Die Neugründungen von vornehmlich digitalen Start-Ups sind für immer mehr afrikanische Länder eine höchst relevante Entwicklung. Und dieser Aufschwung ist auch aus Sicht der Entwicklungshilfe interessant. Dieser Artikel widmet sich der Frage, ob die Menschen in Afrika tatsächlich von den Start-Ups profitieren. Dafür haben wir unter anderem mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gesprochen.

Das Potential kann man schon aus den Statistiken herauslesen: Von der 1,2 Milliarden großen Bevölkerung ist derzeit die Hälfte jünger als 25 Jahre, jährlich werden schätzungsweise mehr als 20 Millionen neue Arbeitsplätze benötigt. Mit einem 53-prozentigem Anstieg gegenüber dem Vorjahr konnten 2017 rund 560 Millionen Dollar Risikokapitalzufluss in den subsaharischen Raum verzeichnet werden. In Kenia, Ghana und Nigeria befinden sich dabei die führenden Start-Up-Hubs. Doch bei all dem Hype – die Frage nach dem tatsächlichen Profit für die Menschen im subsaharischen Raum sollte auf jeden Fall gestellt werden.

Vorsprung durch Innovation

Im Zusammenhang mit Start-Ups in Entwicklungsländern hört man häufig einen Schlagbegriff: Leapfrogging. Gemeint damit ist das Überspringen „klassischer“ Entwicklungsschritte, vornehmlich durch innovative neue Möglichkeiten. Ein Beispiel dafür könnte WeFarm sein, ein Peer-to-Peer-Netzwerk zur Wissensverbreitung zwischen Bauern. Es kann damit zumindest teilweise den teuren Bau klassischer Schulen ersetzen. Man könnte hier auch M-Pesa nennen, ein System zum bargeldlosen Zahlungsverkehr. Es ist vor allem in Westafrika beliebt, schließlich kann man damit sicher sein, dass das bei einem Handel erhaltene Geld auch echt ist. So können illegale Geldgeschäfte effektiver bekämpft werden. Beispiele wie diese lassen sich vielerlei finden. Der positive Effekt für die Menschen sei damit gezeigt, könnte man meinen. Aber man sollte die versteckten Kosten nicht übersehen.

Wer gewinnt hier eigentlich?

Auf den ersten Blick ist die Ausgangslage für unternehmenslustige Afrikaner*innen gut: Die Märkte sind trotz der Bemühungen der Afrikanischen Union (AU) und kleinerer Verbände häufig noch in hohem Maße regionalisiert. Die Bedürfnisse der afrikanischen Menschen sind aus westlicher Sicht häufig schwer nachzuvollziehen. Dementsprechend gibt es in gewisser Weise einen Schutz vor Konkurrenz. Jumia konnte sich zum Beispiel mit speziellen Transportketten gegen Amazon durchsetzen.

Doch sind die größten Unternehmen –darunter die hier genannten– nur scheinbar „afrikanische“ Unternehmen. Tatsächlich sind sie meisten Unternehmen entweder im Besitz globaler Konzerne oder zumindest in den Führungsebenen von weißen, nicht afrikanisch-stämmigen Personen durchsetzt. So wird Jumia in Portugal entwickelt, während einer der Hauptbesitzer das Berliner Unternehmen Rocket Internet SE ist. Mit anderen Worten: erstens wird zwar der Gewinn in (Ost-)afrika gemacht – die Steuern aber in Europa bezahlt. Zweitens werden die hochbezahlten Jobs zumeist nicht von den Afrikaner*innen belegt, die somit von ihrem eigenen Aufschwung oft wenig mitbekommen. Bei den anderen hier genannten Unternehmen sieht es leider nicht viel anders aus.

Man könnte daran anknüpfend viel über den neuen Kolonialismus und dessen lange bisher wenig aufgearbeitete Tradition schreiben – aber um es kurz zu halten kann man dieses große Problem auch auf zwei kleinere Probleme herunterbrechen.

Reicht Unternehmergeist alleine?

Erstens: Wenn man den Berichten unzähliger afrikanischer Gründer*innen und jenen vom Weltwirtschaftsforum, Glauben schenkt, ist ein Problem der strukturelle Rassismus. Die Risikokapitalfirma Village Capital, hat vor einiger Zeit festgestellt, dass 90% der Investments in den afrikanischen digitalen Finanzsektor an Start-Ups gehen, die einen oder mehrere Gründer*nnen aus Europa oder Nordamerika haben. Während die Inverstor*innen in ihnen bekannte Geschäftsmodelle und Firmenpraktiken investieren, entgegnen afrikanische Gründer*innen häufig, dass vor Ort aufgrund anderer Gegebenheiten andere Vorgehensweisen besser passen.

