Die Steuerreform benachteiligt die New Economy gegenüber der Old Economy
Keine Gelegenheit lässt die Bundesregierung aus, sich in den Medien als politische
Speerspitze des Internet-Booms zu präsentieren. Schröder & Co. tun alles, um die New
Economy zu fördern, lautet die Botschaft. Doch die Realität sieht anders aus. Die vom
Bundesrat abgesegnete Steuerreform hält einige Fallstricke für die vorwärts stürmenden
Dotcoms bereit.
Größte Stolperfalle ist die Benachteiligung von Personengesellschaften gegenüber
Kapitalgesellschaften bei der Betriebsveräußerung. Gerade mittelständische Firmen, die
in der New Economy weitaus stärker den Ton angeben als in der Old Economy, sind häufig
Personengesellschaften (OHG, KG oder GbR). Die eindeutigen Gewinner der Steuerreform sind
dagegen die großen Aktiengesellschaften der Old Economy. Sie können ihre zahlreichen
Beteiligungen an Unternehmen künftig steuerfrei veräußern. Kein Wunder, dass die
Sektkorken bei den Großbanken in Frankfurt knallten. Der Bundeskanzler hatte sich erneut
als “Genosse der Bosse” erwiesen.
Die Regelung für Betriebsveräußerungen sieht nach der Steuerreform für
Anteilseigner so aus: Die Steuerfreiheit von Teilhabern wurde von zehn auf ein Prozent
gesenkt. Das heißt, wer mehr als ein Prozent Eigentum an einem Unternehmen hält,
muss seinen Veräußerungsgewinn versteuern. Bereits 1999 wurde die Steuerfreiheit von
25 auf zehn Prozent herabgesetzt. Für Internet-Start-Ups, häufig Drei-Mann-Betriebe,
sind steuerfreie Veräußerungsgewinne damit in unerreichbare Ferne gerückt. Gerade in
der jetzigen Phase der Übernahme junger IT-Firmen durch die arrivierten Großen wirkt
sich die Steuerreform für erfolgreiche Gründer fatal aus. Sie müssen einen Teil ihres
Verkaufsgewinns nach ihrem persönlichen Einkommensteuersatz an den Fiskus abführen,
während die Großbanken ihre zahlreichen Beteiligungen lukrativ abstoßen können,
ohne dass der Finanzminister davon eine Mark sieht.
Die auf Druck der Opposition versprochene Nachbesserung der Reform nützt der
Internet-Branche nichts. Denn nur wer älter als 55 Jahre ist, darf nach der
Gesetzesvorlage ein einziges Mal für den Verkauf seines Betriebs einen ermäßigten
Steuersatz, nämlich den halben durchschnittlichen persönlichen Steuersatz, in Anspruch
nehmen. Interessant für mittelständische Handwerker, aber nicht für die Dotcom-Szene,
bei der man mit 35 Jahren schon fast zum alten Eisen gehört.
Kein Wunder, dass Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer von Bitkom
(Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien), an der
rot-grünen Steuerreform einiges auszusetzen hat: “Wir hätten uns natürlich die
Gleichstellung der Personengesellschaften bei der Betriebsveräußerung gewünscht.
Es gibt ja nicht nur die berühmten Start-Ups; wir haben in der IT-Branche einen
soliden Mittelstand von 10.000 Unternehmen, die seit Jahren als Personengesellschaften
existieren. Das ist der größte Teil unseres Verbandes.” Auch dauere es zu lange, bis
die Entlastung der Unternehmen greife, nämlich erst im Jahre 2005. Bis dahin müssten
Unternehmer einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent bezahlen, wenn man den
Solidaritätszuschlag einberechne.
Damit nicht genug: “Ein weiterer gravierender
Schwachpunkt aus unserer Sicht ist es, dass es wiederum versäumt wurde, das komplizierte
Steuerrecht zu vereinfachen. Gerade für den Mittelstand stellt die ausufernde
Steuergesetzgebung ein großes Problem dar.” Der Klage einiger Unternehmen und Verbände
gegen die Steuerreform vor dem Bundesverfassungsgericht wolle man sich aber nicht
abschließen. Rohleder: “Das dauert Jahre. Unsere Branche denkt dagegen in Drei-Monats-
Zyklen.” Derzeit klopft Bitkom an die Türen des Bundeskanzleramts und der Ministerien,
um weitere Nachbesserungen der Reform zu erreichen. Allerdings mit mageren Aussichten:
“Momentan herrscht Jubelstimmung in Berlin, dass die Steuerreform den Bundesrat passiert
hat. Da herrscht wenig Neigung zu Änderungen”, sagt Rohleder.
