Wie kommt man ohne Problem ins nächste Jahrtausend? Welche
Produkte sind Y2K-kompatibel und wie können wir vielleicht
doch noch den Computer überlisten? Ein Kommentar zum Jahrtausendwechsel.

Trends, Tipps und Tricks zum Jahrtausendwechsel

Die Verknüpfung von Markenprodukten mit besonderen Ereignissen ist gemeinhin als Eventmarketing
bekannt und erfreut sich bei den Werbeagenturen einer immer größeren Beliebtheit. Obwohl die
Idee so alt wie der Schokoladenosterhase ist, bringt dieses marketingtechnische Trittbrettfahren dem
aufmerksamen Konsumenten stets neue – mehr oder weniger passende – Produkte ein wie Sonnencreme
zur Sonnenfinsternis, die 2000g starke Milka oder das ebenso dimensionierte Nutellaglas zur
Jahrtausendwende. Der Lebensmittelkonzern Kraft-Jacobs-Suchard, der in den vergangenen Monaten
bereits den Blödelbarden Wigald Boning als Genußlebensmittelbevorratungsfachberater für seine
idealen Bevorratungsprodukte Milka-Millennium, Miracoli im praktischen 2er Vorrats-Pack und das
jahrtausendsichere Verwöhnaroma von Jacobs Krönung werben ließ, wartet kurz vor dem Jahreswechsel
mit einem weiteren Service auf. Auf der eigens erstellten
Webseite
wurde ein Jahr 2000-Check für die private Vorsorge zum herunterladen bereitgestellt.
Neben dem bereits überall bekannten Geheimtip, einfach die Zeitanzeige seines heimischen PCs
auf den 31.12.1999 um 23:58 Uhr zu stellen und nach zwei Minuten das korrekte Umspringen auf den
01.01.2000 zu überprüfen, wird dort auch offenbart, daß die Versorgung mit Verbrauchsgütern
"einer der sensibelsten Bereiche in bezug auf das Jahr 2000-Problem ist". Der konsequente Rat
aus dem Hause Kraft-Jacobs-Suchard kann daher nur lauten: "Beschaffen Sie sich rechtzeitig
einen Vorrat Ihrer Lieblingsprodukte. Verschiedene Lebensmittelhersteller bringen schon jetzt
günstige Vorratspackungen in den Handel. Halten Sie die Augen nach Schnäppchen offen und greifen
Sie zu."

Wer sich dann doch etwas gewissenhafter vorbereiten und schnell noch die aktuellsten Informationen
und Ressourcen Via Internet erschließen möchte sollte unbedingt bei den einschlägigen Webseiten
(http://www.Year2000.com) und
http://www.Y2K.com
oder den entsprechenden Angeboten der allseits
bekannten Suchmaschinen vorbeischauen, die sich bereits seit geraumer Zeit mit der systematischen
Aufbereitung aller Aspekte des Jahr-2000 bzw. Y2K (Y = year K = 1000) Problems beschäftigen.
Auch die Bundesregierung und das Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik haben unter
http://www.info-jahr-2000.de und
http://www.bsi.bund.de/2000
in einer – aufgrund ihrer graphischen Gestaltung leider nur
wenig Vertauen erweckenden – Webseite Berichte und Broschüren für den besorgten Bürger zusammengefaßt.

Da die Millenniums Sonne zuerst über der mikronesischen Republik von Kiribati auf, einer Gruppe
von Koralleninseln im Pazifischen Ozean aufgehen wird, können die erwarteten Störungen aber auch
in ihrem Fortschreiten von der internationalen Datumsgrenze aus verfolgt werden. Wer beobachtet,
wie in Asien die ersten Atommeiler außer Kontrolle geraten und ein allgemeines Chaos ausbricht,
kann dann schnell den Atombunker aufsuchen oder sich beim gänzlichen Ausbleiben der Millennium
Macken ganz locker machen und MTV einschalten. Der Musiksender hat sich nämlich nicht gescheut
sechs Jugendliche auszuwählen, um sie vom 26.12. Bis 01.01. in einem Bunker unter dem Times Square
einzusperren und rund um die Uhr von Kameras beobachten zu lassen. Damit in der kurzen Zeit im
Bunker so richtig die Post abgeht, falls draußen eben nichts passieren sollte und die drinnen
keine existentiellen Ängste kriegen, müssen die Insassen allesamt an einer täglichen "Wahrheit
oder Pflicht" Runde teilnehmen, um spannendes Sendematerial für das MTV Network und die MTV
Webseite garantieren zu können.

