„Politische Akteure in der Mediendemokratie – Politiker in den Fesseln der Medien?Ein Buch von Heribert Schatz, Patrick Rössler und Jörg-Uwe Nieland
Politische Millieus lösen sich zunehmend auf. Weder das Arbeiterstrandbad, noch der Kirchenchor oder Jugendparteiorganisationen sind mehr so stark, dass Politiker eine große Zahl an Wählern über sie erreichen können. Klassische Opinion Leader wie der Dorfpfarrer oder der Arzt haben ihren Einfluss eingebüßt, spätestens seitdem sich das Massenmedium Fernsehen als politische Hauptinformationsquelle etabliert hat. Politikvermittlung findet zunehmend in und über die Medien statt. Dieser grundlegende Wandel wird als Transformation hin zur Mediendemokratie diskutiert, die die Logik der Politik verändert und an ihre Akteure neue Anforderungen stellt. In Wahljahren wird die gegenseitige Abhängigkeit von Politik und Medien besonders augenscheinlich und ein großer Teil der Hintergrundberichterstattung im Wahlkampf widmet sich der Reflexion über dieses Thema. Die Medien werden nicht mehr als neutrale Informationsvermittler betrachtet, sondern als intervenierende Variable auf dem Kommunikationsweg vom Politiker zum Bürger. Wie weit ist die Entwicklung zur mediatisierten Demokratie schon vorangeschritten? Welche Auswirkungen sind zu erwarten? Die Hauptakteure sind Politikern und Journalisten: wer hat wen am Gängelband?
Pünktlich zum Wahlkampf 02 erscheint ein Sammelband, der sich damit wissenschaftlich auseinandersetzt.
Politische Akteure in der Mediendemokratie
Die Herausgeber Heribert Schatz, Partick Rössler und Jörg Uwe Nieland, ihres Zeichens Politologen mit Schwerpunkt Politikvermittlung, dokumentieren eine Tagung zum Thema Politik und Kommunikation im Frühjahr 2001. Ziel der Tagung war, den aktuellen Stand der Forschung zur Mediendemokratie zu erheben.
Obwohl der Begriff noch nicht klar definiert werden kann, so das Fazit der Herausgeber, herrscht doch ein Konsens über dessen Phänomene. Es läßt sich eine Liste von Merkmalen aufstellen, die eine Mediendemokrate zwingend erfüllen muss:
– politisches Handeln muss vermehrt medial kommuniziert werden, um als legitim zu gelten,
– das Fernsehen entwickelt sich zum einflussreichsten Medium
– dadurch passt sich Politik immer mehr der medialen Logik an, vor allem der des Fernsehens,
– hohes Maß an Medienkompetenz wird für Politiker zur conditio sine qua non.Der Band versucht, das Phänomen Mediendemokratie sehr umfassend zu ergründen. Dabei wird sowohl Augenmerk auf den abstrakten institutionellen Wandel des politischen Systems gelegt, also auf gesellschaftliche, politische, ökonomische und vor allem mediale Entwicklungen, als auch ganz konkret auf die Auswirkungen auf die politischen Akteure aller Art und die neuen Anforderungen an sie.
Die einzelnen Beiträge sind um 4 Fragestellungen groupiert, die das Phänomen erhellen sollen:
Die institutionelle Wandlung
Der erste Teil des Bandes fragt nach dem Wandel von politischem Handeln angesichts der vermehrt medialen Ausrichtung von Politik. Karl-Rudolf Korte diskutiert neue Handlungsmuster von Politkern und Christian Schicha und Carsten Brosda die Interaktion von Politik, Public Relations und Journalismus. Illustriert wird das Thema von Marion Müller durch einen Vergleich der Trends der Inszenierung von Parteitagen in Deutschland und den USA, sowie durch einen Bericht von Marco Althaus über die Rolle Politischer Berater im US- Präsidentschaftswahlkampf 2000.
Das Internet – neue Spielregeln für die Politik?
