, wodurch auch nicht technisch versierte Nutzer die korrekte Durchführung der Wahlhandlung einschließlich der Stimmabgabe, der Speicherung der Stimmen in der Urne und der Auszählung feststellen können. Die Kontrollinstrumente müssen Alltagsinstrumente sein, die auch in anderen Anwendungen zuverlässig erprobt sind und die von unabhängigen Herstellern frei auf dem Markt angeboten werden, so wie der Kugelschreiber zum Ausfüllen papierner Stimmzettel ein erprobtes Alltagsgerät ist. Ich halte beide Aufgaben nicht nur für erfüllbar, sondern die Informatik ist auf diesem Wege bereits erheblich fortgeschritten, so dass sie guten Gewissens in Aussicht stellen kann, Online-Wahlsysteme zu entwerfen, die sicherer, durchschaubarer und besser in ihrer korrekten Ausführung kontrollierbar sind als herkömmliche Papier-und-Urne-Wahlen. Sie erhöhen das Prinzip der Allgemeinheit der Wahl sogar noch besser als die Briefwahl, da das Internet keine Orts- und Zeitbeschränkungen mehr kennt. Zu ihrer Ausführung wird uns das Alltagsinstrument Internet eines Tages so selbstverständlich sein wie heute der Umgang mit Papier und Kugelschreiber.

Contra-Standpunkt Prof. Dr. Peter Purgathofer

Schon 2009 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlcomputern für verfassungswidrig befunden. Auch das österreichische Verfassungsgericht hat in einem Urteil vom 13. Dezember 2011 dem Einsatz von Online-Votingsystemen eine klare Absage erteilt. Für mich gibt es viele Gründe, gegen Online-Voting aktiv zu sein. Das dem österreichischen Urteil zugrundeliegende Argument der Intransparenz solcher Systeme ist dabei ein wesentliches, ein ebenso gewichtiges Problem sehe ich jedoch ganz allgemein im Prinzip von Distanzwahlverfahren, mit dem die Verantwortung für die geheime und unbeeinflusste Stimmabgabe an den Wähler/die Wählerin abgetreten wird, ohne dass garantiert werden kann, dass diese/r die Verantwortung wahrnehmen kann (geschweige denn will). Wir müssen aber leider davon ausgehen, dass die geheime und unbeeinflusste Stimmabgabe zurzeit weder sozial noch technologisch sichergestellt werden kann. Das Abtreten dieser Verantwortung ist daher schlicht verantwortungslos – das haben Verfassungsrechtler auch schon wiederholt festgehalten. Ein wesentlich grundlegenderes Argument gegen die elektronische Stimmabgabe bei geheimen Wahlverfahren – also auch bei Volksabstimmungen – ist für mich jedoch die Unmöglichkeit, die Trennung von Stimme und Identität nachvollziehbar und verständlich zu machen. Das liegt nicht an den grundsätzlichen mathematisch-kryptographischen Verfahren, die das schon garantieren würden, es liegt in der Notwendigkeit, der Umsetzung dieser Verfahren vertrauen zu müssen. Ein kurzer Blick auf die Trennung von Identität und Wählerwille bei der Papierwahl zeigt uns ein ebenso einfaches wie elegantes Verfahren: Die Identität der Wählerin wird zuerst per Ausweis von einer Wahlkommission festgestellt. Dann tritt die Wählerin mit ihrem Stimmzettel in eine Wahlzelle, macht dort ihr »Kreuzerl« und steckt den Stimmzettel in ein anonymes Kuvert, das sie in weiterer Folge, wieder vor den Augen der Wahlkommission, in eine Wahlurne wirft. In diesem Moment werden Wählerwille und Identität nachvollziehbar und unwiderruflich getrennt (vorausgesetzt, die Zahl der Wähler/innen ist groß genug). Dieser Vorgang ist für jede Wählerin/jeden Wähler, jeden Beobachter/jede Beobachterin verständlich und nachvollziehbar. Wesentlich dabei ist, dass zu keinem Zeitpunkt in diesem Verfahren irgendwer (außer der Wählerin) sowohl Identität als auch Wählerwille gleichzeitig kennt. Genau das kann mit elektronischen Wahlsystemen niemals garantiert werden. Das System bzw. der Rechner, an dem wir unsere Stimme abgeben, muss nämlich sowohl unsere Identität überprüfen als auch unsere Stimme übertragen. Es gibt also im Gegensatz zu Papierwahlen eine Instanz außerhalb der Wählerin, die beides kennen kann. Hier helfen weder bessere Kryptographie, sicherere Systeme noch Open Source: Es gibt zurzeit (und vermutlich auch in der Zukunft) keinen Weg, für alle verständlich, nachvollziehbar und glaubwürdig zu zeigen, dass diese beiden Informationen nicht zusammengeführt und dann gespeichert oder übertragen werden. Dabei muss nicht einmal die Wahlsoftware selbst zuschlagen – es reicht ein beliebiges Stück passender Schadsoftware, und unser geheimes Wahlrecht ist kompromittiert. Ich lehne daher jede Form von elektronischen Wahlen mit geheimer Stimmabgabe ab.

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