Immer mehr junge Menschen in Deutschland kommen regelmäßig mit
Desinformation in Berührung: 76 Prozent der 14- bis 24-Jährigen
begegnen mindestens einmal pro Woche Falschnachrichten – 50 Prozent
mehr als noch vor zwei Jahren. Während der Coronakrise spielt sich das Leben vieler Menschen aufgrund der anhaltenden Einschränkungen noch mehr als vorher im digitalen Raum ab. In den letzten Monaten lässt sich hierbei eine gefühlte Zunahme von Desinformation im Netz erkennen. Gerade junge Menschen sind dabei am stärksten betroffen. Die Vodafone Stiftung Deutschland hat hierzu kürzlich eine Studie veröffentlicht, bei der über 2000 Jugendliche befragt worden sind. Ziel war es, herauszufinden, wie kompetent junge Menschen mit Falschnachrichten umgehen, welche Unterstützung sie hier suchen und inwiefern sie Fake News oder Verschwörungserzählungen beunruhigen. Wir haben mit dem Thinktank-Leiter der Vodafone Stiftung Lars Thies über die Ergebnisse diskutiert.

Herr Thies, warum wurden gerade zur Corona-Pandemie so viele Falschinformationen und Fehlinformationen verbreitet bzw. geteilt?

Die Corona-Pandemie bietet einen optimalen Nährboden für die Verbreitung von Falschinformationen. Viele Menschen haben in der aktuellen Situation ein Gefühl der Verunsicherung und des Kontrollverlustes. Vor diesem Hintergrund sind sie empfänglicher für Falschinformationen, die einfache Lösungen propagieren, wie z.B. Wasser trinken gegen Corona, oder Verantwortliche und Schuldige ausmachen, wie z.B. Bill Gates. Zudem entwickelte sich die Faktenlage gerade zu Beginn der Pandemie sehr schnell unübersichtlich. In unserer Befragung sagen daher auch 64 Prozent der jungen Menschen, dass ihnen beim Thema Corona besonders schwerfällt, glaubwürdige von unglaubwürdigen Nachrichten zu unterscheiden.

Wieso haben Sie sich auf die Altersspanne der 14-24-Jährigen festgelegt – in dieser Kohorte sind schließlich sowohl Schüler*innen, als auch Schulabgänger*innen inbegriffen? Glauben Sie, dass es sich dabei um eine einheitliche Gruppe handelt oder wo sehen Sie innerhalb der Gruppe Unterschiede?

Die Gruppe der 14- bis 24-Jährigen ist natürlich sehr heterogen. Die Idee hinter der Befragung war es auch, durch die Altersspanne einen gewissen Reifeprozess im Umgang mit Medien und dem Nachrichtengeschehen abzudecken – und zu schauen, an welchen Punkten dieser relevant wird. Wir haben die Stichprobe ausreichend groß gewählt um repräsentative Aussagen sowohl für die Gruppe der Jugendlichen (14-19 Jahre) als auch die der jungen Erwachsenen (20-24 Jahre) treffen zu können. Die Ergebnisse zeigen: Junge Erwachsene informieren sich häufiger über das Nachrichtengeschehen als Jugendliche, fühlen sich sicherer darin, Falschnachrichten zu erkennen und gehen umsichtiger vor, wenn Sie Beiträge mit Inhalten zum Nachrichtengeschehen teilen.

Sie haben einen Anstieg von 50 Prozent an Falschnachrichten in den letzten zwei Jahren festgestellt. Glauben Sie, dass die Tendenz weiter so rasant steigt?

Die Befragung zeigt, dass 50 Prozent mehr junge Menschen regelmäßig mit Falschnachrichten konfrontiert sind als noch vor zwei Jahren. Dazu trägt zum einen bei, dass Falschnachrichten während der Pandemie besonders verbreitet werden. Zum anderen aber auch, dass sich das Leben junger Menschen aktuell stärker im Digitalen abspielt. Ein Teil der Entwicklung ist daher vermutlich Pandemie-bedingt und es ist offen, wie sich das fortsetzt. In den kommenden Monaten ist noch mal ein Anstieg der Falschinformationen rund um Impfstoffe und Impfstrategien zu erwarten.

Etwa ein Drittel der jungen Menschen traut sich nicht zu, die Glaubwürdigkeit von Nachrichten sicher einschätzen zu können. Wie kann die dringend erforderliche Medienkompetenz vermittelt werden?

Der Befragung zufolge ist es jungen Menschen beim Thema Falschnachrichten besonders wichtig zu lernen, wie sie diese erkennen können und über konkrete Beispiele zu sprechen, die sie selbst oder ihre Mitschüler:innen gesehen haben. Ein Großteil der Befragten wünscht sich zudem, praktische Übungen durchzuführen wie z. B. Projekte, Planspiele oder Workshops. Ein Schlüssel für die Vermittlung von Medienkompetenzen in der Schule liegt zudem in der Fortbildung von Lehrkräften.

Um Falschnachrichten erkennen zu können, wünschen sich junge Menschen die Unterstützung von Bildungseinrichtungen und Journalist*innen. Was wird heute bereits von diesen Akteuren getan und wie bewerten Sie die Situation?

