Der Streit um ACTA und eine Neuregelung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter ist noch längst nicht ausgefochten, da stiften Abkürzungen wie IPRED 1 und IPRED 2  für Verwirrung. Es scheint angebracht, mehr Klarheit in die Debatte zu bringen. Ein Versuch.

Sven Regeners Wutrede und das „Manifest“ der Tatort-Autoren haben die Diskussionen um eine Reform des Urheberrechts in der vergangenen Woche angeheizt und ihr einen deutlich emotionalen Ton verliehen. Allerdings könnte sich die Debatte erübrigen, sofern die EU-Richtlinie IPRED 2 oder das ACTA Abkommen noch bis Ende dieses Jahres für die Europäische Union beschlossen werden.

Dass bei dem Thema Handlungsbedarf besteht, hatten auch die Proteste gegen die ACTA-Umsetzung Anfang des Jahres gezeigt. Kurz nachdem die öffentlichen Diskussionen um ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) etwas abgeflaut waren, meldeten Mitte Februar zahlreiche Netzaktivisten, Netzmedien, Blogger und Teile der Piratenpartei, dass eine neue „Bedrohung“ auf die Internetgemeinde zukäme. Während die Bundesregierung sich mit der umfangreichen Analyse von ACTA beschäftigt, ist auf der europäischen Ebene längst die Roadmap zur Novellierung der EU Richtlinie IPRED 2 (Second Intellectual Property Rights Enforcement Directive)  herausgegeben worden. Das Problem ist allerdings, dass in vielen Blogs und Artikeln zum Thema Enforcement-Richtlinie bisher noch nicht klar genug zwischen IPRED 1 und IPRED 2 getrennt wurde. Dabei muss man vor allem beachten, dass einige Jahre zwischen der bereits in das deutsche Recht integrierten ersten Richtlinie und der in Planung befindlichen Überarbeitung liegen. Deshalb sollen die Unterschiede hier noch einmal verdeutlicht werden.

IPRED 1:

Hierbei handelt es sich um die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern vom 29. April 2004. Die Enforcement-Richtlinie IPRED 1 hat bis heute Gültigkeit und wurde auch in deutsches Recht umgesetzt, sie ist etwa Hintergrund für den urheberrechtlichen Auskunftsanspruch gegen die Provider. Die Richtlinie regelt zudem die prozessuale  Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte, beschränkt diese allerdings auf verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Maßnahmen. Mit dem ergänzenden Akt 2005/295/EG wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie (IPRED 1) konkretisiert und es wurde klargestellt, dass das Urheberrecht, aber etwa auch das Marken-, Geschmacksmuster- und Patentrecht erfasst sind.

IPRED 1 hätte bis zum 9. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Tatsächlich verabschiedete der Bundestag  das „Gesetz zur besseren Durchsetzung geistigen Eigentums“ jedoch erst am 11. April 2008.

Im Rahmen einer ersten Reformbestrebung der Kommission sollten auch strafrechtliche Sanktionen einbezogen werden, hierzu unterbreitete die Kommission einen (später noch überarbeiteten) Vorschlag, der sich aber nicht durchsetzte. Am 23. März 2007 sprach sich das Parlament  schließlich nach einigen Anpassungen mehrheitlich grundsätzlich für strafrechtliche Sanktionen bei etwaigen Verstößen gegen die oben genannten Rechte aus. Dabei wurden auch die bereits im April 2006 gemachten Vorschläge (2005/0127 (COD) aufgenommen. In Artikel 3 dieses Vorschlags hieß es unter anderem:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass jede vorsätzliche, in gewerblichem Umfang begangene Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums, der Versuch einer solchen Rechtsverletzung sowie die Beihilfe und Anstiftung dazu als Straftat gilt“.  Die Mitgliedstaaten sehen für Straftaten im Sinne von Artikel 3 folgende Sanktionen vor:

a) für natürliche Personen: Freiheitsstrafen;

b) für natürliche und juristische Personen:

i) Geldstrafen,

ii)   die Einziehung des Tatgegenstands, der Tatwerkzeuge und Erträge aus den Straftaten oder von Vermögensgegenständen, die im Wert diesen Erträgen entsprechen.

