Die europäische @Large Gemeinde hat
gewählt: seit heute nacht um 2 Uhr mesz steht ihr Direktor für das ICANN Direktorium fest.
Das Rennen machte der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC)
Andy
Müller-Maguhn
. Das Wahlvolk setzte ein deutliches Zeichen und entschied sich für einen ICANN-Kritiker.

Wirklich überraschend kommt dieser Wahlausgang nicht.
Nachdem ICANN selber bereits im August fünf Kandidaten nominiert hatte,
konnten die registrierten Wähler aus einem Pool von über 30 Selbstnominierten zwei weitere
Kandidaten bestimmen. Hier setzten sich nach einer langwierigen
Abstimmungsphase, die bis Mitte September währte,
die Wissenschaftlerin Jeanette Hofmann und der Sprecher
der Hacker-Vereinigung CCC Andy Müller-Maguhn souverän gegen die Mitbewerber durch.
471 Stimmen waren nötig, um sich für den endgültigen
Wahlzettel zu qualifizieren, Müller-Maguhn verwies mit 2686 der Wählerstimmen die Mitbewerber
auf die Plätze.

Spätestens hier wurde deutlich, dass die europäischen @Large Wähler, bei denen die Deutschen
einen überproportionalen Teil stellten, einen unabhängigen Kandidaten favorisierten. ICANN
selber hatte fünf Kandidaten nominiert, die verstärkt aus wirtschaftlichen Zusammenhängen
stammten, und diese Auswahl wurde von den Wählern abgestraft. Der @Large Direktor soll die
Wählerschaft repräsentieren, ein Direktorium aus Wirtschaftsvertretern hat ICANN bereits.

Zu Beginn des Wahlkampfes standen also neben Alf
Hansen
, Maria Cattaui,
Oliver Popov und

Olivier Muron
drei Deutsche auf dem Stimmzettel:
Winfried Schüller
von der Telekom, Jeanette Hofmann und Andy Müller-Maguhn. Nachdem sowohl das
holprige Prozedere der Wählerregistrierung als auch die ICANN-Kandidatenkür heftig kritisiert
worden war, funktionierte der eigentliche Wahlkampf erstaunlich gut. Die sieben europäischen
Kandidaten standen in dem von ICANN eingerichteten Forum
Rede und Antwort. Dazu kamen noch einige Chats mit den Kandidaten, in denen über die Aufgaben
von ICANN und die persönlichen Ziele einiges zu erfahren war.

Die eigentliche Wahl, an der in Europa 11.309 Wähler, also nur 48,2 der registrierten
@Large Mitglieder teilnahmen, erfolgte in einem mehrstufigen Verfahren. Bereits im ersten
Durchgang setzte sich Müller-Maguhn an die Spitze und holte 52,6% der Stimmen. Jeannette
Hofmann folgte auf dem zweiten Platz mit immerhin 20,3 %, und den dritten Platz belegte der
dritte Deutsche vom "Team Telekom" Winfried Schüller mit 8,8%. Das Wahlergebnis belegt nicht
nur, dass die unabhängigen Kandidaten einen größeren Vertrauensvorschuss genießen, sondern,
dass die große Gruppe der deutschen @Large members wohl auch verstärkt national gewählt hat.

Müller-Maguhn, in Insider-Kreisen beileibe kein unbeschriebenes Blatt, hat während des
Wahlkampfes seine kritisch-konstruktive Haltung ICANN gegenüber immer wieder herausgestellt.
Er sieht das Internet als öffentlichen Raum, der auch von der Öffentlichkeit gestaltet werden
soll: "Ich
habe nichts gegen eine Erweiterung des Netzes um kommerzielle Bestandteile, aber
etwas gegen eine Vereinnahmung des öffentlichen Raumes durch kommerzielle
Interessen" sagte er in einem
Interview
mit politik-digital, und diese Haltung bekräftigte er in zahlreichen Statements
während des Wahlkampfes. So sieht er auch die Ausweitung der top-level
domains (.shop, .sex etc.) als Notwendigkeit, die jedoch nicht nur aus kommerziellen
Beweggründen vorangetrieben werden sollte: "Ich unterstützte die Einrichtung neuer TLDs, aber
ich möchte ein stärkeres Augenmerk auf ihre Kultur richten" erklärte der Hacker im ICANN Forum.

Ein Internet-Direktor und Netz-Philosoph? Auf jeden Fall ist Müller-Maguhn ein unbequemer
Neuzugang für das kalifornische Direktorium. Sicher wäre man dort mit einem @Large Direktor
aus Wirtschaftskreisen zufriedener gewesen, das beweist bereits die ICANN-Kandidatenauswahl.
Für die User ist Müller-Maguhn mit Sicherheit die richtige Wahl. Der Sprecher des Chaos
Computer Clubs, in dem sich Vor- und Querdenker der Szene bereits 1986 zusammengeschlossen haben, wird das
ICANN Direktorium auf Trab halten. Nicht zuletzt, damit die nächsten Wahlen für das @Large
Direktorium reibungsloser und vor allem benutzerfreundlicher ablaufen. Zahlreiche potentielle
Wähler hatten bereits Schwierigkeiten, sich registrieren zu lassen. Dann gab es Probleme bei
der Stimmabgabe, als die beiden @Large Kandidaten gewählt werden sollten, und schließlich soll
die Endabstimmung, für die ICANN den Dienstleister
election.com angeheuert hatte, mit
starken technischen Anlaufschwierigkeiten belastet worden sein.

In den meisten anderen Regionen konnte ICANN die eigenen Kandidaten durchbringen. In Afrika
gewann der Leiter der ghanaischen Ländercode-Domainvergabestelle Nii Narku Quaynor, in
Südamerika mit Ivan Moura Campos ein Mitglied der brasilianischen Domainvergabestelle. Für
Asien wird der Japaner Masanobu Katoh, Vorsitzender des Internet Law & Policy Forums (ILPF) und
Mitglied des DNSO Names Council, ins Direktorium einziehen.

Auf frischen Wind muss sich das ICANN-Direktorium, dem oft vorgeworfen wird, es sei
wirtschaftslastig und wenig demokratisch interessiert, nicht nur wegen des europäischen
Kandidaten gefasst machen. Auch die Nordamerikaner stimmten für einen "Querulanten".
Karl Auerbach gilt als harscher Kritiker des
"Internet-Strassenverkehrsamtes" und hatte bereits im Vorfeld angekündigt, sich für Reformen
einsetzen zu wollen. Vielleicht gelingt es dem Hacker Müller-Maguhn ja gemeinsam mit dem
Rechtsanwalt und Cisco-Angestellten Auerbach, die Internetbehörde zu einer wirklich
öffentlichen Einrichtung zu machen. Der Ausgang der ersten weltweiten @Large Wahl zeigt,
dass dies der Wählerwunsch der beiden mitgliederstärksten Regionen USA und Europa zu sein
scheint.