Hermann Otto Solms
Herrman Otto Solms,
FDP-Finanzexperte, ist am
22. Mai 2003, zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.


Moderator:
Herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. tacheles.02
ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Heute ist der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,
Hermann Otto Solms, ist heute zum Chat im ARD-Hauptstadtstudio. Vielen
Dank, dass Sie gekommen sind, können wir beginnen, Herr Solms?

Hermann Otto Solms: Ja.

Moderator: Herr Solms, Sie haben drei
Kinder, ist das richtig?

Hermann Otto Solms: Ja, drei Mädchen.

Moderator: Glauben Sie, dass die es noch
erleben werden, dass der Bund mal keine Schulden mehr hat? Oder schaffen
das wenigstens die Urenkel?

Hermann Otto Solms: Wenn Sie es nicht
erleben sollten, dann deshalb, weil sie sich in ein anderes Land abgesetzt
haben. Sie wollen nicht die Schulden bezahlen, die wir als Eltern- und
Großelterngeneration gemacht haben.

Schuldenfalle2010: Lieber Herr Solms,
so wie die Regierung es macht, geht’s nicht. So wie Sie es machen wollen,
aber auch nicht. Haushaltslöcher stopfen durch weitere Privatisierungsgewinne,
heißt eine ihrer Devisen. Ist das aber nicht genauso kurzsichtig
wie die Agenda der Regierung?

Hermann Otto Solms: Privatisierung ist
nicht der Kern der Problemlösung. Wir müssen alle unsere Strukturen
wieder von kollektiven Lösungsansätzen umwandeln hin zu mehr
privater Verantwortung, d.h. dass die Sozialsysteme auf eine neue Grundlage
gestellt werden müssen, so dass die Beiträge zu den Sozialsystemen
von den Arbeitskosten getrennt werden und den Arbeitsplatz nicht belasten.
Durch die Senkung der Arbeitskosten können dann wieder neue Arbeitsplätze
entstehen und nur durch mehr Arbeit lassen sich dann auch die Finanzprobleme
lösen.

Moderator: Das heißt im Klartext:
Den Einzelnen (Versicherten) stärker belasten?

Hermann Otto Solms: Mehr Eigenverantwortung
heißt auch weniger Ausnutzung des Sozialsystems und damit mehr Effizienz
und geringere Kosten. Und nur wenn die Ausgaben insgesamt gesenkt werden,
entsteht Freiraum für einen ausgeglichenen Haushalt auf der staatlichen
Seite und für mehr Investitionen und Arbeitsplätze auf der privaten
Seite.

karl: Nachfrage direkt: Heißt private
Verantwortung auch, dass wir amerikanische Verhältnisse von ihrer
schlechtesten Seite übernehmen? Also "Hire and fire" von
heute auf morgen? Den Generationenvertrag haben wir ja eh schon abgeschrieben.
Nicht war?

Hermann Otto Solms: Der Generationenvertrag
muss neu gestaltet werden und zwar für drei Generationen und nicht
für zwei, wie heute. Nicht jedes soziale Schutzinstrument schützt
die Betroffenen wirklich. Der übertriebene Kündigungsschutz
ist längst zum Einstellungshemmnis geworden. Ein Handwerker mit 7
Mitarbeitern stellt keinen zusätzlichen ein, weil er, wenn die Aufträge
zurückgehen, sich nur durch hohe Entschädigungsleistungen wieder
von ihm trennen könnte und deswegen werden diese Tätigkeiten
häufig in die Schwarzarbeit abgleiten.

Moderator: Welches Land könnte denn
nach Ihren Vorstellungen beim Arbeitsmarkt oder vielleicht etwas genauer
beim Arbeitsrecht Vorbild für die Bundesrepublik sein?

Hermann Otto Solms: Viele europäische.
Länder, wie beispielsweise Schweden, Dänemark, Holland oder
die Schweiz, die ähnlich überbordende Schutzsysteme hatten,
haben in den 90er Jahren ihre Systeme auf mehr Wettbewerbsfähigkeit
umgestellt.
Schweden, in unserer Vorstellung ein soziales Musterland, hat z.B. längst
Karenztage bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeführt,
wo bei uns der Arbeitgeber immer noch 6 Wochen 100% Lohn zahlen muss und
zwar unabhängig davon, ob der Betroffene wirklich krank ist, oder
nur mal 1-2 Tage Pause machen möchte.
Anderes Beispiel. Die Holländer haben die Rentenversicherung in etwa
der Form geändert, wie es uns vorschwebt: Die gesetzliche Rentenversicherung
die durch eine Umlage finanziert wird, hat nur noch den Charakter einer
Grundsicherung. Zur Absicherung des sozialen Standards im Alter müssen
die Versicherten einen eigenständigen und individuell finanzierten
Kapitalstock aufbauen.

