Als Volksparteien müssen CDU und CSU viele Strömungen vereinen. Das zeigt sich insbesondere bei der Netzpolitik. Zwischen Innovationsfreudigen, Lernwilligen und Internetregulierern ist "die" netzpolitische Leitlinie nicht immer klar erkennbar. In der Serie "Parteien im Netz" nimmt politik-digital.de in loser Folge die fünf im Bundestag vertretenen Fraktionen unter die digitale Lupe: Wo stehen sie netzpolitisch? Wie organisieren sie sich im Web? Und: Wer sind die Köpfe dahinter?

Koalitionsvertrag sorgt für Aufschub

Die Unionsfraktion verabschiedete in der vergangenen Legislaturperiode das Zugangserschwerungsgesetz – damals noch in der Großen Koalition mit der SPD. Die Union wurde für viele User zum roten Tuch in Sachen Netzpolitik. Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) personifizierte als "Zensursula" die geplanten Internetsperren – und wurde zur Zielscheibe des Protests.

Die neue schwarz-gelbe Regierung setzte Netzsperren unter der Prämisse "Löschen statt Sperren" zunächst aus. Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, das Problem werde nach einem Jahr ergebnisoffen neubewertet. Laut dem stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Michael Kretschmer (CDU), befinde sich die Union derzeit in der Meinungsfindung. Für ihn müsse eine Lösung "auch den Sachverstand der Netzaktiven und der Branchenverbände einbeziehen", so der Bundestagsabgeordnete zu politik-digital.de. Am 26. Oktober 2010 wird der Koalitionsvertrag ein Jahr alt. Es stünde also – wenn man vom Unterzeichnungsdatum ausgeht – die Evaluation der Netzsperren an.  

Aufgeschoben hat man auch die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Der staatliche Zugriff auf die Telekommunikations- und Verbindungsdaten der Bürger wurde im Koalitionsvertrag lediglich ausgesetzt. Stattdessen ließ man das Bundesverfassungsgericht entscheiden (politik-digital.de berichtete). Die Vorratsdatenspeicherung wurde zwar in ihrer damaligen Form für verfassungswidrig erklärt, doch eine EU-Richtlinie verpflichtet Deutschland zu einem neuen Gesetzentwurf.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht diese Aufgabe bei Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Er wolle seine Kabinettskollegin bei der Planung "drängend unterstützen", sagte er in einem ersten Statement nach der Urteilsverkündung. Ein neuer Gesetzesentwurf lässt jedoch auf sich warten.  

Und Aufschub, die Dritte: Der Koalitionsvertrag verspricht die Gründung einer "Stiftung Datenschutz". Von dieser existiert bislang wenig – abgesehen von einem internen Eckpunktepapier (mehr dazu im FDP-Artikel der Serie "Parteien im Netz").

Starkes Urheberrecht – aber wie?

"Das Internet darf kein urheberrechtsfreier Raum sein", steht im Koalitionsvertrag. Urheberrechtsfreiheit im Internet sei "digitaler Kommunismus", sagt Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU und Bundestagsabgeordnete gegenüber politik-digital.de. In Sachen Urheberrecht weiß die Union eigentlich nur, was sie nicht will: die Kulturflatrate. Eine solche monatliche Pauschalabgabe belaste die Bürger unabhängig von der tatsächlichen Nutzung geschützter Inhalte, argumentiert Bär. Bei Lösungsansätzen bleibt die Union vage.

Konkreter sind da die Pläne zur Einführung eines "Leistungsschutzrechts für Presseverlage" (mehr dazu im FDP-Artikel der Serie), welche ebenfalls im Koalitionsvertrag verankert sind.

