Über die Zukunft des Internet wurde bei der vierten Tagung des „Studienkreises ICANN“ in Berlin diskutiert. Der Einfluss der Nutzer schwindet. Eine europäische Nutzervertretung ist geplant.

Nein, er habe im Flugzeug nicht zuviel getrunken, beruhigte Vint Cerf die erstaunten Zuhörer. Er arbeite tatsächlich an der Ausdehnung des Netzes auf den Weltraum, auch wenn dabei noch etliche Probleme zu überwinden seien, sagte der
ICANN-Vorsitzende und Miterfinder des Internet-Protokolls TCP/IP auf der 4. Tagung des
Studienkreises ICANN in Berlin. Der Fokus seiner halbstündigen Rede lag jedoch auf den irdischen Problemen, wie jenem, dass die Anzahl der IP-Adressen in den nächsten Jahren knapp werden könnte. Daher „brauchen wir IPv6 dringend“ erklärte Cerf. Bei der neuen Version des Internetprotokolls,
IPv6, ist nicht zu befürchten, daß die Adressen jemals ausgehen. Es ermöglicht 665.570 Milliarden IP-Adressen – pro quadratmillimeter Erde.

ICANN Reform

Im Mittelpunkt der Tagung, zu der etwa 150 Teilnehmer aus der deutschsprachigen Internet-Community gekommen waren, stand die neue
ICANN-Struktur, die von fast allen Teilnehmern als zu kompliziert kritisiert wurde. Da konnte sich Hans Krajenbrinck vom ICANN-Reformkommittee noch so sehr mühen, die Veränderungen als „verbesserte Struktur für mehr Transparenz und Verlässlichkeit“ zu preisen. Die Benennung eines Ombudsmannes und eines Managers für Öffentliche Beteiligung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Internetnutzer durch die Abschaffung der „At-Large“-Direktoren in Zukunft weniger zu sagen haben.
Andy Müller-Maguhn, der noch amtierende europäische Nutzervertreter, wandte sich gegen den zunehmenden Einfluss der „Marken- und Urheberrechtsindustrie“. Es müssten diskursive Freiräume erhalten bleiben, sonst drohe die „vollständige Kommerzialisierung des Internets“.

„Seit drei Jahren Stillstand“

Auch die Vertreter der landesspezifischen country-code Top-Level-Domains (ccTLDs, wie z.B. .de) sparten nicht mit Kritik an der ICANN. „Wir sehen seit drei Jahren Stillstand“, meinte Sabine Dolderer von
denic. ICANN beschäftige sich mit allen möglichen Fragen, aber „naheliegende Probleme werden zuletzt gelöst“. Sie forderte eine Konzentration auf Wesentliches, vor allem die Verteilung der IP-Adressblöcke durch die IANA (www.iana.org). Positiv beurteilte sie die stärkere Trennung zwischen ccTLDs und generic TLDs (gTLDs, wie .org oder .biz), eine alte Forderung der ccTLD-Vertreter. Beide Gruppen werden in Zukunft je zwei Direktoren in den ICANN-Vorstand entsenden. Dennoch, so Dolderer, könnte auf die spezifischen Probleme der ccTLDs besser eingegangen werden. Sie empfahl eine Orientierung am Grundsatz der Subsidiarität. Insgesamt gesehen seien die neugeschaffenen Strukturen der ICANN viel zu kompliziert und intransparent, zudem „fehlt in vielen Bereichen die Legitimation“. Ähnlich argumentierte Willi Black, Manager bei der britischen
Registry Nominet. Das „Kiss“-Prinzip sei nicht verwirklicht: „Keep it simple, stupid!“ Es gäbe nur wenige Dinge, die global entschieden werden müssten, darunter die Vergabe der Adressblöcke und die Entscheidung über neue generische TLDs.

„Euralo“ – Vertretung der Internetnutzer in Europa

Unterm Strich schneiden die ccTLDs bei der Reform nicht schlecht ab – ganz im Gegensatz zu den individuellen Nutzern. Sie können sich zukünftig nur über das At-Large-Advisory-Comittee (ALAC) einbringen und nehmen einen geringen Einfluss auf die Zusammensetzung des Vorstands. Für At-Large-Aktivisten bedeutet das einen größeren Aufwand bei geringeren Mitwirkungsmöglichkeiten. Dafür könne man wohl nur wenige begeistern, befürchtet Müller-Maguhn.

Thomas Roessler vom ICANN-board bestellter Nutzervertreter im Übergangs-ALAC, läßt sich dennoch nicht entmutigen. Mit einigen Konferenzteilnehmern versuchte er zum Abschluß der Tagung, die Umrisse der neuen europäischen Nutzervertretung
„Euralo“ zu skizzieren. Möglichst bald soll eine Organisationsstruktur gefunden werden, in der europäische Internetnutzer von Albanien bis Weißrussland repräsentiert werden können. Bislang beschränkt sich diese allerdings auf eine Mailingliste.