Der Tod ist Teil des Lebens und doch besonders für Angehörige eine zugleich emotionale und oftmals organisatorische Herausforderung. Dies gilt besonders im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung, in der plötzlich nicht mehr nur das materielle Erbe verwaltet werden muss. Vielmehr stellt sich immer häufiger die Frage: Was passiert mit dem digitalen Nachlass, jenen individuellen Profilen, virtuellen Gesprächen, Chats, Bildern und Erinnerungen? Und was, wenn Fragen offen bleiben?

Kaum etwas ist grausamer, als die Vorstellung, die eigene minderjährige Tochter werde von einem Zug erfasst und getötet. Schlimmer ist wohl nur die Unsicherheit der Eltern, wenn ungeklärt bleibt, wie es überhaupt zu einem solchen Unglück kommen konnte. So geschehen 2012 in Berlin, als eine 15-Jährige unter die U-Bahn geriet und an den Folgen ihrer Verletzungen im Krankenhaus verstarb. Unfall oder doch Suizid? Diese Frage blieb bis heute ungeklärt, weshalb die Eltern der Teenagerin sich vor allem aus den Chatverläufen des Facebook-Profils ihrer Tochter Antworten erhofften. Doch als sie sich einloggen wollten, war es bereits zu spät: Vermutlich ein Freund hatte das Profil bereits in den sogenannten “Gedenkstatus” versetzt: Hier kann auf der Seite Beileid bekundet, das Profil erhalten, der Account selbst aber nicht mehr verwaltet werden.

Es folgt ein langer Kampf der Eltern, persönlich und vor den Berliner Gerichten. Facebook blockiert, verweist auf den Datenschutz der ehemaligen Chatpartner und die rechtliche Lage im Land des europäischen Firmensitzes Irland. 2015 erklärt das Berliner Landgericht die Eltern für rechtmäßige Erben des Facebook-Accounts, wagt damit einen ersten Vorstoß in eine bisherige Grauzone: Die des Erbes von digitalen Gütern. Facebook geht in Revision, ein neues Gerichtsurteil schlägt eine Einigung vor. Die Chatpartner sollen zensiert werden, anonymisiert. Dann könne es eine Möglichkeit geben, Einblicke in den Verlauf zu erhalten.

Dringender Handlungsbedarf

Das ist zumindest etwas, könnte man jetzt meinen. Besser als nichts. Doch zu einer Einigung kommt es nicht. Am 31. Mai urteilt das Berliner Kammergericht: Die Eltern erhalten keinen Zugang zum Account ihrer Tochter. Dabei beruft sich das Gericht auf das Fernmeldegeheimnis. Ob Online-Konten jedoch grundsätzlich vererbbar sind oder nicht, dazu äußern sich die Richter in ihrer Entscheidung nicht.

Das ist zum Teil verständlich, weil sich die Rechtsprechung eben nur auf bisher bestehende Gesetze beziehen kann, auch wenn diese neuen Konstellationen kaum gerecht werden. Aber sollte der digitale Nachlass nicht längst einen rechtlichen Rahmen erhalten haben, im selben Maße, wie die Nutzung Digitaler Medien und vor allem Sozialer Netzwerke mittlerweile in allen Altersgruppen zur alltäglichen Angelegenheit geworden ist? Dieses “Ankommen” von social networks in der Mitte der Gesellschaft macht eine Initiative des Gesetzgebers zum “digitalen Erbe” dringend erforderlich. Aus Gründen der Rechtssicherheit, aber auch aus der ethischen Perspektive des Umgangs mit immateriellen, virtuellen Gütern.

Viele “Produkte” wurden mittlerweile digitalisiert: Filme landen als gekaufter Stream oder Videodatei auf dem Rechner, Bücher werden auf E-Readern gelesen. Online ersetzen Chats Liebesbriefe, Blogs und Tagebücher. Ganze Kunstwerke entstehen durch die Nutzung von Graphikdesign-Tools, die häufig auf externen Servern gespeichert werden. Einer solchen Entwicklung kann nur gerecht werden, wer diesen menschlich und zwischenmenschlich erzeugten Gütern auch rechtlich den nötigen Stellenwert zuschreibt. Nur mit festen Regeln kann vermieden werden, dass sich Datenschutz und der Wunsch nach angemessener Aufarbeitung und Bewahrung des digitalen Andenkens gegenüberstehen.

Aufklärung und feste Regeln

Hilfreich wäre es in diesem Fall auch, entsprechende Aufklärungsarbeit gegenüber den Usern zu leisten. Z.B. indem man Nutzern nahelegt, im Testament konkret zu bestimmen, wie im Todesfall mit Accounts und Daten verfahren werden soll. Das ist natürlich nicht immer möglich, weshalb gesetzliche Grundlagen vorhanden sein sollten, die Unklarheiten zum Wohle aller Beteiligten vermeiden. Sie könnten etwa klar festlegen, dass digitaler Nachlass vererbbar ist und somit auch den großen Playern im Social-Media-Segment beim hochsensiblen Thema Datenweitergabe rechtliche Absicherung bieten. Denn dort, wo ein Wirrwarr im Paragraphendschungel herrscht oder neue Entwicklungen und Tools in Gesetzestexten überhaupt nicht zu finden sind, kommt es häufig zu paradoxen Situationen: So geht ein Teil der Juristen davon aus, dass Zugänge zu Online-Accounts und Chats nach dem Tod wie vertrauliche Telefongespräche behandelt werden müssen. Private Briefe des Toten hingegen können von erbberechtigten Angehörigen jederzeit geöffnet und gelesen werden.

Digitales Profil als Erinnerung reicht nicht

Digitale Daten jedoch sind Teil des Schaffens eines Menschens, seiner Identität und auch wichtige Zeugnisse seines Lebens. Ihr Verlust führt im schlimmsten Fall dazu, dass Familienmitglieder die Aufarbeitung und Trauerphase kaum in einem für sie wichtigen Maße abschließen können, besonders wenn ein begangener Suizid im Raum steht. Das Profil als Erinnerung in einen “Gedenkzustand” zu versetzen, reicht dementsprechend nicht nur nicht aus, sondern kann sogar extrem kontraproduktiv sein wie das Schicksal der Familie des Berliner Mädchens zeigt. Es ist höchste Zeit dafür zu sorgen, dass digitaler Nachlass ein Herzensthema wird. Unsere Erben werden es uns danken.

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