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Welche Herausforderungen bringt der digitale Wandel mit sich? Im Spannungsfeld zwischen dem Ideal des mündigen digitalen Bürgers und der Frage nach den Folgen für die Politik sucht die EU- Kommission nach neuen Ideen. Mit der Absicht, den Wandel aktiv mitzugestalten, luden die OnLife-Initiative der EU-Kommission und das Internet und Gesellschaft Co:llaboratory zu einem Workshop in Berlin ein.

Die OnLife-Initiative wurde im Septemer 2011 von der EU-Kommission ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die netzpolitischen Pläne für die nächsten Jahrzehnte auf ein solides theoretisches Fundament zu stellen und die in der Diskussion verwendeten Begriffe zu klären.

Im Sinne des Stakeholder-Ansatzes trafen sich interessierte Bürger, Aktivisten, Wissenschaftler und IT- Experten mit der Berichterstatterin der OnLife-Initiative Nicole Dewandre. Im Rahmen des Workshops, der am vergangenen Donnerstag in Berlin stattfand und gemeinsam mit dem Internet und Gesellschaft Co:llaboratory und der Gemeinnützigen Hertie Stiftung veranstaltet wurde, sollten Begrifflichkeiten zur Diskussion gestellt werden, die Entscheidungsträger in der Netzpolitik verwenden.

Der Workshop ist Bestandteil der zweiten Phase der OnLife-Initiative. In der ersten Phase hatten 15 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen ein Grundsatzpapier erarbeitet. Das Ergebnis ist eine Leitlinie für die OnLife-Initiative, die dafür plädiert, den digitalen Wandel als Chance zu nutzen und ihn ohne Zukunftsangst mitzugestalten. In einer zweiten Phase werden nun dezentrale Workshops veranstaltet, um das Grundsatzpapier, das den digitalen Wandel in vier Dimensionen begreift, mit Akteuren in ganz Europa zu diskutieren. In einem dritten Schritt sollen ab Herbst die Ergebnisse der Initiative publiziert werden, über die online weiter diskutiert werden soll. Als Teil des Digital Futures Programms  der EU sollen die Ergebnisse der Workshops in die künftigen Politikmaßnahmen der EU einfließen, so verspricht es die EU-Kommission auf ihrer Homepage.

Das Internet bietet optimale Voraussetzungen für freies Handeln

Zu Beginn des Workshops beschrieb Nicole Dewandre aus Brüssel die vier Dimensionen des digitalen Wandels und die damit verbundenen Herausforderungen, die in der ersten Phase der OnLife-Initiative festgestellt worden waren.

  1. Die zunehmend verschwimmende Trennung zwischen Realität und Virtualität wirft grundlegende Fragen auf. So gilt es z. B., unser Verständnis des Verantwortungsbegriffs anzupassen. Worin besteht der Unterschied zwischen der Absicht, in einem Computerspiel zu töten oder in der Realität?
  2. Auch die Unterscheidung zwischen Mensch, Natur und Artefakt wird zunehmend schwieriger. Schließlich begreifen sich Menschen auf Grundlage der Evolutionstheorie als Teil der Natur, doch sind Menschen und Artefakte immer schwieriger voneinander zu trennen, z.B. beim Einsatz von medizinischen Prothesen, aber auch bei der Nutzung von mobilen Endgeräten.
  3. Die dritte Dimension des digitalen Wandels zeigt, dass Informationen, die ehemals rar waren, nun im Überfluss vorhanden sind und eingeordnet werden müssen.
  4. Als Konsequenz des digitalen Wandels, so Dewandre, richte sich der Fokus der Politik nicht wie zuvor auf das Individuum an sich, sondern darauf, wie das Individuum mit Anderen interagiert.

In der anschließenden Diskussion wurde die ungewöhnliche Bereitschaft der Teilnehmer deutlich, abstrakt und utopisch zu denken. Es wurde scharfe Kritik am neoliberalen Paradigma geübt und Hannah Arendts Politikverständnis als Alternative präsentiert. Während innerhalb des neoliberalen Paradigmas Politkmaßnahmen als Mittel zum Zweck aufgefasst werden, begreift Arendt das politische Handeln als eine kreative und freie Tätigkeit, die nicht zweckrational ist. Für kreatives und freies Handeln in der Öffentlichkeit, also politisches Handeln im Sinne Arendts, bietet das Internet hervorragende Voraussetzungen. Auch systemtheoretische Ansätze fanden sich in der Diskussion wieder.

Am Nachmittag berichtete Nils Hullen, der Leiter des Brüsseler Büros vom Branchenverband BITKOM, über die aktuellen Entwicklungen in der europäischen IT-Industrie und der Netzpolitik. Im Rahmen dieser Präsentation wurden konkrete Probleme, wie die Haftung von Besitzern offener W-LAN Netzwerke, im Plenum diskutiert. Auf allgemeine Zustimmung stieß der Vorschlag, den digitalen Wandel zur Öffnung Europas zu nutzen und die EU-Netzpolitik unter das Motto „Open Europe“ zu stellen. Auf der Suche nach einem neuen europäischen Narrativ für das 21. Jahrhundert sollten, so die Erkenntnis des Workshops, insbesondere netzpolitische Projekte der EU unter Berücksichtigung von Offenheit und Transparenz betrieben werden. In diesem Kontext wurde auch der freie Zugang zu Forschungsergebnissen diskutiert, den die EU, so die Kommissarin für die Digitale Agenda Nelly Kroes gestern in einer Pressekonferenz, nun umsetzen will.

Auf die Frage, welche Maßnahmen die EU zum Schutz der Privatsphäre ergreifen sollte, hatte keiner der Diskutanten eine Antwort. Für derart umfangreiche und konkrete Fragen Rahmen des Workshops zu klein.

Es bleibt eine methodische Herausforderung, den Auswirkungen des digitalen Wandels angemessen zu begegnen. Die OnLife-Initiative mit dem Ziel, zukunftssichere Begriffe und Konzepte für die Politik bereitzustellen, ist sicherlich ein guter erster Schritt, dem jedoch noch viele weitere folgen müssen, um den digitalen Wandel konstruktiv zu gestalten.