Der Ausbau der eGovernment-Dienste nimmt langsam Formen an. Bundesinnenminister Schily erklärte die Initiative BundOnline2005 am vergangenen Montag mit der Implementierung von 378 eServices als erfolgreich abgeschlossen. Doch gehen die Regierungen den richtigen Weg und werden die Dienste von den Nutzern überhaupt angenommen? Accenture ist dieser Frage in der Studie „Leadership in Customer Service: New Expectations, New Experiences“ nachgegangen.

Belgien setzt ab 2009 alles auf eine Karte: Mit der neuen „electronic identity card“ werden sich die rund zehn Millionen Einwohner des Landes künftig nicht nur ausweisen und digital unterschreiben, sondern auch in Bibliotheken Bücher ausleihen, Überweisungen tätigen, Steuerinformationen einholen und mit der Bahn fahren können.

Ob derartige Modelle überall reibungslos einzuführen sein werden, bleibt abzuwarten. Trotz der wachsenden Vertrautheit mit modernen Technologien bevorzugt die Mehrheit der Bürger in der Kommunikation mit öffentlichen Stellen und Behörden das Telefon sowie die persönliche Beratung am Schalter. Nur 14 Prozent der Deutschen haben im vergangenen Jahr ihre Behördengänge ausschließlich virtuell erledigt.

Setzen die Regierungen mit dem Ausbau von eGovernment auf das falsche Pferd? Die Accenture-Studie „Leadership in Customer Service: New Expectations, New Experiences“ kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Bemühungen im Bereich eGovernment stehen an einem Scheideweg, an dem zwar ein „weiter so!“ nicht mehr funktioniert. Die gute Nachricht aber ist: Die Unzufriedenheit der Bürger richtet sich nicht gegen eGovernment-Services per se, sondern gegen deren Unzulänglichkeiten. Denn: Trotz erheblicher Anstrengungen in den vergangenen Jahren sind die Regierungen in aller Welt noch nicht in der Lage, die enorm gestiegenen Erwartungen der Bürger zu erfüllen. Mehr noch: im vergangenen Jahr stagnierten die weltweiten Fortschritte bei der effizienten Einführung von eGovernment, gerade auch in jenen Staaten, die in der Vergangenheit zu den „Best Performern“ gehörten. Behörden und Verwaltungen nähern sich einem „Sättigungspunkt“, was die Bereitstellung von Online-Services anbelangt.

E-Government hat den Weg in die Zukunft aufgezeigt, ist aber mittlerweile selbst in der Gegenwart angekommen. Allein mit der Optimierung bestehender eServices werden Regierungen weder den wachsenden Anforderungen hinsichtlich Kosteneinsparungen noch den Kundenbedürfnissen gerecht werden können. Die Schlussfolgerung muss daher lauten: Es bedarf eines neuen Entwicklungsansatzes, der das Verhältnis zwischen Bürger und Behörde völlig neu definiert. Nur wer seine Dienstleistungen nachhaltig und kundenorientiert umgestaltet und dabei organisatorische Grenzen, technische Hürden und Medienbrüche überwindet, wird in Zukunft weitere Potenziale von eGovernment erschließen.

Gibt es den „eBürger“?

In der Studie wurde auch analysiert, wie Bürger aus 12 Nationen Online-Services einschätzen und nutzen. Dabei zeigte sich, dass die Akzeptanzrate selbst in führenden eGovernment-Ländern wie Kanada deutlich hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Deutschland liegt – trotz hoher Internetverbreitung – mit einer Nutzerrate von 47 Prozent sogar am Ende des Länder-Rankings. Neben der generellen Zurückhaltung fällt auf, dass Online-Dienstleistungen zumeist nur zur Informationsbeschaffung genutzt werden; von aktiven Nutzungsmöglichkeiten, zum Beispiel zur Abgabe von Steuererklärungen, wird hingegen nur selten Gebrauch gemacht. Diese werden häufig als kompliziert, langwierig und auch als unsicher empfunden. Für eine zielgerichtete Modernisierung von Verwaltungsdienstleistungen wäre es notwendig, die individuellen Bedürfnissen und Bedenken der Bürger direkter aufzugreifen und Service-Innovationen stärker daran auszurichten. Ohne fundiertes Wissen über die eigenen Kunden laufen Regierungen Gefahr, ihre Angebote an der realen Nachfrage vorbei zu entwickeln. Die Folge: Die Skepsis vieler Bürger gegenüber eGovernment-Tools würde weiter wachsen.

Der Kunde im Zentrum

Eine kundenorientierte Gesamtstrategie von Online-Services muss von der abteilungs- und behördenübergreifenden Integration des Dienstleistungsangebots ausgehen. Die vertikale Integration nationaler, regionaler und kommunaler Dienstleistungen über Verwaltungsebenen und Ländergrenzen hinweg eröffnet – wie das Beispiel Belgien zeigt – Räume zur Gestaltung neuer Service-Pakete, die zugleich Einsparpotenziale bedeuten. Dies bedeutet im Klartext: Regierungen müssen die Fokussierung auf eGovernment überwinden und auf Basis einer internen Vernetztheit Multi-Channel-Services entwickeln, um bei den Bürgern die notwendige Akzeptanz zu erreichen. Auch die inhaltliche Qualität dieser Kommunikation zwischen Behörden und Bürger muss überprüft und verbessert werden. Die Unzufriedenheit mit eGovernment-Tools ist auf die noch stark unterentwickelte vertikale Integration von Behörden zurückzuführen: Die hieraus resultierenden Reibungs- und Zeitverlusten durch eine interne Reorganisation zu minimieren, bedarf eines grundlegenden Umdenkens und einer Neudefinition dessen, welche Rolle Behörden und Verwaltungen spielen sollen.

Neue Visionen für die Regierung von morgen

Auf Basis der eGovernment-Studie von Accenture ergeben sich neue Benchmarks für den Aufbau moderner Verwaltungs- und Behördenstrukturen. Grundlage hierfür bildet die Entwicklung einer ausgeprägten „Citizens-first“-Haltung, in der sämtliche Strukturen, Informationen und Dienstleistungen im Interesse des Bürgers organisiert werden. Das bedeutet auch, Dienstleistungen schnell, effizient und über verschiedene Kommunikationskanäle verfügbar zu machen. Auch das Nebeneinander verschiedener Behörden auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen regionalen Unterteilungen muss überwunden werden, um den Bürgern integrierte und umfassende Dienstleistungen anbieten zu können. Nicht zuletzt hat die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger in beide Richtungen zu funktionieren, um die Bürger gut zu informieren, deren Akzeptanz für neue Technologien und Verfahren zu steigern und sie zu befähigen, eigenständig und erfolgreich arbeiten und leben zu können.

Regierungen, die auf Basis dieser Benchmarks ihre Modernisierung vorantreiben, werden in der Lage sein, die eigenen Einsparpotenziale im Sinne einer effektiven Verschlankung des eigenen Apparats zu erreichen und gleichzeitig die Akzeptanz der Bürger für Veränderungen deutlich zu erhöhen.

Holger Bill ist Geschäftsführer der Abteilung Post & Public Services der Unternehmensberatung Accenture.