(Kommentar) Wenn Politiker in Deutschland über Computergames reden, dann kochen oft die Emotionen über und Verbote werden ventiliert. Das vermittelt sachkundigen Zuhörern den Eindruck, dass die Politiker keine Ahnung haben, wovon sie reden. Doch um Sachkompetenz geht es in diesen Fällen nicht.

Es fällt auf, dass konservative Politiker meist besonders erbost zu sein scheinen. Sie reagieren reflexartig und lautstark auf tragische Ereignisse wie die Amokläufe in Erfurt, Emsdetten und Tessin, noch bevor ihre scheinbar wild umherflirrenden Gedanken zu einem rationalen Fazit geordnet wurden. Da erklären sie ihre eigenen Empfindungen flugs zur Gefühlslage der Nation, reden von traditionellen Werten und dem Stellenwert der Familie – ohne diese jedoch substanziell zu unterfüttern – und greifen die bestehenden Kontrollinstanzen im Bereich der Unterhaltungssoftware an. Motto: Es muss was getan werden, denn es passiert ja nix.

Quelle: Flickr Creative Commons (shapeshift)

Digitale Spiele gehören zum Alltag

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Politiker bedienen Klischees

Doch die enorme Überhöhung der Situation und die Bedienung von Klischees aus der Emotionsschublade gehören in diesem Falle dazu. Das Schema gab es bereits in vergangenen Jahrzehnten, als Videofilme der Grund für die vermeintliche Verdorbenheit der Jugend waren. Das Medium ist austauschbar, die Empörung ist stets dieselbe. Denn das geforderte Verbot von Spielen, die für Minderjährige ohnehin verboten sind und nach den Vorstellungen der Polithäuptlinge selbst Erwachsenen nicht mehr zur Verfügung stehen dürften, ist vor allem eines: ein Ablenkungsmanöver, welches verschleiern soll, dass die Politik keine anderen Mittel mehr zu haben scheint, um der Gewaltproblematik Herr zu werden. Dafür sieht die Inszenierung um so entschlossener und zielführender aus.

In den Zeiten des Internets von einer Lösung durch ein Verbot zu sprechen, ist absurd. Eine Untersagung von „
Killerspielen“ führt höchstens zu einer Verschiebung in andere Bereiche der digitalen Welt, nicht aber zu einer Problemlösung. Eine Unterteilung der Medienwelt und die darauffolgende Abschaltung vermeintlich unschöner Bereiche sind schlicht nicht möglich. Zudem hat die angenommene gewaltfördernde Wirkung keine wissenschaftliche Grundlage. Solange Wissenschaftler davon ausgehen, dass beispielsweise auch Kinofilme lediglich für kurzfristige Reize sorgen – was der Sinn der Sache ist, denn niemand geht ins Kino, um sich zu langweilen – und Computerspiele hier eben keine bedenkliche Ausnahme darstellen, müsste nach der Logik der Spielegegner eigentlich auch jeder Gewaltfilm verboten werden. Seltsamerweise greift aber niemand die Idee eines Filmverbots auf. Sondereinsatzkommando (SEK) und Antiterrorkampf im Spiel: nein, danke. Eliteeinheiten und das Recht des Stärkeren im Film: ja, gerne.

Medienerziehung bei Kindern

Die Fakten sehen nun mal anders aus. Die Wunschgedanken etlicher Politiker, dass
Egoshooter entscheidend zur Gewaltbereitschaft und Verrohung der Jugend beitragen, werden auch durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht richtiger. Für Amokläufe und Gewaltausbrüche gibt es ganz andere Gründe, die viel bedeutender sind als ein „
Killerspiel“, und die haben etwas mit der sozialen Lebenswelt zu tun. Hier muss zuerst und besonders intensiv angesetzt werden. Am Anfang sollte ein Heranführen der Kinder und Jugendlichen an die Medienwelt stehen, und zwar so früh und umfassend wie nötig. Neben den Erziehungsverantwortlichen sind auch die Lehrer gefragt: die soziale Isolation von Kindern und Jugendlichen in Schulen und Cliquen ist keine Bagatelle, sondern muss ernst genommen und angegangen werden.

In der Folge sollte den
Egoshooter-Gegnern letztlich klar werden: digitale Spiele gehören zum Alltag. Es ist schon bezeichnend, wenn sich vor allem Menschen über 40 für ihre Computerspielerei schämen, während Jugendliche und Erwachsene zwischen 15 und 35 Jahren
Multiplayer-Games und Konsolen für selbstverständlich halten, wie jüngst die Studie „
Spielplatz Deutschland“ festgestellt hat. Doch solange junge Politiker in den Schaltstellen von Macht und Meinungsführerschaft Mangelware sind und die Deutungshoheit bei dröhnenden Gutsherren liegt, hat eine sachliche Diskussion über Computerspiele in der Legislative höchstens in den nachgeordneten Gremien eine Chance, fern der Mikrofone und Talkshows. Sachorientierte basisdemokratische Meinungsbildung sieht allerdings anders aus.

Die medialen Außenseiter sind nicht die viel beschworenen kontaktarmen (und faktisch nicht existierenden) Dauerdaddler. Realitätsausblendung muss man denen vorwerfen, die behaupten, dass die neue digitale Welt so böse ist. Es steht zu befürchten, daß uns noch viel mediales Getöse erreichen wird, denn weder Einsicht noch Verzicht auf die Bedienung platter Klischees sind am Horizont auch nur zu erahnen. Doch irgendwann gehen auch dröhnende Volksvertreter in den Ruhestand und haben dann die Chance, noch etwas dazuzulernen: an der Playstation ihrer Enkel.

Erschienen am
15.2.2007

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