Der zweite Teil widmet sich der Frage, welche Anforderungen das neue System an politische Akteure stellt. Herauszugreifen ist hier der Beitrag über das Internet von Christoph Bieber, der sich mit der Alternativen Position von politischen Akteueren in der Netzöffentlichkeit beschäftigt. Bieber stellt sein Konzept der Netzöffentlichkeit vor und beschreibt die internetspezifischen Mechanismen nach denen Politikvermittlung funktioniert. Netzöffentlichkeit, so die These, verhält sich nicht kongruent zur massenmedialen Öffentlichkeit. Mit Hilfe eines Zentrum-Peripherie-Modells wird gezeigt, dass Akteure, die sich an der Peripherie des politischen Systems befinden und massenmedial weniger präsent sind, in der Netzöffentlichkeit näher zum Zentrum rücken und dadurch kommunikative Vorteile generieren können.
Andere Beiträge sind unter anderem Stefan Marschalls Diskussion der Stellung des Parlamentes in einer durch Medien bestimmten Demokratie und Jörg Uwe Nielands Beschreibung der Entwicklung von der verfahrens- und institutionszentrierten Bonner zur medienzentrierten Berliner Demokratie.
Die Logik des Streits – Konflikte in der Mediendemokratie
Die dritte Fragestellung ist dem dynamischsten Element jeder Demokratie gewidmet: dem Konflikt. Dieser Teil behandelt die Frage, wie Konflikte in den Medien präsentiert (Hartmut Weßler) und nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden (Peter Hocke). Jürgen Maier widmet sich der Frage, welchen Einfluss die ständige mediale Präsenz von politischen Konflikten in den Medien auf die Einstellungen der Wähler zur Politik haben. Medien fokussieren ihre Berichterstattung immer stärker auf Konflikte und spitzen diese zu. Die Parteizentralen hingegen produzieren immer konfliktgeladenere Nachrichten, um sich im Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit zu behaupten.
Aber nicht nur die Quantität von konflikthafter Berichterstattung steigt, auch die Qualität nimmt zu, indem Konflikte immer zugespitzter dargestellt werden. Ist diese zunehmend auf Konflikt ausgerichtete Politikberichterstattung die Quelle der Politikverdrossenheit? Maier kommt zu einem eher zurückhaltenden Ergebnis. Während das Vertrauen in Politiker tendenziell sinkt, bleibt die Zufriedenheit mit der Demokratie stabil. Der mediale Fokus auf politische Skandale stärkt unter Umständen die Zufriedenheit sogar, da das Aufdecken von Skandalen durch die Medien eben als Selbstregulierung des demokratischen Systems gedeutet wird.
Praxis ist unersetzlich!
Der vierte Teil hält sich an die Praktiker: Jens Tenscher präsentiert eine Studie über das Selbstverständnis der Regierungssprecher im Wandel der Zeit und Miriam Meckel, Regierungssprecherin der nordrhein-westfälischen Landesregierung erklärt die Regeln der Mediendemokratie, nach denen Politiker und Journalisten spielen. Uwe-Karsten Heye, Sprecher der Rot-Grünen Regierung, erklärt, dass nach dem umzug von Bonn nach Berlin sich zwar einige Rahmenbedingungen im Umgang der Regierung mit den Medien verändert haben, dass das aber die Grundsätze des politischen Systems unverändert läßt.
Der Band zeichnet sich durch seine Aktualität aus. Er schafft es sehr umfassend, den Stand der Forschung zu präsentieren. Viel Wert wurde darauf gelegt, Praktiker aus allen besprochenen Bereichen zu Wort kommen zu lassen anstatt sie, wie öfters in wissenschaftlichen Abhandlungen zu diesem Thema, zum stimmlosen Forschungsgegenstand zu degradieren. Leider haben die praxisorientierten Beiträge meist nur dekorativen Charakter und illustrieren essayistisch die Erkenntnisse aus den wissenschaftlichen Beiträgen.
Das Buch ist dennoch nicht als Einführung zu empfehlen, da die einzelnen Beiträge oft sehr spezifische Problemstellungen der Mediendemokratiedebatte behandeln.
Für eine generelle Einführung in das Thema sei hier auf den von Ullrich von Allemann und Stefan Marschall ebenfalls 2002 herausgegebenen Band Parteien in der Mediendemokratie verwiesen, in dem die grundlegenden Fragen der Debatte von teilweise denselben Autoren aktuell besprochen werden.