Ludwig61: Wenn Sie von der Sanierung
der Sozialsysteme sprechen, wäre es nicht die klarste und gerechteste
Lösung, wenn alle, als auch die Leistungsfähigen unserer Gesellschaft
mitmachen müssten? Wäre das nicht ein wirkliches SOZIALsystem?

Hermann Otto Solms: Die Bürger,
deren Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, müssen
für ihre Vorsorge heute schon alleine aufkommen. Sie genießen
im Alter auch nicht den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn
man sie einbeziehen würde, würde man automatisch zusätzlichen
Belastungen des Rentenversicherungssystems auslösen das ja heute
schon überfordert ist. In der Bundesrepublik haben wir unter allen
Industriestaaten die deutlich höchste Steuer- und Abgabenquote. Dadurch
wird die wirtschaftliche Betätigung und der Investitionsprozess erstickt.
Der durchschnittliche Arbeitnehmer hat in Deutschland eine Grenzabgabenquote
von rund 65 %, d.h. dass er für eine zusätzlich zu seine Normaleinkommen
bezahlte Stunde nur noch 35 % seines Bruttogehaltes ausgezahlt bekommt.
Das gibt es in keinem anderen Land und das erdrückt jede Leistungsbereitschaft.

Moderator: Wir haben heute wieder fantasievolle
nicknames: es fragt:

mafia_fdp: Aber die SPD will ja jetzt
den Kündigungsschutz lockern. Werden Sie die Reformen unterstützen
oder blockieren?

Hermann Otto Solms: Wir werden alles
unterstützen, was unseren Arbeitsmarkt wieder auf die Beine hilft.
Bis jetzt liegen kein konkreten Vorschläge der SPD vor.

Simone: Zur Frage von Ludwig61: Ich denke
auch, dass ALLE in das soziale System mit einbezogen werden sollten, auch
die Besserverdienenden! Beispiel Norwegen: Alle zahlen ein in Relation
zu ihrem Einkommen, und alle bekommen die gleiche Rente.

The Wanderer: Herr Solms, seit Bestehen
der Bundesrepublik steigt die Staatsverschuldung mit nur kurzzeitigen
Ausnahmen stetig an. Was lässt Sie glauben, dass sich dies ändern
lässt und was wäre dazu nötig?

Hermann Otto Solms: Die FDP hat schon
vor 10 Jahren gefordert,
dass in die Verfassung ein Artikel aufgenommen wird, der es allen staatlichen
Ebenen untersagt neue Schulden aufzunehmen. Dem ist keine andere Partei
gefolgt.

wolfgang: Herr Solms, Sie fordern mehr
Finanzautonomie für die Gemeinden. Andere Experten raten dazu, die
Gemeinden gerade jetzt stärker zu kontrollieren, weil Sie einen Grossteil
der Finanzmisere des Bundes mitverschuldet haben. Wie verteidigen Sie
ihr Konzept?

Hermann Otto Solms: Mehr Finanzautonomie
heißt auch mehr Verantwortung vor dem Wähler. Deshalb fordern
wir, dass die Gemeinden über einen eigenen Zuschlag auf die Einkommen-
und Körperschaftssteuer über ihre Steuereinnahmen selbst entscheiden
können, sich dafür aber vor ihren steuerpflichtigen Wählern
rechtfertigen müssen.
So manches Hallenbad wäre nicht gebaut worden, wenn die Bürger
in der Kommune direkt zur Kasse gebeten worden wären. Den Magistrat
hätten sie bei der nächsten Wahl wieder abgewählt.
Heute gibt es diesen Verantwortungszusammenhang nicht, weil das Gemeindefinanzsystem
völlig intransparent und unverständlich ist. Ziel muss sein,
dass jede Gemeinde, jedes Land und der Bund über seine jeweilig eigenen
Steuern und seine jeweiligen Ausgaben unabhängig und eigenständig
entscheidet. Nur so kann Kontrolle durch den Wähler sichergestellt
werden. Bei unserem heutigen Mischsystem kann niemand erkennen, wer eigentlich
für welche Steuern, für welche Abgaben oder Ausgaben verantwortlich
ist.

