Das Wahlrad dreht sich weiter, und so sehen nun die Landesverbände in Thüringen mit gemischten
Gefühlen dem kommenden Wahlsonntag entgegen. Der analoge Wahlkampf geht in die letzte Runde und
auch der digitale Kampf um die Wähler wurde in diesem Jahr von allen
großen Landesverbänden bestritten.

In klassischem rot-weissen Design präsentieren sich die Webseiten der
Thüringer SPD. Das Wahlspecial führt alle Kandidaten mit Lebenslauf und Foto
sowie deren e-mail Adresse auf, soweit eine vorhanden ist. Das Wahlprogramm der
SPD kann man sich direkt im Internet anschauen oder herunterladen. Allerdings ist
das Internet- Angebot des Spitzenkandidaten Richard Dewes nicht mit
in das Angebot eingebunden, nur unter der Rubrik Links findet man einen Verweis auf
seine Homepage. Dafür überrascht dann das Angebot des Spitzenkandidaten mit vielen
interaktiven Details. Neben Auskünften über seine Arbeit, Informationen über ihn
"mal ganz privat" und "was mich richtig ärgern kann", findet man zusätzlich ein sehr
ausführliches e-mail Formular, in dem man dem Politiker einmal so richtig "die Meinung sagen"
kann. Dewes ist es damit gelungen eine personality-site anzubieten, die fernab der üblichen
Wahlkampfparolen, sehr viel persönliche und authentische Informationen bietet. Aber das ist
nicht alles: Im Dewes-Chat kann zu politischen Terminen diskutiert werden. Inwieweit dieses
Angebot genutzt wird, ist nicht ersichtlich (tagsüber war niemand im Chat zu finden), zeigt
aber, dass der Spitzenkandidat die Möglichkeiten erkannt hat. Das reguläre Web- Angebot
bekundet mit der Rubrik "Dialog" den guten Willen, sich an ihrem Spitzenkandidaten ein
Beispiel zu nehmen, aber noch verweist man den enttäuschten User darauf, dass diese Rubrik
noch ausgebaut werde. Diesbezüglich hat die Thüringer SPD alles in allem noch digitalen
Nachhilfebedarf.

Nicht als Koalitionsaussage zu verstehen ist das Layout der Wahlseiten
der Thüringer Grünen: Diese
präsentieren sich nämlich in leuchtendem Grün auf schwarzem Hintergrund.
Das Wahlspecial orientiert sich am Design der Wahlplakate: auch hier findet der
Nutzer unter verschiedenen Stichworten wie Salat, Arbeit, Müll, Sonne oder Zukunft
Wahlaussagen der Grünen zu Themen wie Genfood, Arbeitslosigkeit, Müllverbrennung oder
Agenda 21. Unter "Programm" findet man das Wahlprogramm im html-Format oder zum
Herunterladen als pdf- Datei. Die Rubrik "Kandidaten" führt alle Kandidaten der Grünen
auf, leider ohne eine Möglichkeit, per e-mail Kontakt mit ihnen aufzunehmen.
Nur die allgemeine E-mail Adresse der Geschäftsstelle ist im Impressum aufgeführt.
Auch ansonsten vermisst man Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme- es gibt weder ein e-mail
Formular, ein Forum oder gar einen Chat. Die Grünen haben für ihre Wahlkampfseiten zwar
ein ansprechendes und witziges Layout gewählt, die interaktiven Möglichkeiten des Mediums
bleiben aber leider ungenutzt.

Das PDS Angebot präsentiert sich sehr
unstrukturiert- man muß schon sehr lange suchen, um das Gewünschte zu finden. Auf der
Startseite findet man in mikroskopisch kleiner roter Schrift einige Links zu Terminen
oder zur PDS Brandenburg, der man zum Wahlerfolg gratuliert. Die Wahlseiten erreicht
man schließlich unter dem Link "Für einen besseren Lebensort". Dieser führt den User
zum Wahlprogramm, das er entweder direkt dort lesen oder auf den eigenen PC herunterladen
kann. Auch die Kandidatenlisten sind einsehbar, leider ohne Fotos, Informationen, oder
Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. Nur die Kandidaten, die wenigen Kandidaten, die bereits
eine eigene Homepage besitzen, bieten etwas mehr Informationen zu ihrer Person. Die Seiten
des Landesverbandes sind übersichtlicher gestaltet, und man findet neben den e-mail Adressen
des Landesvorstands auch ein Diskussionsforum. Hier erfährt der User, dass es eine
Internetfragestunde mit Gabi Zimmer gegeben hat, und ausserdem hat er die Möglichkeit, seine
Meinung zu Themen wie der doppelten Staatsbürgerschaft oder der PDS im Wahljahr 1999 abzugeben.
Insgesamt sind diese Seiten wesentlich ansprechender gestaltet, die Wahlkampfseiten jedoch
bleiben (wenn man sie denn überhaupt findet), weit hinter den Möglichkeiten zurück.