Dieser beachtliche Inszenierungsaufwand führt auch zum eigentlichen Kern des Y2K Problems zurück,
das im Kern kein technisch determiniertes sondern ein sozial konstruiertes Ereignis ist. Wie wir
alle wissen, aber anscheinend nicht wahrhaben wollen, gehört das zweitausendste Jahr logischerweise
noch zum alten Jahrtausend, womit die wirkliche Zeitenwende eigentlich erst zu Silvester 2000/2001
stattfindet. Leider war die Menschheit so dumm oder die zuständigen Techniker nicht schlau genug,
diese Tatsache zu bedenken, was uns eine Menge Ärger mit der Doppelnull erspart hätte. Dummer
Weise stellt diese kleine Unachtsamkeit die Menschheit vor ein noch nie dagewesenes Problem:
"Zu keiner anderen Zeit in unserer Geschichte sind wir mit einer Tatsache konfrontiert worden,
die einen Endtermin hat, der absolut nicht veränderbar ist. In der Vergangenheit konnten wir
immer noch auf eine Lösung in letzter Minute hoffen, auf eine rund-um-die-Uhr Verhandlung oder
für eine Rettung in letzter Minute beten", schreiben John L. Petersen, Margaret Wheatley und
Myron Kellner-Rogers in ihrem lesenswerten Aufsatz unter mit dem Titel
"Das Jahr 2000: Soziales Chaos oder Gesellschaftliche Transformation?"
.

Da also in letzter Minute kein James Bond auftauchen wird, der die Uhr eine Sekunde vor dem
Ablaufen des Countdowns anhält oder die Bombe rechtzeitig entschärft, kann man eigentlich nur
versuchen, Risiken und Chancen rational zu ergründen und wie in dem Text geschehen gegeneinander
abzuwägen. In den Augen der Autoren ist Y2K vor allem: "Ein technologisches Problem, das nicht
mit Technologie behoben werden kann. Erstmalig ein nicht überschreitbarer Endtermin. Eine
systemische Krise, die niemand alleine lösen kann. Eine Krise über Grenzen und Hierarchien
hinweg. Eine Entwicklungschance für Personen und Organisationen. Eine Gelegenheit, größere
Systeme zu vereinfachen und umzugestalten." Die Vermutung liegt nahe, daß der eigentliche
soziale Effekt des Jahr Y2K Problems in der gesellschaftlichen Vergegenwärtigung und Auseinandersetzung
mit der Tatsache liegt, daß wir mittlerweile in allen gesellschaftlichen Teilbereichen und
der alltäglichen Lebenswelt auf Gedeih und Verderb mit Computertechnologie verbunden sind.
Vor allem die Apokalyptiker und Technikskeptiker, die immer noch daran glauben zumindest einige
Entwicklungen der Computerisierung und Informatisierung der Gesellschaft zurückdrehen oder
zumindest auf ein erträgliches Maß regulieren zu können, haben sich im Aufwind der Ungewißheit
des Y2K Problems noch ein letztes Mal versammelt und hoffen zur Jahrtausendwende auf die
schlagartige Einlösung ihrer pessimistischen Prognosen, idealer Weise durch den Rückfall in eine
computertechnische Steinzeit. Voraussichtlich wird jedoch wenig dergleichen passieren, aber
dennoch wird es nie wieder so wie früher sein. Die Vorstellung einer computerlosen und
kommunikationstechnisch unvernetzten Gesellschaft wird eine historische sein. Ihre Anwesenheit
wird hingegen einer unhintergehbaren und vermutlich nie wieder in dieser Intensität hinterfragten
Normalität werden.