Moderator: Zwei Fragen dazu: Der User
"karl" sieht das Problem wohl andersherum und Patrick sieht
die Konkurrenz:

karl: Lieber Herr Solms, die FDP interne
Pinkwart-Kommission will, dass die Gewerbesteuer ersetzt wird durch eine
Kommunalsteuer und eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer.
Besteht bei ihrer Gemeindefinanzreform nicht die Gefahr, dass die Bürger
neben der EU auch die lokale Ebene nicht mehr verstehen können?

patrick: Nachfrage zur Gemeindesteuerreform:
Gibt es bei mehr Finanzautonomie der Gemeinden nicht Zuständigkeitskämpfe,
die alle ihre Vorteile wieder zu Nichte machen?

Hermann Otto Solms: Die Grundidee ist,
wie gesagt, Transparenz und Eigenverantwortung auf jeder Ebene, abgeleitet
aus dem Demokratieprinzip. Der Wählerwille kann sich nur entfalten,
wenn der Wähler überhaupt eine Chance hat, die Wirkungszusammenhänge
zu verstehen und darauf Einfluss nehmen kann.
Beispiel Gewerbesteuer: Es wird heute eine Gewerbesteuer erhoben, dafür
muss eine Gewerbesteuererklärung erarbeitet werden, obwohl die Gewerbesteuer
dann wieder von der Einkommensteuer abgesetzt werden kann.
Ein völlig unsinniger Aufwand für nichts. Von der gemeindlichen
Gewerbesteuer werden aber wieder 30% an Länder und Bund abgeführt.
Im übrigen muss die Gemeinde bei der Anhebung der Hebesätze
auf die wenigen Gewerbesteuerzahler wegen der Wahlfolgen kaum Rücksicht
nehmen , deswegen unsere Forderung:
Dass die Gemeinden statt dessen einen Zuschlag auf die Einkommen und Körperschaftsteuer
erheben wie bei der Kirchensteuer und die Höhe des Zuschlages selbst
festlegen können. Der Zuschlag steht dann ausschließlich den
Gemeinden zur Verfügung und alle steuerpflichtigen Bürger der
Gemeinde sind daran beteiligt. Dann muss der Bürgermeister gut begründen,
warum er die Steuer anheben will und nachweisen, dass die Ausgaben tatsächlich
notwendig sind. Nur so entsteht eine Verantwortungsbeziehung zwischen
gewählten Stadtvätern und wählenden Steuerzahlern.

Moderator: Seit heute wissen wir, dass
Eichel auch das Doppelte der bisher geplanten Neuverschuldung, das wären
rund 38 Milliarden Euro, für "denkbar" hält. Da fragt:

marc: Was würden Sie Herrn Eichel
heute Abend raten?

Hermann Otto Solms: Eichel hat zwei Chancen.
Entweder er beginnt nun wirklich einmal zu sparen, was er uns seit 5 Jahren
versprochen hat, dann muss er gesetzlich normierte Ausgaben durch ein
neues Haushaltssicherungsgesetz einschränken. Und erstmals wirklich
die Subventionen kürzen. Oder er muss seinen Hut nehmen. Dann kann
er sich wenigstens noch einigermaßen gesichtswahrend in den Ruhestand
begeben.

Moderator: In der Öffentlichkeit
scheint von Seiten der Opposition vor allem die Forderung nach einem Rücktritt
Eichels anzukommen. Wäre nicht angesichts der Lage ein wenig mehr
Zusammenarbeit zwischen Opposition und Regierung notwendig?

Hermann Otto Solms: Ich habe im Bundestag
mehrfach für die FDP-Fraktion angeboten, bei einer Sanierung des
Haushaltes auch bei unpopulären Maßnahmen konstruktiv mitzuwirken.
Wir haben Herrn Eichel angeboten, die staatlichen Subventionen und Zuwendungen
pauschal um 20% zu kürzen, allerdings dann auch ohne Ausnahme. Das
würde etwa Einsparungen von 15 Mrd. Euro im Jahr bringen.

wolfgang: Angenommen, Sie wären
Finanzminister. Was würde der Finanzminister Solms zur Deflationsgefahr
sagen. Nur ein Ammenmärchen?

Hermann Otto Solms: Wir haben keine Deflation,
aber man darf dei Gefahr nicht verniedlichen. Gerade deshalb ist es so
wichtig, dass jetzt durch einschneidende Maßnahmen wieder Vertrauen
geschaffen wird, denn nur bei Vertrauen in die Entwicklung sind die Bürger
bereit, wieder mehr Geld auszugeben und der Unternehmer bereit, mehr zu
investieren. Wer diesen Zusammenhang missachtet, provoziert geradezu Deflationsängste.

Moderator: Sind die 20 Prozent pauschale
Kürzung nicht die gefürchtete Rasenmähermethode, die alles
gleich reduziert? Wäre nicht schwerpunktmäßiges Kürzen
besser und wo wäre Ihr Schwerpunkt?