Darüber hinaus sehen die Mitgliedstaaten in geeigneten Fällen einer Verletzung der relevanten Rechtsgüter Straftaten im Sinne von Artikel 3 außerdem folgende Sanktionen vor:

a) die Vernichtung der schutzrechtsverletzenden Gegenstände;

b) die völlige oder teilweise, endgültige oder vorübergehende Schließung der Betriebsstätte, die überwiegend zur Begehung der Rechtsverletzung gedient hat;

c) die dauerhafte oder vorübergehende Gewerbeuntersagung;

d) die Unterstellung unter richterliche Aufsicht;

e) die gerichtliche Auflösung;

f) den Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen und Beihilfen;

g) die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen.

Ende Dezember 2010 erschien dann ein Bericht der Europäischen Kommission, welcher genauere Angaben zur Umsetzung von IPRED 1 machte. Die Kernaussage ist die Erkenntnis, dass bislang nur wenige Mitgliedsstaaten als Ergebnis der umgesetzten Richtlinie einen Anstieg an Schadensersatzklagen gemeldet haben. Demzufolge seien die verhängten Sanktionen zu gering ausgefallen, weshalb eine Verschärfung der Gesetzeslage notwendig sei. In dem Bericht heißt es:  „Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der von Gerichten verhängte Schadensersatz nicht dem Profit entspricht, den die Rechteverletzer erzielen“.

IPRED 2:

IPRED 2 ist nun der neuerliche Versuch einer Überarbeitung der Richtlinie der Europäischen Kommission vom 12. Juli 2005 und gibt den Bereich für die strafrechtlichen Rahmenbedingungen von IPRED 1 zum Schutz des geistigen Eigentums vor. So berechtigt IPRED 2 zu erweiterten Befugnissen, die es den Behörden erleichtern, das Eigentum einer Person, die wegen Verletzungen der Rechtsbedingungen aus straffällig wurde, ganz oder teilweise einzuziehen. Im Ernstfall ist das der Computer oder im übertragenden Sinne das Internet.

Seine erste Sitzung zum Thema IPRED 2 hatte das Europäische Parlament im April 2007. Die Richtlinie scheiterte im Parlament jedoch daran, dass die strittigen Elemente, wie die verschärften  Sanktionen gegen Rechtsverletzungen zur Kriminalisierung des Urheberrechts nicht beinhaltet waren. Erst im Januar 2012 wurde der Zeitplan zur Novellierung von IPRED 2 veröffentlicht, der eine Entscheidung bis September diesen Jahres vorsieht.

Das bedeutet, dass die ACTA-Demonstrationen der vergangenen Monate sich hauptsächlich gegen IPRED 2 und die damit möglicherweise verbundenen Verschärfungen der Sanktionen bei Urheberrechtsverletzungen richten. Der oben beschriebene 1. Wurf der Kommission ist vom Tisch,  der zweite liegt aber bislang noch nicht vor. politik-digital.de fragte Tobias O. Keber, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Akademischer Rat am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Internationales Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zu den umstrittenen Punkten in der IPRED2-Richtlinie. Tobias Keber:

„Konkretes lässt sich bis dato noch nicht sagen. Eine „Three-Strikes-Regel“ wird es wohl nicht geben. Nicht einmal ACTA enthielt sie und ACTA liegt zur Begutachtung beim Europäischen Gerichtshof, der nun entscheiden muss, ob ACTA mit den europäischen Grundrechten vereinbar ist. Auch IPRED 2 müsste mit den Grundrechten vereinbar sein und zudem grundlegenden Vorgaben wie etwa der Unschuldsvermutung entsprechen.“

Jetzt ist zudem bekannt geworden, dass der zuständige Handelsauschuss  sich entgegen früherer Forderungen entschieden hat, dem Europäischen Gerichtshof keine weiteren Fragen zum Handelsabkommen vorzulegen und die entscheidende Abstimmung auf den 30. Mai zu verlegen. Das heißt, dass das Parlament noch in diesem Sommer über die Regelungen abstimmen können wird. Wenn sich im Juni oder Juli eine Mehrheit gegen ACTA ausspricht, ist das Abkommen endgültig vom Tisch. Die weitere Entwicklung um IPRED2 sollte vor diesem Hintergrund genau beobachtet werden.

Dieser Artikel enstand mit der Unterstützung von Dr. Tobias O. Keber.