Alleinstellungsmerkmal gesucht

Der Koalitionsvertrag lässt vielfach Spielräume, um alte Beschlüsse zu überdenken und sich netzpolitisch neu aufzustellen – siehe Zugangserschwerungsgesetz. Jedoch entstand der Koalitionsvertrag in Zusammenarbeit mit der FDP. Es bleibt also die Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal der Unions-Netzpolitik. Kretschmer beruft sich hierzu auf die CDU-Werte "Freiheit, Sicherheit und Solidarität". In der Netzpolitik werde "die Abwägung zwischen ‘Freiheit’ und ‘Sicherheit’ sicherlich eine wichtige Rolle spielen", sagte er gegenüber politik-digital.de.

Eindeutig positionierte sich vor kurzem die Junge Union (JU). In "Freiheit und Verantwortung – Plädoyer für eine moderne Netzpolitik", spricht sich der Deutschlandrat der CDU/CSU-Jugendorganisation gegen ein Leistungsschutzrecht und für "Löschen statt Sperren" aus. Einen Internetminister hält die JU für "dringend erforderlich". Netzpolitisch relevant ist dieser Beschluss, weil der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder und seine Stellvertreterin Dorothee Bär schon jetzt einflussreiche Positionen in CDU und CSU innehaben und ihre Stellung in der Union noch stärken könnten. Für Stefan Hennewig ist "Netzpolitik ein klassisches Thema, wo die Junge Union die CDU treiben kann", so der Bereichsleiter Internes Management und Online-Wahlkämpfer der CDU zu politik-digital.de

Offline-Gremienarbeit

Die CDU/CSU-Fraktion diskutiert Netzpolitik in einem eigenen Gesprächskreis. Dieser ist offen für alle Parteimitglieder. Prominentester Teilnehmer ist CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Durch ihn soll der Gesprächskreis und damit Netzpolitik parteipolitischen Stellenwert erlangen. Für netzpolitische Expertise sorgen unter anderen die Mitglieder der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" im Bundestag, Thomas Jarzombek und Peter Tauber. Standpunkte werden virtuell diskutiert und im eigenen Wiki festgehalten. Dieses liegt allerdings im parteiinternen CDUnet und ist nicht öffentlich zugänglich. Eine Online-Präsenz hat die Runde anders als ihr SPD-Pendant nicht. politik-digital.de erfuhr nur auf Nachfrage bei der CDU-Pressestelle vom netzpolitischen Gesprächskreis.

 




 

Ebenfalls "offline" trifft sich unter Vorsitz von Dorothee Bär der Netzrat der CSU. In diesem Gremium wolle man "eine Internetpolitik für die CSU entwickeln, um im Netz als kompetenter Diskussionsteilnehmer und politischer Ansprechpartner wahrgenommen zu werden", so Bär. Laut der stellvertretenden CSU-Genrealsekretärin setzt der Netzrat vor allem auf Sachverstand von außen. Neben dem CSU-Enquête-Mitglied Reinhard Brandl gehören vier Experten der Runde an, unter anderen der Rechtsprofessor Dirk Heckmann. Bär hat zudem angekündigt, den Chaos Computer Club in das „schlanke Expertengremium“ einzuladen. Auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt versuche, so oft wie möglich dem Netzrat beizuwohnen, heißt aus der CSU-Parteizentrale. Konkrete Auskunft, wie die Nutzer an der Arbeit des Rates beteiligt werden, konnte die Partei auf Anfrage von politik-digital.de nicht geben.

Online-Programmdiskussion

Offener in Sachen Partizipation ist die Junge Union Bayern. Die Anträge zur Landesversammlung 2010 wurden online diskutiert. Auch Nicht-Mitglieder konnten sich beteiligen.

Die CSU sammelt ebenfalls online Ideen. So kann man in der Aktion "Leitbild 2010plus" in Foren und auf Facebook Vorschläge für die Zukunft der Partei machen, die dann auf dem CSU-Parteitag 2010 Gehör finden sollen. Laut Bär diskutiere man in diesem Zusammenhang auch über bessere Online-Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger und Parteibasis.

