(Buchrezension) Manche Thesen sind ihrer Zeit voraus: Bereits 2003 fragte sich ein Autorenteam, was passiert, wenn der Kommerz auf soziale Netzwerke trifft. Thematisch hochaktuell und ein sinnvolles Buch für Einsteiger, findet Julia Sommerhäuser – auch wenn ein Miteinander noch nicht in Sicht ist.
Die soziale Rückeroberung des Netzes: Der Buchtitel versetzt den Leser auf ein digitales Schlachtfeld. Hier scheint es um einen Kampf zu gehen – das Soziale will im Netz wieder Boden gut machen. Und tatsächlich bestätigt sich der erste Eindruck. In dieser Monographie geht es um das Spannungsverhältnis zwischen social software und kommerziellen Internetseiten. In „Online-Communities, Weblogs und die soziale Rückereroberung des Netzes“ stellen sich die Autoren Christian Eigner, Helmut Leitner, Peter Nausner und Ursula Schneider die Frage, ob digitale Netzwerke und andere Elemente der Blogosphäre rein soziale Phänomene bleiben oder ob sie unter bestimmten Bedingungen kommerziell nutzbar sein können. Die Gegner stehen sich gegenüber: Die Logik des Schenkens tritt gegen die Logik des Geldes an.
Auf den ersten Blick scheinen denn auch Konzepte von Gemeinschaft und Profitstreben nicht miteinander vereinbar zu sein. Die Unterschiede sind zu groß, eine Gegnerschaft ist vorprogrammiert.
Online-Communities als zarte Pflänzchen
Die Autoren arbeiten jedoch verschiedene Szenarien heraus, in denen eine friedliche Verbindung von social software und Kommerz gelingen könnte. Ausgangspunkt ist die Metapher der Online-Community als biologisch-organisches System: Eine Gemeinschaft kann nicht maschinell produziert werden, sondern entwickelt sich wie ein Organismus. Aus einem Keim entsteht nach und nach eine Pflanze. Ihr Wachstum kann unterstützt, aber nicht erzwungen werden. Der Gründer einer Community muss seine Gemeinschaft also aufziehen wie ein Gärtner seine Pflanzen. Bei Online-Gemeinschaften kann nicht der Profit im Vordergrund stehen, weil er – wie das Pflanzenwachstum – nicht kalkulierbar ist. Online-Communities bedienen eher weiche Faktoren: Kundenbindung, Feedback oder Werbung. Um diese kommerziellen Potenziale dieser digitalen Netzwerke nutzen zu können, bedarf es jedoch viel Zeit.
Noch beschränkt sich das wirtschaftliche Potenzial der Gemeinschaften auf das so genannte social learning: Hier wird eine kritische und gruppenorientierte Lernkultur geschaffen, die sich kommerziell nutzen lässt. Indem Unternehmen diese neue Kultur in ihre Geschäftsabläufe einbeziehen, können sie vom Community-Gedanken profitieren. Es eröffnen sich verschränkte Formen der Wissensgenerierung. Das arbeiten Christian Eigner und Peter Nausner in ihrem Beitrag heraus.
Soziale Netzwerke und kommerzielle Anbieter müssen sich also nicht bekämpfen, sondern können sinnvolle Anknüpfungspunkte finden, so die Schlussfolgerung. Das ist das Fazit der vier Autoren, die sich mit ihrem populärwissenschaftlichen Buch vor allem an interessierte Einsteiger wenden. Es sollen „neue, in der Praxis zu erprobende Wege“ aufgezeigt werden. Dem entspricht der gesamte Stil des Buches. Es ist mit vielen Beispielen gespickt und hat wenig Literaturangaben. Reportage und Erfahrungsbericht lockern als ausgefallene Darstellungsformen das Buch zusätzlich auf.
Im Beitrag von Christian Eigner beispielsweise diskutieren zwei fiktive Personen über den Nutzen von Onlineangeboten traditioneller Medien. Beide Gesprächspartner kritisieren, dass diese Seiten Informationsinseln gleichen, von denen keine Links nach außen führen. Auf ihrem Streifzug durch das Internet finden die zwei dann aber doch noch zahlreiche Informationsseiten, die viele externe Bezüge aufweisen. Mit der Entdeckung der Weblogs steht ihnen nun eine „neue Kulturtechnik“ zur Verfügung, die Information und Hypertextualität miteinander verbindet.
Viele Perspektiven im Kompetenzteam
Die Autorenmannschaft bildet eine Art Kompetenzteam, das Kenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen einbringt. Das merkt man den Darstellungen an. Viele Themen werden aus mehreren Perspektiven beleuchtet: Christian Eigner und Peter Nausner vertreten als gelernte Journalisten die Perspektive der ‚schreibenden Zunft’. Helmut Leitner stellt seine technischen Erfahrungen als Softwareentwickler zur Verfügung und ist selbst Gründer mehrerer Online-Communities. Ursula Schneider kann als Professorin für BWL die Sichtweise der Unternehmen und der Wirtschafteinbringen. Diese Vielfalt der Sichtweisen macht das Buch zu einem sinnvollen praxisorientierten Beitrag.
Obwohl bereits 2003 erschienen, reiht es sich in eine hochaktuelle Forschungsdiskussion ein. Der Kampf zwischen sozialen und kommerziellen Elementen im Internet wird auch weiterhin ausgetragen: Das zeigen die Debatten um Werbemöglichkeiten bei Wikipedia oder den Kauf des Videoportals YouTube durch den Suchmaschinenriesen Google und des Studentennetzwerkes StudiVZ durch den Holtzbrinck-Verlag. Ein Miteinander, wie es sich die Autoren des Buches vorstellen, ist derzeit nicht in Sicht. Vielmehr sind schnelle Übernahmen die neue Strategie auf dem digitalen Schlachtfeld, auf dem die Entscheidung noch immer nicht gefallen ist.