UnbenanntEs war eine eher vage formulierte Vision des Koalitionsvertrages von 2013: Das FSJ_digital. Die Idee: Die “Digital Natives” geben im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres ihre digitalen Medienkompetenzen an Andere weiter. Wir haben uns in Rheinland-Pfalz umgehört, was aus dem Modellprojekt wurde.

Wenn Marten Gerdnun über das FSJ_digital spricht, merkt man ihm die Begeisterung förmlich an. Der Pädagoge aus Flensburg wurde vor drei Jahren von seiner Heimat Flensburg aus in das rheinland-pfälzische Kulturbüro einberufen, um dort ein Mammutprojekt umzusetzen: das FSJ_digital. Was darunter genau zu verstehen ist? Das wusste damals keiner genau, lacht Gerdnun. Klar war nur: Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag 2013 ein Modellprojekt geplant, bei dem die digitalen Kompetenzen junger Menschen im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres genutzt und an die entsprechenden Einsatzstellen weitergegeben werden sollten:

“…Wir befürworten ein „Modellprojekt Freiwilliges Soziales JahrDigital“, damit junge Menschen ihre technischen Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang und in der Anwendung von neuen Medien in den Dienst von gemeinnützigen Einrichtungen stellen und diese bei der Umsetzung von digitalen Projekten und der Vermittlung von Medienkompetenz unterstützen…”

Das FSJ als “Add-on”

Zwei Bildungsträger erhielten den Zuschlag für das FSJ_digital: das Kulturbüro in Rheinland-Pfalz und das Rote Kreuz in Sachsen-Anhalt. Wie so häufig im Zusammenspiel von Politik und öffentlichen Trägern kam zwar das Geld, aber kein konkreter Plan. Und so bastelte Gerdnun, dessen zweite Leidenschaft schon immer die Medienproduktion war, mit einem kleinen Team unentwegt an einem zukunftsfähigen Konzept. Ihre Idee: Das FSJ-digital als Add-On. Die FSJler können sich auf der eigens eingerichteten Homepage mit einem selbst erdachten Projekt für ihre Einsatzstelle bewerben. Sie erhalten im Gegenzug dazu die notwendigen Materialien und werden in vom Kulturbüro organisierten Workshops und Seminaren geschult. Die Expertise der dort Unterrichtenden ist vielfältig, genauso wie die behandelten Themen: Vom richtigen Umgang mit sozialen Medien bis zur Videoproduktion ist alles dabei. Und: Die Lehrenden kommen aus verschiedenen Fachgebieten, haben nicht zwangsläufig einen pädagogischen Background.  Im Gegenzug zur klassischen Schulbildung bietet das deutlich mehr Möglichkeiten, denn die digitalen Kompetenzen von Lehrern sind aufgrund starrer Strukturen im deutschen Bildungssystem oftmals gar nicht bis wenig ausgereift.

Marten GerdnunMarten Gerdnun ist studierter Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge. Seit 2015 arbeitet er als Projektkoordinator und Medienbildungsreferent an dem Modellprojekt FSJ_digital. Das von Gerdnun für den Offenen Kanal Schleswig-Holstein konzipierte Projekt „Schüler-Medien-Lotse“ gewann 2016 die Google Impact Challenge in der Kategorie Lokale Projekte.

Riesiger Ansturm auf das Projekt

Die FSJler hatten immer eine Menge Spaß, betont Gerdnun. Besonders die Gemeinschaft sei in den Digital-Seminaren immer ein großes Plus gewesen. Er agiert auch selbst als Ansprechpartner und hat ein sogenanntes “Sorgentelefon” eingerichtet. Wenn die Jugendlichen in ihrem Projekt Probleme haben, können sie das weitere Verfahren jederzeit mit Mitarbeitern des Kulturbüros absprechen. Von Anfang an sei das Interesse groß gewesen. So groß, dass sich mittlerweile über ein Dutzend anderer Träger von sozialen Einrichtungen bei Gerdnun gemeldet habe, um das FSJ_digital auch in ihren Einsatzstellen verwirklichen zu können. Das belegen auch die Zahlen: Während es im ersten Jahr bereits 49 Anträge gab, hat sich die Anzahl im zweiten Jahr mit rund 91 Anträgen fast verdoppelt.

