Estland ist auf dem besten Weg in die digitale Gesellschaft. Mehr als drei Viertel aller erwachsenen Esten verfügen über einen Internet-Anschluss. In Sachen eGovernment ist man den Nachbarn in Litauen und Lettland um Meilen voraus. Die Verwaltung ist nahezu vollständig digitalisiert. Eine Zensur bestimmter Websites oder Server findet nicht statt und wird von der Regierung auch nicht gewünscht.

Tigersprung in die Informationsgesellschaft

Bereits in den Neunzigern begriff man in Estland, dass Medienkompetenz von genauso großer Bedeutung ist, wie Lesen, Schreiben und Rechnen.

1996 wurde das Programm “Tiigrihüpe” (Tigersprung) ins Leben gerufen. Damit sollte die estnische Bevölkerung fit für die Informationsgesellschaft gemacht werden. Finanziert wurde das Projekt mit staatlichen und EU-Fördergeldern. Auch die Soros-Stiftung und internationale Bildungsprogramme unterstützten das Programm. Der Tigerspung ereilte auch die Verwaltung und Schulen. Ämter bekamen Rechner zur Verfügung gestellt. Lehrerinnen und Lehrer erhielten Internet- Einsteigerkurse. Elektronische Verwaltung ist in Estland zum Alltag geworden.

Estlands digitales Fenster zur Welt

Im Rahmen einer Public-Private Partnership wurde 2002 ein Tigersprung-Nachfolgeprojekt ins Leben gerufen. „Look@world“

war eine landesweit angelegte PR-Aktion. Der gemeinnützige Ansatz der Förderung der Medienkompetenz wurde verbunden mit der Förderung der Geschäftsentwicklung in der Informationsgesellschaft.

Im Herbst 2000 verfügten gerade einmal ein Viertel aller erwachsenen Esten über einen Internetanschluß. Heute sind es es drei mal so viele. Das Konzept war einfach und clever zugleich. Durch Schulungen und öffentliche, kostenfreie Internetzugänge konnte das WWW als Medium für freies Wissen, Konsum und Verwaltungsdienstleistungen beworben werden. Das Projekt wurde zum Selbstläufer. Trainees, die an Seminaren teilnahmen, trugen ihr Wissen weiter und wurden selbst zu Trainern.

Trainees zu Trainern

Die Trainingsgruppen wurden sehr klein gehalten. Die Seminare richteten sich in erster Linie an die 650.000 Menschen, die bisher keinen Zugang zum Internet hatten. Zielgruppe waren auch die, die bisher Hemmnisse und Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Medien hatten. Ihnen sollte die Angst vor nicht vorhandenen Fähigkeiten genommen werden. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten auf diesem Wege motiviert werden, selbst aktiver Bestandteil der Gesellschaft zu werden. Look@world wurde ein voller Erfolg. Die Kosten beliefen sich auf etwa 12 Millionen US Dollar. Öffentliche Gebäude, Krankenhäuser und Kasernen, Jugendherbergen und Hotels wurden mit Internet Access Points ausgestattet. Gefördert wurde Look@world von nationalen und internationalen Banken, IT-Firmen und der landeseigenen Telefongesellschaft.

Die papierlose Gesellschaft

95% der Staatsbeamten haben einen Computer-Arbeitsplatz. Die Steuererklärung reicht man schon längst auf dem elektronischen Weg ein. Die Sitzungen des Parlaments erfolgen papierlos. Sie werden online übertragen. Das erhöht die Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger. Es ermöglicht abwesenden Parlamentariern, dennoch passiv an den Sitzungen teilnehmen zu können.

Internetzugang wird Bürgerrecht

Im Dezember 2000 wurde das Gesetz über die digitale Unterschrift verabschiedet. Dieses ermöglicht auch, Verträge und Beschlüsse des Parlaments online zu unterschreiben.

Von der Kommunalverwaltung bis zum Präsidenten sind heute alle Amtsinhaber im Internet erreichbar. Dabei wird das Thema Netzsicherheit besonders groß geschrieben. Auch Wahlen sollen in Zukunft digital abgehalten werden. Kommunikationsfreiheit und ein zensur- und barrierefreier Zugang zum Internet sollen als Grundrechte in die Verfassung aufgenommen werden.

Mit PR-Kampagnen zur „Internet Revolution“

Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft ist Estland anderen EU-Staaten weit voraus. Die Gründe dafür sind vielfältig. Im August 1991 entließ sich Estland selbst in die Unabhängigkeit. Die alten Kader der ehemaligen Musterrepublik der Sowjetunion räumten ihre Posten. Junge und engagierte Menschen, die gerade ihr Studium abgeschlossen hatten, wurden zu politischen Entscheidungsträgern. Sie erfassten die Bedeutung der Kommunikations-Infrastruktur für die Konkurrenzfähigkeit des Landes. Große PR-Kampagnen wie „Tiigrihüüpe“ und „Look@World“ ließen sich in dem verhältnismäßig kleinen Land leicht realisieren. Die Kampagnen verfolgten nicht nur gemeinnützige, sondern auch wirtschaftliche Ziele. Die Entwicklung neuer Bedürfnisse schuf auch die Grundlage für neue Unternehmen, die einen Mehrwert produzieren konnten. Auf diese Art lassen sich die Investitionskosten leicht wieder einspielen. Gelegentlich taucht in Zusammenhang mit den Kampagnen der Begriff „Internet Revolution“. Doch die vermeintliche Revolution war im Grunde nicht mehr als der notwendige wirtschaftliche Startschuss für einen erfolgreichen Beitritt in die Europäische Union.

IT-Experten müssen erst nachwachsen

Noch fehlt es dem kleinen baltischen Staat an IT-Spezialisten. Die Nachfrage großer Unternehmen kann bisher nicht befriedigt werden. Nach Studien des estnischen IT-Colleges, könne Estland maximal 6.000 IT-Spezialistinnen und Spezialisten hervorbringen. Die Weichen dafür sind jedoch bereits gestellt.