Die Politik erfährt einen enormen Wandel in der digitalisierten Gesellschaft, der für Politiker und Kampagnenmacher Chancen aber auch Risiken birgt. Gemeinsam mit Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat politik-digital.de die Frage erörtert, wie das Internet die politische Kommunikation verändert hat. Im ersten Teil des Interview geht es um die Forschergruppe”Politische Kommunikation in der Online-Welt”, die Professor Vowe mit initiiert hat.

politik-digital.de: Herr Prof. Vowe, welche Themen stehen im Fokus Ihrer Arbeit?

Gerhard Vowe: Unser Interesse gilt dem Wandel der politischen Kommunikation – getrieben vom Medienwandel und mit der Folge politischen Wandels. Dieser Wandel äußert sich zum Beispiel darin, dass sich das politische Weltbild von Jugendlichen verändert weil sie ganz andere Informationsquellen nutzen. Oder dass sogenannte Public Interest Groups, z.B. im Ernährungsbereich, die Online-Medien als Sprungbrett in die etablierten Medien nutzen, um dort ihre Themen zu setzen.

Dahinter steht die Frage für uns, was denn das Gemeinsame an den vielen einzelnen Phänomenen ist – wer treibt hier wen? Welche Rolle haben technische Innovationen, welche der sozio-kulturelle Wandel, welchen Gestaltungsspielraum haben politische Organisationen? Um diese Frage zu beantworten, überprüfen wir, in welchem Maße sich etablierte kommunikationswissenschaftliche Ansätze unter den Bedingungen der Online-Welt bewähren.

politik-digital.de: Die Forschergruppe beschäftigt sich u.a. mit der öffentlichen Kommunikation zwischen Bürgern, politischen Organisationen und (Online-)Medien. Was hat sich hier in den letzten Jahren verändert? Können Sie Beispiele nennen?

Gerhard Vowe: Wir erleben es ja am eigenen Leibe! Gerade die öffentliche politische Kommunikation hat sich zusehends beschleunigt in letzter Zeit: die Themen, die Positionen, die Bewertungen – alles das wechselt in viel schnellerer Folge als früher. Die öffentliche politische Kommunikation ist viel pluraler geworden. Die Rolle von Gatekeepern und Meinungsführern ist geschwächt worden. Es sind sehr viel mehr unterschiedliche Stimmen zu hören. Die öffentliche politische Kommunikation ist aber nicht nur pluraler, sondern auch komplexer geworden.Man sieht sich bei einem politischen Problem wesentlich mehr Aspekten gegenüber, die man zu einem Gesamtbild zusammensetzen muss. Nehmen sie die Eurokrise: Wie schnell wechselt hier der Fokus, wie viele unterschiedliche Akteure äußern sich mehr oder weniger lautstark, mit wie vielen Aspekten werden wir konfrontiert? Diese Veränderungen sind zu einem guten Teil auf die Durchsetzung von Online-Medien zurückzuführen – am deutlichsten bei der Beschleunigung. Und dabei sind die Potenziale, die der Medienwandel in sich birgt, bislang bei Weitem nicht ausgeschöpft.

politik-digital.de: Ende Mai hat Ihre Forschungsgruppe die ICA-Preconference „Political Communication in the Online World” in Phoenix, Arizona initiiert. Über 50 internationale Forscher diskutierten über die Veränderungen der politischen Kommunikation durch Online-Medien. Welche Erkenntnisse oder Ergebnisse hat der Dialog gebracht? Gibt es nationale Unterschiede?

Info: Die Forschergruppe “Politische Kommunikation in der Online-Welt” ist im April 2011 entstanden. Seitdem erforschen zehn Kommunikationswissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz in sieben Teilprojekten die Grundlagen der politischen Kommunikation in der Online-Welt.
Finanziert wird die Forschergruppe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Federführung hat Gerhard Vowe von der Universität Düsseldorf. Das Projekt untersucht die Veränderungen der politischen Kommunikation durch das Internet aus mehreren Perspektiven und bringt diese zusammen.

Gerhard Vowe: Auch bei einer globalen Medieninfrastruktur, wie sie das Internet bereitstellt, bilden sich nationale Unterschiede heraus, die stark geprägt sind von der jeweiligen politischen Kultur. So war es durchaus erstaunlich, in welchem Maße die US-Amerikaner von der Sorge bestimmt sind, dass die Gesellschaft zerfällt in feindliche Lager, die einander unversöhnlich gegenüberstehen und zwischen denen keine gemeinsame Normen vermitteln („incivilities“). Dies wird zu einem großen Teil auf die Medien und gerade auch auf die Online-Medien zurückgeführt. Interessant ist auch, in welchem Maße mit herkömmlichen Theorien zu Kommunikation und Medien gebrochen wird; und interessant ist zum dritten, welche methodischen Innovationen sich andeuten, insbesondere durch die Nutzung der durch das Internet produzierten Daten (z.B. Logfile-Analysen).

politik-digital.de: Und zum Abschluss: Woran arbeiten Sie aktuell? Welche Themen bzw. Projekte stehen als nächste an?

Gerhard Vowe: Gegenwärtig treiben mich drei Fragen um. Die erste Frage zielt auf den Forschungsverbund selbst: Wie können der notwendige Freiraum für die einzelnen Teilprojekte und das erforderliche Maß an Koordination vernünftig ausbalanciert werden? Die zweite Frage zielt auf das Teilprojekt, das ich mit Marco Dohle zusammen durchführe: Welche Folgen haben denn eigentlich die unterschiedlichen Einschätzungen dazu, welcher politischer Einfluss den Online-Medien zuzuschreiben ist? Verändert eine solche Einschätzung überhaupt das Verhalten, z.B. von Politikern oder von Bürgern? Und die dritte Frage ist die ganz generelle Frage, wie sich die verschiedenen Mosaiksteinchen zu einem theoretischen Gesamtbild zusammensetzen lassen. Welche Art von Theorie ist also geeignet, die Veränderungen der politischen Kommunikation hinreichend zu erfassen, plausibel zu erklären und vielleicht sogar in einem gewissen Maße vorauszusagen?

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews.

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