Eine Aufgabe, die das Kulturbüro trotz aller Euphorie regelmäßig an ihre Grenzen bringt. Gerdnun setzt trotzdem darauf, dass die Politik durch das FSJ_digital ein Bewusstsein für die Bedeutung von Medienbildung entwickelt. Leider gebe es immer noch zu viel Konkurrenzdenken in öffentlichen Einrichtungen und wenig Platz für die Umsetzung wichtiger Projekte auf übergeordneter Ebene, meint der Pädagoge. Und: Ein FSJ_digital reiche bei Weitem nicht aus, um endlich den Digitalisierungs-Rückstand in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen auszugleichen. Wo Hardware und Soft-Skills fehlen, wo Bürokratie und starre Strukturen den Fortschritt hemmen, ist der Einsatz junger Menschen und das Engagement einzelner Projektleiter wie Gerdnun oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

FSJler bei einem Digitalseminar des rheinland-pfälzischen Kulturbüros.
FSJler bei einem Digitalseminar des rheinland-pfälzischen Kulturbüros.

Achtjährige iPhone-Besitzer und hoffnungsvolle Lehrer

Dass der Digitalisierungs-Rückstand im öffentlichen Sektor nicht auf mangelndes Interesse der Einsatzstellen zurückzuführen ist, hat auch Mailin schnell bemerkt. Nach dem Fachabi entschied sie sich für ein FSJ an einer Grundschule in Koblenz. Hier wollte die 21-Jährige, die ein Lehramtsstudium anstrebt, eigentlich nur in das spätere Berufs-Umfeld “hineinschnuppern”. Stattdessen traf sie auf achtjährige iPhone-Besitzer und hoffnungsvolle Lehrer. Die Direktorin hatte vom FSJ_digital gehört und wollte unbedingt, dass ich dort ein Projekt anmelde, erzählt Mailin. An ihrer Schule hätte es außer gelegentlichem Computer-Unterricht quasi keinerlei Digitales gegeben. Keine technische Ausstattung, geschweige denn Know-How. Im Gegensatz dazu seien jedoch bereits die Drittklässler zum großen Teil mit Smartphones ausgestattet gewesen. Wenn die Glocke zum Schulschluss geläutet hat, haben dann alle sofort wie wild angefangen zu spielen, lacht die FSJlerin.

Auch die Lehrer sind neugierig

Die Eltern berufstätig, die Schule kaum medienkompetent. Als Mailin, die begeisterte Hobby-Photographin, ihren Antrag auf einen Fotokurs bewilligt bekommt, ist die Freude bei allen groß. Nicht nur die Kinder, auch die Lehrer sind neugierig. Einige kamen gleich zu mir und wollten die projektfinanzierten Geräte für den eigenen Unterricht ausleihen, berichtet Mailin. Sie bringt den Kindern nicht nur bei, wie schöne Bilder geschossen werden, sondern geht weit darüber hinaus: Im von Mailin erdachten Konzept des “Kameraführerscheins” lernen die Schüler auch spielerisch digitale Urheberrechte kennen und müssen die Bilder letztlich am PC bearbeiten und ausdrucken. Dass dies für die Kinder so schwierig zu erlernen ist, hatte die FSJlerin jedoch nicht erwartet. Doch bereits das Übertragen von JPEG-Dateien auf den Laptop sei eine riesige Hürde gewesen – und das unabhängig davon, ob die Kinder ein Smartphone besitzen oder nicht.

