„Das Netz“ ist keine geradlinige Abhandlung über die „Entstehung des Internets“, wie der Titel vermuten lassen könnte und es ist auch keine romantisierende, glamoröuse Rock’n’Roll Story über Computerfreaks, komplett mit Sex und Drogen, wie der Untertitel „Unabomber, LSD und Internet“ vermuten ließe. Sie sind auch Teil des Films, aber sie dienen hier nicht um eine ‘sexy’ Geschichte zu verkaufen, sondern sind Teil von grundlegenden Fragen über Technologie und ethische Werte, die der Film anhand der Geschichte der Computernetzwerke in den USA seit dem Beginn der 50er Jahre aufgreift.

Dabei geht es nicht einfach um den fortschreitenden Prozess der Technologisierung und Vernetzung unserer Gesellschaft, sondern um Fragen über Sinn und Unsinn, Nutzen und Schaden dieser Technologien für Gesellschaft und das Individuum. Und es geht um Reflexionen über Macht, Einfluss, Kontrolle und Gelder von Seiten der staatlichen Behörden, die Entwicklungen vorantreiben, finanzieren und für ihre Zwecke ausnutzen.

Regisseur Lutz Dammbeck beschäftigt sich mit den teils wohlbekannten, teils verborgenen Verknüpfungen zwischen Militär, Verteidigungsministerium und Wissenschaftlern an den Elite-Universitäten, die für viele dieser Entwicklungen verantwortlich zeichnen. Lutz Dammbecks „Netz“ ist nicht nur ein Computernetzwerk, sondern umfasst ein komplexes menschliches Netzwerk, bestehend aus Wissenschaftlern, Militärs und Institutionen, das seine Geheimnisse gut hütet.

Einer „Störung“ in diesem Netzwerk jedoch ist Dammbeck nachgegangen: Dem Fall des Unabombers, Thomas J. Kaczynski, der 1996 vom FBI nach einer Serie von Mordanschlägen verhaftet wurde.Nach einem Mathematikstudium an der Harvard University und anschließender Professur an der Berkeley University wurde er zum Aussteiger und lebte 25 Jahre in einer Berghütte in Montana. Während dieser Isolation schrieb er das Unabomber Manifesto, in dem er vor den Gefahren einer technologisierten Gesellschaft eindringlich warnte und eine völlige Abkehr von dieser Entwicklung forderte. Seinen Protest unterstrich er durch Briefbombenanschläge, bei denen vier Personen ums Leben kamen und mehrere Menschen verletzt wurden. Derzeit sitzt Kaczynski in lebenslänglicher Haft.

Dammbeck geht es in diesem Film weniger um Kaczynskis Schuldfrage. Vielmehr wird Kaczynski als eine einsame, aber möglicherweise berechtigte Stimme der Kritik lanciert, die von der Mehrheit der Professoren, Wissenschaftlern, Computer-analysten und Ex-Militärs die in diesem Film zu Wort kommen, negiert und totgeschwiegen wird. Aus den Interviews, welcher der Film dokumentiert, zieht Dammbeck Querverbindungen zwischen Künstlern, Wissenschaftlern und Regierungsorganisation und portraitiert verschiedene Subkulturen der 50er und 60er Jahre, die Teil dieser Epoche bilden. Es handelt sich um eine Zeit, die unter den Eindrücken des Zweiten Weltkrieges und später unter dem Schatten des Kalten Krieges ihre Paranoia und Ängste dadurch eindämmen will, dass sie immer stärkere Militärarsenale und Militärtechnologie baut und einsetzt – und hier kommen die Verknüpfung von Militär und Wissenschaftlern ins Spiel.

Ideologisch untermauert werden diese Entwicklungen durch Erkenntnisse der Kybernetik, wonach das menschliche Gehirn als Informationsverarbeitungssystem zu sehen ist, nicht Bewusstsein und Gewissen bestimmen uns als Menschen, sondern der Mensch als steuerbare, programmierbare Maschine und Werkzeug. Aber nicht nur Physiker und Kybernetiker, sondern auch Soziologen und Psychologen sind mit dem neuen Menschenbild beschäftigt. Ihr Zwischenspiel konstituiert sich in den sogenannten Macy Konferenzen, auf denen, wie Dammbeck dokumentiert, auf Initiative des CIA, Physiologen, Biogenetiker, Mathematiker und Soziologen teilnehmen, und ihre Visionen einer technologisierten und inhärent „besseren Gesellschaft“ im privaten Kreise diskutieren – und schließlich auch durchexperimentieren:

In den Jahren 1958-62 führt der Direktor der Harvard Psychological Clinic, Henry A. Murray, mit dem Wissen und der Unterstützung des CIA „Stress-Experimente“ mit Harvard Studenten durch, bei denen unter Einsatz von LSD die Veränderungsmöglichkeiten und Formbarkeit der menschlichen Psyche erforscht werden sollen: Einer der Versuchspersonen ist Theodor Kaczynski, der spätere Unabomber. Der Kreis schliesst sich.

Wenn dies auch alles stark nach dem Stoff von Verschwörungstheorien klingt, so bleibt Dammbecks Film stets sachlich, nüchtern und driftet nicht ins plakative. Seine Schlüsse orientieren sich stets an Fakten und vorhandenem Recherchematerial, und lassen dem Zuschauer ausreichend Raum für eigene Rückschlüsse, Fragen und Interpretationen. Angereichert und verstärkt werden Dammbecks Recherchen mit Bildern und Beobachtungen des Amerikas kurz nach dem 11.September, während der Zeit der amerikanischen Invasion in Afghanistan und der Panikmache über die Anthrax–Anschläge. Die Paranoia und Ängste der amerikanischen Gesellschaft, so drängt es sich einem auf, richten sich nun gegen den neuen Feind „al-qeada“ anstatt gegen die Sowjetunion, aber die Mechanismen von Angstverbreitung und Panikmache durch die amerikanischen Medien sind die gleichen geblieben.

Und die Computernetzwerke? In den Augen der Wissenschaftler die Dammbeck zu Wort kommen lässt, bestehen sie aus kryptischen Zahlenspielen, aus unendlichen Ableitungen und mathematischen Formeln, die immer komplexere und dichtere Netzwerke bilden. Netzwerke, die organisch wachsen und von niemanden kontrolliert werden können, und aber gleichzeitig den Anspruch erheben – oder dem Wunsch nachkommen – eine immer komplexere Welt anhand von Codes , Programmiersprachen und vernetzten Computern verständlich und fassbar machen zu können.

„Das Netz“ stellt nicht Technik per se in Frage, sondern entlarvt, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken Computertechnologie in den Händen von Menschen mit politischer Macht, Einfluss, Geld und Netzwerken benutzt werden kann. Noch relevanter jedoch zeigt der Film die Diskrepanz zwischen technologischen Fortschritt und der menschlichen (Un)Fähigkeit, die moralischen und gesellschaftlichen Folgen dieser Technologisierung zu benennen und zu einzuordnen.