Hermann Otto Solms: Das ist eine philosophische
Frage. Politisch wäre es richtiger, auszuwählen. Aber die Erfahrung
hat gezeigt, dass dann die Wiederstände so groß werden, dass
die politischen Kräfte dann wieder einknicken. Sehen Sie sich nur
das sogenannte Hartz-Konzept an, welches eins zu eins umgesetzt werden
sollte und von dem so gut wie nichts übrig geblieben ist. Der Vorteil
der Rasenmäher-Methode ist, dass keiner behaupten kann, er würde
schlechter behandelt als der andere. Und in einer solchen Notsituation
kann man durchaus zu diesem Mittel greifen.

Moderator: Das klingt letztlich pessimistisch:
Alle im Parlament wollen Veränderungen, keiner kann sie durchsetzen,
weil sich die Lager und die Lobbyisten gegenseitig blockieren?

Hermann Otto Solms: Wenn Sie sehen, dass
75% der Mitglieder der SPD-Fraktion Gewerkschaftsmitglieder und rund 50%
der CDU/CSU-Fraktion dem Öffentlichen Dienst entstammen, dann sehen
Sie sehr schnell, warum die Besitzstände in diesen Bereichen nicht
aufgebrochen werden können. Dagegen kommen auch die beiden kleinen
Parteien nicht an.

marc: Warum gibt es eigentlich kein gemeinsames
Konzept von CDU-CSU und FDP gegenüber der Agenda2010. Seid ihr keine
Freunde mehr?

Hermann Otto Solms: Jede Partei macht
ihr eigenes Programm. Die Union ist viel zu sehr verstritten, um sich
auf das sehr klar und präzise formulierte Programm der FDP einlassen
zu können. Bis heute weiß z.B. niemand welche Strategie die
Union bei der überfälligen Reform des Gemeindefinanzsystems
verfolgt. Auch die Strategie der Gesundheitspolitik der Union bleibt schleierhaft.
Ähnliches gilt für den Arbeitsmarkt und die Reform der Bundesanstalt
für Arbeit.

apotheker_lobby: Ist das mit der Zusammenarbeit
nicht ihr Dilemma? Wenn die Reformen wirken, steht Rot-Grün 2006
vor der Wahl gut da und wird wiedergewählt, während sie die
Steigbügel gehalten haben.

Hermann Otto Solms: Das Land steht in
einer tiefen Krise. Wir haben viele Jahre Reformarbeit gegenüber
unseren europäischen Nachbarn nicht nur verstreichen lassen, wir
haben sogar vieles noch verschlechtert. Denken Sie nur an die misslungene
Riester-Rente oder die Bekämpfung der Scheinselbständigen oder
die Einschränkungen bei den geringwertigen Beschäftigungsverhältnissen.
Deswegen wäre es mir gegenwärtig egal, wer 2006 die besseren
Wahlchancen hat .Ich wäre bereit auch vermeintlich unpopuläre
Maßnahmen konsequent durchzusetzen, damit wir die Basis für
einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg schaffen. Das sind wir unseren Kindern
schuldig.

Luxus: Wenn die FDP die Steuern senken
möchte, um die Nachfrage anzukurbeln, woher kommt dann das Geld in
der Staatskasse während der Übergangsphase, bis die Wirtschaft
wieder funktioniert?

Hermann Otto Solms: 1. Steuersenkungen
müssen Hand in Hand gehen mit einschneidenden Reformen bei allen
sozialen Sicherungssystemen in der Arbeitsmarktpolitik und in der Bildungspolitik.
Steuersenkungen allein würden nicht ausreichen, sind aber ein zwingendes
Mittel um den Bürgern wieder mehr verfügbares Einkommen für
ihre Konsum- und Investitionsausgaben bereit zu stellen und um den internationalen
Investoren zu signalisieren, es lohnt sich wieder in Deutschland zu investieren.
Der Arbeitsmarkt wird flexibilisiert, die Arbeitskosten werden gesenkt
und die Steuerbelastung ist nicht höher als beispielsweise in Großbritannien
oder den USA. In der globalisierten Wettbewerbswelt muss man sich den
internationalen Spielregeln und Rahmenbedingungen anpassen, wenn man bestehen
will.