 

 

Bei der Schwesterpartei findet Partizipation im CDUnet statt. Um mitmachen zu können, muss man allerdings Parteimitglied sein. Nach CDU-Angaben hat hier im Jahr 2001 der erste "Online-Parteitag" stattgefunden. 2007 konnte man online am Grundsatzprogramm mitarbeiten. Aktuell entwerfe man "einige netzpolitischen Positionen der CDU" im internen Wiki, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Kretschmer auf Anfrage von politik-digital.de. Fazit: Textarbeit dominiert bei der CDU auch in 2010. Webbasierte Mitglieder- und Unterstützerkampagnen, wie bei der Linkspartei oder den Grünen, sucht man bei der Union außerhalb des inzwischen stark heruntergefahrenen Wahlkampfnetzwerks "Team Deutschland" vergeblich.

Stefan Hennewig ist "stolz darauf, dass wir als einzige Partei seit Mitte der 90er Jahre ein offenes Diskussionsforum anbieten", sagte er 2009 im politik-digital.de-Interview. Auch wenn man dem Forum sein Alter ansieht, gibt es hier noch täglich neue Beiträge.

Das Blog der Union findet man unter blogfraktion.de. Ein großes Thema ist die Internet-Enquête, aber auch nicht-netzpolitische Themen werden angesprochen.

Das Personal – ein weites Feld

Auf der einen Seite stehen hier die Regulierer. Ursula von der Leyen ist wohl das prominenteste Beispiel. Es gibt aber innerhalb der Union noch andere Befürworter von mehr staatlichem Eingriff im Internet. So sei laut der bayerischen Justizministerin Beate Merk "die Laissez-faire-Politik der FDP bei Kinderpornos im Netz grob fahrlässig." Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sagte anlässlich der Eröffnung des Kölner Medienforums im Juni 2010: "Es kann nicht sein, dass im Internet alles erlaubt ist."

 




 

Zwischen den Stühlen sitzt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Sein Projekt "Perspektiven deutscher Netzpolitik" war für ihn "ein Forum, auf dem ich öffentlich lernen durfte". Der Internet-Enquête-Vorsitzende Axel E. Fischer (CDU) bezeichnet sich im politik-digital.de-Videointerview als "durchschnittlichen Anwender", sagt aber auch, dass er sich "in zwei Jahren anders im Internet bewegen wird als heute." Ein Indiz: Seit Juli 2010 twittert Axel E. Fischer.

Die netzpolitischen Experten runden das Meinungsspektrum ab:

Quelle: www.michaelkretschmer.deMichael Kretschmer (CDU) ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion maßgeblich mitverantwortlich für die Medienpolitik der Union, gilt als einer der Initiatoren der Enquête-Kommission und bezieht klar Stellung gegen das Zugangserschwerungsgesetz. "Eine Sperre ist nur eine Scheinlösung", sagte er zu politik-digital.de. Er setzt sich zudem für OpenAccess und OpenData ein.

Quelle: www.petertauber.dePeter Tauber (CDU) ist Mitglied in der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft". Im Enquête-Mitgliedertest von politik-digital.de war Tauber der beste CDU-Abgeordnete. Und er beweist Lernfähigkeit: Damals führte das Nicht-Vorhandensein eines Blogs noch zur Abwertung. Hier legte Tauber nach. Außerdem lädt der Historiker wöchentlich mit seiner "Freitagsfrage" zur (virtuellen) Diskussion ein.

Quelle: www.dorothee-baer.deDorothee Bär (CSU) ist seit dieser Legislaturperiode nur noch stellvertetendes Mitglied im "Unterausschuss Neue Medien" im Bundestag. Trotzdem ist die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr präsent in Sachen Netzpolitik. Für die CSU war sie die einzige Vertreterin in der Arbeitsgruppe, die die Bereiche Kultur und Medien des christlich-liberalen Koalitionsvertrags verhandelt hat. Bär sitzt auch in der Jury des deutschen Computerspielpreises. Übrigens: Gegenüber politik-digital.de gab sie an, das iPad "bestimmt zwei Wochen" länger als ihre FDP-Kollegen zu besitzen.

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