Doch nicht nur das Eichelsche Gesamtkunstwerk, auch die Abgabenlast bereitet der
IT-Branche Kopfzerbrechen. “Allein durch die Änderung des Urheberrechts-Gesetzes,
wonach für Faxgeräte und Scanner künftig höhere GEMA-Abgaben anfallen, kommen Kosten in
Höhe von 100 Millionen Mark auf uns zu”, so Rohleder. Darüber hinaus werde die von
Brüssel forcierte Elektroaltgeräte-Verordnung die Unternehmen stark belasten.
“In der Außendarstellung setzt sich die Bundesregierung vehement für uns ein. Aber
wenn es budgetäre Zwänge gibt, sieht die Praxis häufig anders aus”, lautet Rohleders
Fazit.
Ähnlich kritisch fällt die Einschätzung der Steuerreform bei dem
Deutschen Multimedia Verband (dmmv) aus. Der dmmv zählt 1100 Unternehmen der IT- und Telekommunikationsbranche
zu seinen Mitgliedern. “Wir befürworten eine Nachbesserung. Die Regelung bei
Betriebsveräußerungen behindert gerade die Internet-Start-Ups”, sagt Burkard Luhmer,
der im dmmv für rechtliche Fragen und e-Commerce zuständig ist. “Der Missmut in der
Branche kann dazu führen, dass sich Business Angels künftig mit Engagements zurückhalten.
Dadurch ginge den Gründern wertvolles Know-how verloren.” Die Befürchtung: Wenn
Kapitalgeber ihr riskantes Engagement in Start-Ups durch den späteren Verkauf ihrer
Anteile nicht versilbern können, profitieren sie lieber bequem von Aktienkursgewinnen
der etablierten Unternehmen.
Das Bundesfinanzministerium reagiert auf die Kritik mit Achselzucken:
“Die Steuerfreiheit von Betriebsveräußerungen für Kapitalgesellschaften ist Ergebnis der
Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren. Danach wird erst dann besteuert,
wenn Kapital das Unternehmen verlässt. Und das ist nicht der Fall bei einem
Beteiligungsverkauf”, sagt Ministeriumssprecherin Andrea Herrmannsen. “Die Regelung ist
also in sich logisch. Außerdem erhalten die Personengesellschaften eine Verbesserung bei
der Einkommensteuer und können künftig die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer
anrechnen. Wir sehen daher keinen Anlass für eine Nachbesserung. Man kann nicht Äpfel
mit Birnen vergleichen.”
Etwas konzilianter gibt sich Jörg Tauss, Beauftragter der SPD-Bundestagsfraktion für
Neue Medien: “Ich hätte mir gewünscht, wenn man mehr für die Start-Ups getan hätte.
Eine Diskussion darüber wäre sinnvoller gewesen als der Streit über das
Halbeinkünfteverfahren und den Spitzensteuersatz. Aber die Linie in Bund und Ländern
war einhellig, man wollte keine Ausnahmen machen.” Wer kein Geld zur Gründung einer
GmbH habe und stattdessen eine Personengesellschaft gründe, würde ohnehin nicht hoch
besteuert. “Und wer sehr schnell mit seinem Start-Up Geld gemacht habe, soll auch
ordentlich Steuern zahlen”, meint Tauss. Den Vorwurf, die Steuerreform führe nicht zur
Vereinfachung des Steuerrechts, kontert der Bundestags-Abgeordnete so: “Einerseits
will die New Economy ein einfacheres Steuersystem, andererseits ruft sie nach
Sonderregelungen für die Internet-Branche. Das ist ein Widerspruch.” Letzten Endes, so
Tauss, sei das Problem aber grundsätzlicher Natur: “Steuern und Internet – das sind
immer noch zwei Welten.”