Im BMZ ist man sich dieser und ähnlicher Probleme selbstverständlich bewusst, Stichwort „Marshall-Plan für Afrika“. Laut einer Sprecherin versuche das BMZ mit unterschiedlichen Projekten, einen möglichst großen Teil der afrikanischen Wirtschaft zu stützen. So werden mit Make-IT  die Rahmenbedingungen für afrikanische Start-Ups verbessert, indem ein besserer Zugang zu Risikokapital ermöglicht werde, oder geholfen werde, Innovation, Markterfahrung sowie nationale und internationale Sichtbarkeit zu verbessern. Durch AfricaGrow werden dann Investitionslücken für mittelständische Unternehmen gestopft. Mit einem ähnlichen Programm sticht auch die NGO “1millionstartups” hervor, die ihre umfangreichen Förderungsangebote für Start-Ups an die Dienlichkeit für die SDGs, also die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen knüpft. Jedoch wird gegen die rassistischen Tendenzen gegenüber Gründer*innen an sich direkt wenig unternommen. Die Bemühungen zielen eher darauf ab, dass es erfolgreiche afrikanische Gründungen trotz des Rassismus geben kann.

Wer zuerst zugreift, behält

Das Zweite Problem ist eines von Haben und Nicht-Haben. Egal, ob man ihn befürwortet oder bekämpft, in einer Sache ist man sich in der Wissenschaft einig: Der Kapitalismus funktioniert ohne Eigentum nicht. Viele besitzen kaum mehr als ihr eigenes Land oder können sich nur mit Rücküberweisungen gerade über Wasser halten. Zum Investieren bleibt jedoch nicht viel über – wenn diese Möglichkeit überhaupt bekannt ist. Hingegen gibt es aus dem Ausland umso mehr Geld. Das ist ein Problem, weil die Afrikaner*innen, wenn sich nicht investieren, letztendlich nicht von den Renditen ihres eigenen Wachstums profitieren können und sich eine vom Kapitalbesitz geprägte Mittelschicht nur langsam entwickeln kann. Außerdem fehlt dadurch häufig auch ein für Start-Ups wichtiger Faktor: lokale Start-Up-Angel, die an einer auch für Afrika nachhaltigen Unternehmensentwicklung arbeiten und im besten Fall das Problem der ethnisch selektiven Investitionen aktiv bekämpfen könnten. Laut eigener Aussagen arbeitet das BMZ speziell in diesem Sinne über Make-IT mit lokal gewachsenen Start-up-Netzwerken wie dem African Business Angel Network, Afrilabs oder Jokkolabs vor Ort zusammen.

Zudem wurden laut der Sprecherin des BMZs „z.B. Policy Hackathons in Nigeria unterstützt, die dazu geführt haben, dass die Regierung ein entsprechendes Rahmenwerk geschaffen hat, das National Framework for Innovation and Entrepreneurship.“ Dies ist ein Erfolg, weil zahlreichen Berichten von Gründer*innen zufolge viele Regierungen nur wenige Anstrengungen in eine aktive Innovationspolitik setzen würden. So scherzt man gerne über das durchaus erfolgreiche kenianische „Savannah Valley“, es existiere nicht wegen der Regierung, sondern trotz der Regierung.

Also doch China als Vorbild nehmen?

Für eine aktivere Innovationspolitik, die gegebenenfalls eine selektiveren Außenwirtschaftspolitik bedeuteten würde, fehlen leider jedoch häufig die Mittel bei den Regierungen. Zudem leiden die meisten afrikanischen Staaten unter einer sehr ungleichen Vermögensverteilung, innerhalb derer die Reichsten ihre Gelder eher versuchen außer Land zu schaffen, statt sie lokal zu investieren. Zwei wichtige Voraussetzungen für einen schnellen Aufstieg wie dem Chinas, nämlich die Mittel durch äußerst hohe Rückinvestitionen und die relativ gleiche Vermögensverteilung, sind so oftmals nicht gegeben. Ein Marshallplan für Afrika, der seinem Original näher käme, müsste deswegen zumindest die Regierungen mit mehr Eigenkapital ausstatten, statt „nur“ Förderprogramme zu betreiben.

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