Viel Smartphone, wenig Medienkompetenz

Diese und andere Erfahrungen zeigen: Die “Digital Natives” werden viel zu häufig alleine gelassen. Die intuitive Bedienung erleichtert selbst für die Jüngsten den Einstieg in die Welt von Smartphone und Tablet. Weder Schule noch Eltern können jedoch derzeit an diesem Punkt Hilfestellung leisten, um den richtigen Umgang mit der Technik und jenen miteinander im Netz zu vermitteln. Der Einzug des Digitalen in die Lebenswelten der Jüngsten bleibt deshalb auf einer unvollständigen Ebene. Viele Kinder können nicht mal richtig lesen und schreiben, weiss Mailin zu berichten. Diese Ambivalenz habe sie des Öfteren gewaltig überrascht. Trotz vieler Schwierigkeiten sei ihr Projekt dennoch ein großer Erfolg gewesen. Auf der 125-jährigen Jubiläumsfeier der Schule erstellten die von Anfang an wissbegierigen Kinder dann mithilfe eines Programmes eigene Fotos der Teilnehmer im Comic-Format. Und auch die Direktorin war mehr als dankbar, dass durch das Engagement der 21-Jährigen in der Schule auch endlich digitale Inhalte eine Rolle spielten. Sie war sehr glücklich und hat sich innig bedankt, erinnert sich Mailin.

0-weu-d3-405fbe793b5aeb3a3bb6144467b3d9a1Mailin Karaskiewicz aus Andernach, 21, kam durch Interesse am Lehrerberuf und über eine Kollegin von der Caritas zum FSJ_digital. Mit einem Fotoprojekt leistete sie einen großen Beitrag zur Digitalisierung ihrer Einsatzstelle, einer Grundschule in Koblenz. Bild: Privat

FSJler digitalisieren Institutionen

Gerade deshalb hofft sie, dass Marten Gerdnun und sein Team irgendwann mit Sicherheit wissen, dass die Finanzierung weiterer Jahrgänge nicht ausbleibt. Denn besonders die Einsatzstellen profitieren massiv vom FSJ_digital. Die Freiwilligen helfen häufig entscheidend bei der Einrichtung von Webpräsenzen und Social-Media-Kanälen, vermitteln Jung und Alt wichtige Medienkompetenzen und ermöglichen sogar teilweise die technische Aufrüstung der jeweiligen Institution. Auch wenn diese Aufgabe eigentlich bei anderen läge. Zu oft, sagt Gerdnun, habe er das Gefühl, die Politik verstehe den Prozess der Digitalisierung lediglich als zusätzliches gesellschaftliches Entwicklungs-Konstrukt. Viel zu oft werde hier vergessen, dass es sich vielmehr um eine allumfassende Transformation handle, die alle Lebensbereiche betreffe. Deshalb ist es nach Gerdnuns Ansicht unbedingt notwendig, im gesamten Bildungsbereich tiefgreifende Veränderungen durchzusetzen.

Freiwilliges Engagement trotz Mehraufwand

Um die Politik von der Relevanz seines Konzeptes zu überzeugen, lässt Gerdnun seit Beginn des Projekts den Verlauf wissenschaftlich begleiten und evaluieren. Auf Fachkonferenzen stellt er Ergebnisse vor, kommt in Kontakt mit potentiellen Dozenten für Workshops und spricht immer wieder mit Vertretern der Kultusministerien. Dieses kraftraubende persönliche Engagement aller Beteiligten steht sinnbildlich für den Charakter des FSJ_digital: Keine digitale Revolution, aber der absolute Wille, trotz Mehraufwand und geringer Bezahlung im Freiwilligendienst einen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit des sozialen Sektors zu leisten. Ein Einsatz, der sich auszahlt; mittlerweile hat Gerdnun die Zusage für ein weiteres Jahr erhalten. Das einzige Problem: Weil die Bewerbung ab nächstem Jahr planmäßig auch für FSJler in anderen Bundesländern offen sein soll, wird dann vermutlich eine Jury über Anträge entscheiden und aussortieren müssen. Denn Gerdnuns Team ist klein und der Andrang riesig.

Die Zukunft des FSJ_digital ist ungewiss. Vieles hängt auch von den parteipolitischen Entwicklungen der nächsten Jahre ab. Dennoch bleibt zu hoffen, dass der Versuch, den öffentlichen Bereich “von unten” zumindest ein Stück weit zu modernisieren, nicht ungehört bleibt. Denn ein paar Wenige können diesen immensen Transformationsprozess nicht alleine bewältigen. Dazu braucht es mehr. Mehr Kooperation, mehr Steuerung und vor allem: Mehr Mut.

Alle Bilder: Kulturbüro Rheinland-Pfalz

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