Hermann Otto Solms: Man darf nicht Rücksicht
nehmen auf das, was uns Frau Engelen-Kefer täglich in die Ohren bläst.
Das ist wie im Sport: Wenn der deutsche Teilnehmer im 10.000 m-Lauf bei
internationalen Meisterschaften im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern
einen Rucksack mit 10 Kilo Ballast mitschleppen muss, kann er nicht gewinnen.
Wie soll der deutsche Mittelständler auf den Märkten bestehen
können, wenn er weltweit die höchsten Lohnzusatzkosten, die
strengsten Kündigungsbestimmungen und die engsten Vorschriften
und die investitionsfeindlichsten Steuern erleiden muss. Und weil er das
nicht kann, gehen Tausende von mittelständischen Unternehmen verloren
und mit ihnen Hunderttausende von Arbeitsplätzen.

Moderator: Zwei Kommentare mal zwischendurch:

sacxhsenring: Sie wollen nicht an die
Macht kommen? Sie sind ja bescheiden…

patrick: Wenn Sie zum Wähler ehrlich
sein wollen, dann benutzen Sie bitte nicht den Euphemismus "Reform".

Moderator: Und noch zwei Fragen mit der
Bitte um Konkretes, tacheles reden eben:

apotheker_lobby: Eine direktere Antwort
bitte!

Simone: Einige Beispiele für sog.
unpopuläre Maßnahmen neben der Pauschalkürzung von Subventionen?

Hermann Otto Solms: Beispiele: Absenkung
des Rentenniveaus von heute 70% auf unter 60% in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Dafür als Ersatz ein gefördertes System der privaten Vorsorge
ohne die komplizierten und unverständlichen Bedingungen mit denen
Riester seine eigentlich gute Idee kaputt gemacht hat.
2. Beispiel: Die Beiträge zur Krankenversicherung werden nicht mehr
kollektiv entrichtet, die Arbeitgeberanteile werden als Lohnbestandteile
an den Arbeitgeber ausgezahlt, die Arbeitnehmer können dann eine
eigene Versicherung nach ihrer eigenen Wahl abschließen Hohe Beiträge
gleich hohe Absicherung, niedrige Beiträge gleich niedrige Absicherung.

Die Versicherten werden wie mündige Bürger behandelt, d.h. sie
bekommen für den Arztbesuch eine Rechnung, die sie bezahlen und mit
der Versicherung abrechnen müssen, wie bei jeder Kfz-Reparatur. Auch
dadurch entsteht eigenverantwortliches Handeln und auch mehr Wettbewerb.
Und der Wettbewerb zwischen den Versicherungen, Ärzten und Krankenhäusern
muss verschärft werden.
3. Beispiel: Die zentrale Mammutbehörde Bundesanstalt für Arbeit
wird aufgelöst. Die einzelnen Arbeitsämter sollen eigenständig
handeln und leistungsabhängig finanziert werden. 4. Beispiel: Die
weltweit einzigartig unverständliche Einkommenssteuer in Deutschland
wird so vereinfacht, dass jeder seine Einkommensteuererklärung in
einer halben Stunde ausfüllen kann. Gleichzeitig wird die Steuerbelastung
auf ein erträgliches Niveau gesenkt. 7500 Euro pro Person und Jahr
auch für jedes Kind, sind steuerfrei. Die nächsten 7500 Euro
werden mit 15 % belastet, die darüber hinaus gehenden Einkünfte
bis zur Höhe von 60.000 Euro werden mit 25 % belastet, alles darüber
hinaus mit 35 %. Unabhängig davon, aus welcher Quelle das Einkommen
stammt, in welcher Rechtsform es verdient wurde oder für welche Zwecke
es verwendet wurde.

Moderator: Gibt so ein Einkommenssteuersystem
schon irgendwo auf der Welt, das funktioniert?

Hermann Otto Solms: Es gibt auf der Welt
viele Einkommens-Steuersysteme, die besser sind als das in Deutschland,
keines das schlechter ist. In Neuseeland hat man ein solches System mit
großem Erfolg ausprobiert.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte,
unsere Zeit ist leider um. Vielen Dank an alle User für das Interesse,
vielen Dank Herr Solms, dass Sie sich die Zeit für den Chat genommen
haben. Unser nächster Chat findet am Dienstag 27. Mai statt. Dann
stellt sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Pronold, einer der SPD-internen
Kritiker der Agenda 2010, von 17.00 bis 18.00 Uhr Ihren Fragen. Am Dienstag,
3. Juni, kommt Bundesfamilienministerin Renate Schmidt von 17.30 bis 18.30
Uhr zum Chat. Wir würden uns freuen, wenn Sie wieder dabei sind!
Die Transkripte aller tacheles.02-Chats finden Sie auf den Webseiten der
Veranstalter tagesschau.de und politik-digital.de sowie des Unterstützers
tagesspiegel.de. Einen schönen Abend!

Hermann Otto Solms: Vielen Dank für
die rege Beteiligung und die interessanten Fragen!