Am 7. Oktober starteten Sarah Bidoli und Sebastian Horn ihre Dokumentarreise durch die USA. Pünktlich zur heißen Wahlkampfphase möchten sie Land und Leute kennenlernen und den Zustand der amerikanischen Gesellschaft im Jahr 2012 unter die Lupe nehmen. Das Besondere an dem ambitionierten Projekt: Die beiden Berliner treten dafür in die Fußstapfen des berühmten französischen Philosophen Alexis de Tocqueville und reisen auf dessen Spuren durch das Land. Festgehalten werden ihre Eindrücke in ihrem Reiseblog. politik-digital.de hat mit beiden über ihre Motivation, die Reisevorbereitungen und ihre Erwartungen gesprochen.

    
In den USA finden am 6. November 2012 Wahlen statt. Lesen Sie weitere Beiträge zum US-Wahlkampf in unserer Reihe #US2012
Tocqueville unternahm 1831/1832 eine Reise nach Nordamerika und zeigte sich in seinen Tagebucheinträgen fasziniert von den Amerikanern, ihrem Wahlrecht und dem Land. „Tumult, Gezeter, Stimmengewirr, alles ist in Bewegung“ lauteten damals seine ersten Eindrücke vom unbekannten Kontinent.

Rund 180 Jahre später wagen sich der Social Media-Redakteur Sebastian Horn und die studierte Tanz- und Theaterwissenschaftlerin Sarah Bidoli auf die 5.000 Kilometer lange Route. Dabei möchten sie sich mit der Frage auseinander setzen, was die Amerikaner derzeit umtreibt, was die US-Gesellschaft spaltet und was sie zusammenhält. Tocquevilles Buch dient ihnen dafür als Inspiration und Wegweiser, um die amerikanische Demokratie besser zu verstehen.

Obwohl Sebastian Horn bereits während seiner Schulzeit ein Jahr in den USA verbrachte, freut er sich auf die Herausforderung, durch Gespräche, Interviews und Beobachtungen eine neue Sicht auf die Amerikaner zu bekommen. Einige Interviews konnten die zwei bereits im Voraus organisieren. Dennoch wollen sie sich auch genügend Raum für ungeplante Begegnungen lassen, erklärt die gebürtige Luxemburgerin Bidoli im Interview.

Am Ende der Reise sollen dann die Eindrücke zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. In welcher Form das passiert – ob in einem langen Essay, einem Dokumentarfilm oder einem Bildband – wollen sie nach ihrer Rückkehr entscheiden.

politik-digital.de: Was ist Eure Motivation für die Reise?

Sarah Bidoli: Uns treibt vor allem die Neugierde an, die amerikanische Gesellschaft besser kennenzulernen. Von Europa aus sieht man die USA ja überwiegend durch den Filter der Medien, TV-Serien und Hollywood-Filme. Das ist uns aber zu wenig. Wir wollen die USA aus Sicht der Menschen kennenlernen, die dort leben.

politik-digital.de: …und dafür habt Ihr als Reisetermin die heiße Wahlkampfphase gewählt?

Sebastian Horn: Ja, den Zeitpunkt unserer Reise haben wir bewusst in die letzten Wochen des Wahlkampfs gelegt. Wir gehen davon aus, dass die Wahlen die Menschen besonders emotionalisieren. Außerdem glauben wir, dass kulturelle Unterschiede – zum Beispiel zwischen Liberalen und Konservativen, aber auch zwischen Amerikanern und Europäern – zu dieser Zeit besonders deutlich hervortreten.
Ein weiterer Grund für die Reise ist, dass wir Freude daran haben, zu filmen, zu fotografieren und zu bloggen. Diese Dokumentarreise wird uns dafür ausreichend Gelegenheit bieten.

politik-digital.de: Wieso Tocquevilles Route?

Bidoli: Alexis de Tocqueville und sein Wegbegleiter Gustave de Beaumont haben 1831/32 eine faszinierende Reise durch die noch junge USA gemacht. Dank ihrer Tagebucheinträge und Briefe lässt sich recht genau nachvollziehen, wo sie überall waren und was sie erlebt haben. Wir finden die Idee spannend, ihre damaligen Beobachtungen mit den heutigen USA abzugleichen.
In seinem Werk “Demokratie in Amerika”, das Tocqueville nach seiner Rückkehr veröffentlicht hat, behandelt er viele Fragen zu Demokratie und Gesellschaft, die immer noch relevant sind. Er schreibt zum Beispiel über das Engagement der Bürger in ihren Communitys und über den Einfluss von persönlichem Reichtum auf die Politik. Seine Analysen werden uns auf unserer Reise inhaltlich leiten.

Horn: Insbesondere wollen wir uns auf die Frage konzentrieren, was die amerikanische Gesellschaft spaltet und was sie zusammenhält. Es heißt ja häufig, die USA seien gesellschaftlich und politisch so zerrissen wie nie zuvor. Wir möchten gern wissen, ob das die Amerikaner selbst auch so sehen: Welche Spaltungen nehmen sie wahr, welche Werte und Ideen halten das Land aus ihrer Sicht noch zusammen?

politik-digital.de: Was erwartet Ihr vom amerikanischen Wahlkampf?

Bidoli: Der amerikanische Wahlkampf ist eine gigantische, unglaublich teure Show. Die Inszenierungen der Kandidaten wirken auf uns als Europäer eher befremdlich. Uns interessiert zum einen, wie es sich anfühlt, mittendrin zu sein: Wir wollen zum Beispiel Wahlhelfer der Demokraten und Republikaner begleiten, wenn sie von Tür zu Tür gehen, um die Bewohner von ihrem Kandidaten zu überzeugen. Wir wollen außerdem wissen, wie sich der Wahlkampf in Gegenden anfühlt, die weniger heiß umkämpft sind als die Swing States. Vielleicht gibt es dort Orte, in denen man fast nichts von den Wahlen spürt.

politik-digital.de: Wie bereitet man sich auf solch eine Reise eigentlich vor?

Horn: Wir verfolgen das politische Tagesgeschehen über Nachrichtenseiten, Blogs und Twitter. Ehrlich gesagt lesen wir aber nicht jeden einzelnen Bericht und jede einzelne Analyse. Wir haben natürlich Tocquevillles “Demokratie in Amerika” gelesen und die von George Wilson Pierson herausgegebenen Tagebucheinträge und Briefe. In den letzten Monaten haben wir uns zudem mit Klassikern aus der amerikanischen Literatur auf die Reise eingestimmt – darunter waren u.a. Bücher von Kerouac, F. Scott Fitzgerald und S.D. Salinger.

Die Reise wird fotografisch festgehalten und auf dem Blog http://www.tocqueville2012.org mit Kurzfilmen und Textbeiträgen dokumentiert. politik-digital.de wird ebenfalls über die Reise berichten.