Es gibt viele tolle Einzelprojekte von Schulen, von Journalist:innen, Medienhäusern und aus der Zivilgesellschaft, wie z.B. die Initiativen Weitklick oder Lie-Detectors. Mit dem Projekt Klickwinkel leistet die Vodafone Stiftung auch selber einen Beitrag dazu. Was fehlt, ist die aber die Wirkung in die Breite. Nur bei weniger als einem Drittel der 14- bis 24-Jährigen wurde der Umgang mit Desinformation in der Schule behandelt. Wichtig wäre daher, das Thema als verpflichtenden Inhalt in die Lehrpläne an weiterführenden Schulen mit aufzunehmen. Das wünschen sich auch 85 Prozent der jungen Menschen in der Befragung.

Braucht es ein eigenes Schulfach oder zumindest die Behandlung des Themas in vorhandenen Schulfächern wie z.B. Politik oder Sozialwissenschaften?

Ein eigenes Schulfach braucht es nicht. In erster Linie ist das Thema natürlich für Fächer wie Politik und Sozialkunde relevant. Es kann aber auch in Deutsch über die Nutzung von Sprache in Falschnachrichten, in Philosophie über Realitätskonstruktion oder in Geschichte über historische Beispiele von Desinformation diskutiert werden.

Wie kommt es, dass um die Hälfte der Befragten den Begriff der Falschnachrichten auch politischen Akteuren und klassischen Medien wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen zuordnen?

Viele junge Menschen äußern in der Befragung eine generelle Unsicherheit darüber, welchen Informationsquellen sie noch vertrauen können – das überträgt sich dann auch auf klassische Medien und auf die Politik. Zudem gibt es ja durchaus Beispiele, in denen Falsch- oder Fehlinformationen in klassischen Medien oder von einzelnen Politiker:innen verbreitet werden. Der Befund zeigt aber auch, wie notwendig es ist, jungen Menschen beispielsweise die Bedeutung von seriösem Journalismus und einer unabhängigen Presse für die Demokratie zu vermitteln.

Der Großteil der Befragten fühlt sich durch die Verbreitung von Falschnachrichten verunsichert und sieht diese als Gefahr für die Demokratie in Deutschland an. Müssen hier auch die Kanäle, auf denen solche Inhalte geteilt werden, aktiv werden und Falschmeldungen deutlicher kennzeichnen oder gar löschen?

Plattformen tragen hier natürlich eine Verantwortung. 80 Prozent der jungen Menschen sehen sie als erstes in der Pflicht, gegen Desinformation vorzugehen. Plattformen können etwa mit Kennzeichnungen dafür sorgen, dass die Unterscheidung zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Informationen leichter fällt. Zudem können Plattformbetreibende die Reichweite von offensichtlich falschen Informationen, z.B. zu Impfungen, einschränken. Problematisch ist jedoch, dass in etwa der Hälfte der Fälle, in denen junge Menschen Beiträge bei Plattformen melden, nichts passiert. Teilweise erfolgt nicht mal eine Rückmeldung. Da sollten die Betreiber:innen von Plattformen dringend nachbessern.

Nur ein Drittel hat bei einer Nachricht, die offensichtlich falsch war, diese mit anderen Quellen geprüft und im Anschluss den Absender gesperrt oder eine Gegen- oder Richtigstellung verschickt. Wieso glauben Sie, sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen so zurückhaltend in dieser Hinsicht?

Zunächst mal fehlen hier Vergleichsdaten zu anderen Bevölkerungsgruppen. Wir können also nicht sagen, ob junge Menschen hier tatsächlich zurückhaltender sind als andere – oder vielleicht sogar aktiver. Entscheidend ist aus unserer Sicht auch die Arbeit an den Strukturen: Es ist wenig motivierend, wenn Meldungen bei den Plattformbetreibern aufwendig sind, keine Wirkung haben oder sogar unbeantwortet bleiben. Letztendlich sind nicht nur junge Menschen, sondern wir alle gefordert, aktiver gegen Falschnachrichten vorzugehen. Nur so lässt sich das Problem in den Griff bekommen.

Wie können vor allem die jungen Menschen mit formal niedrigem Bildungshintergrund, bei denen die Wirkung von Falschmeldungen am stärksten ausgeprägt ist, für das Thema sensibilisiert werden?

73 Prozent der jungen Menschen mit formal niedrigem Bildungshintergrund geben an, im Unterricht nicht über Falschnachrichten gesprochen zu haben. Gerade diese Gruppe erhält in der Schule selten Orientierung zum Umgang mit Falschnachrichten und wird am wenigsten von den außerschulischen Initiativen und Projekten erreicht. Im Rahmen von Klickwinkel versucht die Vodafone Stiftung daher über eine Zusammenarbeit mit der Organisation Teach First, auch Schulen in sozialen Brennpunkten zu erreichen. Um aber wirklich alle jungen Menschen für den Umgang mit Desinformation zu sensibilisieren, muss das Thema in die Lehrpläne integriert werden.

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