Bernhard Vogel und die CDU in Thüringen
warten auf den ersten digitalen Blick mit einem soliden, informativen und gut strukturiertem
Web-Angebot auf: Ausführliche Informationen gibt es zu Bernhard Vogel, seinem Lebenslauf,
seinen Reden und Zielen, ausserdem wird auf seinen Seiten die direkte e-mail-Adresse für
Fragen der Bürger angegeben. Auch die Kandidaten neben Bernhard Vogel sind schnell zu finden,
und viele von ihnen besitzen eine eigene Homepage, die eine Kurzvita über die Person liefert
jedoch leider keine direkte e-mail-Adresse angibt. Es scheint, der Landesverband der CDU in
Thüringen setzt in erster Linie auf Information. So gibt es leider auch keine Extra-Aktionen
zur Wahl, wie z.B. Chats oder Bürgerforen, für die das Netz ja optimale Voraussetzungen bietet.
Informationen über die Partei ausserhalb Brandenburgs liefert die Web-Site fast genauso
ausführlich wie zu ihrem eigenen Landesverband: So kann man auf einen Klick erfahren,
wer aus dem Landesverband der CDU im Bundestag sitzt und wer in Europa. Hier sind jedoch
im Gegensatz zu den Seiten der Direktkandidaten direkte e-mail Adressen angegeben. Insgesamt
präsentiert sich der Landesverband der CDU in Thüringen auf den ersten Blick zwar
professionell und mit einem gut strukturiertem Layout, doch wird das interaktive Potential
des Mediums nicht vollends ausgeschöpft.

Als reine Informationsplattform nutzt auch die
F.D.P. das Netz:
Ganz stark setzt sie dabei – ähnlich wie die CDU auf Bernhard Vogel – auf ihren
Spitzenkandidaten Heinrich Arens. Neben zahlreichen Fotos kann man seine Reden nachlesen
und Wissenswertes zu seiner Person erfahren. Seine direkte e-mail-Adresse wird zwar angegeben,
und auch eine e-mail Vorlage für Fragen und Anregungen ist vorhanden. Jedoch werden die anderen
Kandidaten zwar mitsamt Adresse, privater Telefon- und Faxnummer in einer Liste aufgeführt,
jedoch fehlen dort e-mail-Adressen, so dass der Web-Site Besucher leider nur den analogen
Kontakt suchen kann. Die virtuelle Vorstellung des Landesvorstands ist sehr dürftig, denn
klickt man auf den Namen eines Mitglieds, erscheint alleine ein neues Fenster mit dem
jeweiligen Foto. Desweiteren werden noch die Kreisverbände vorgestellt, die jeweils eine
eigene e-mail Adresse besitzen. Im Großen und Ganzen lässt das Web-Angebot der Liberalen –
wie in vielen anderen Bundesländern auch – zu wünschen übrig. Denn eine ansprechend
gestaltete Site allein reicht nicht aus, um dem Medium einen anderen Stempel als den einer
Hochglanzbroschüre aufzudrücken.

Der virtuelle Wahlkampf der
Republikaner
unterscheidet sich nur wenig von ihrem Reellen. Schlagwörter, wie zum Beispiel
"Innenpolitik", in der Navigationszeile führen zu Parolen und einem Programm, welches
kurze Forderungen vorstellt. Jedoch werden nur die Ziele angegeben, nicht die Wege dorthin.
Neben diesen Kurzinformationen bietet das "Bündnis `99", wie die Republikaner ihr Programm
für Thüringen nennen, eine e-mail Adresse für Anregungen und Fragen an. Aber es gibt keine
weiteren Angebote für die Web-Site Besucher, die eine Auseinandersetzung mit den vorher
aufgestellten politischen Forderungen erlauben würde. So setzt die rechtsextreme Partei
auch im Netz auf Parolen anstatt auf Hintergrund und Substanz.

Wie die Landesverbände im Saarland und in Brandenburg lassen die Parteien
in Thüringen viele Möglichkeiten ungenutzt. Zwar bietet die F.D.P. ein e-mail
Formular und die PDS ein Diskussionsforum, darauf beschränkt sich die Interaktivität
aber bereits. Längst nicht alle Politiker sind persönlich per e-mail erreichbar.
Einzig der SPD Spitzenkandidat Richard Dewes bietet dem Nutzer mehr und beweist mit
vielen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme digitale Kompetenz. Dennoch werden wahrscheinlich
weder Dewes noch die SPD am Sonntag nach der Wahl wirklich vorn liegen. In der Wählergunst
entscheiden im Moment noch andere Inszenierungsformen über die Stimmabgabe des Wählers.
Doch nicht nur Gerhard Schröder kann ein Lied davon singen, wie schnell sich solche
Inszenierungen in Luft auflösen, wenn politische Realitäten spürbar werden.
Dementsprechend wird vielleicht dieser Landtagswahlkampf nicht im Netz entschieden,
beim nächsten könnte es jedoch schon ganz anders aussehen und dann könnte ein jetzt
erarbeiteter Vorsprung unaufholbar sein.