Beim Thema politische Partizipation muss das Internet wesentlich gezielter genutzt werden, denn bislang hat es noch nicht seine volle Wirkung entfalten können. Darüber herrschte bei der gestrigen öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ allgemeiner Konsens.

Geladen waren sechs Experten, die bereits im Vorfeld von den Parteien zu einigen Aspekten befragt worden waren, und zu denen die Gäste schriftlich Stellung genommen hatten. In den knapp vier Stunden der Sitzung stellten sie sich den Fragen der Abgeordneten und des „18. Sachverständigen“, der sich über die Internetseite der Enquetebeteiligung zu Wort melden konnte. Die Leitfragen der Diskussion waren unter anderem: Wie erreichen wir durch die Nutzung des Internet eine höhere Beteiligung der Bürger am politischen Prozess? Wie bedeutend ist die E-Partizipation und wie kann man sie noch attraktiver machen? Ist E-Partizipation generations-, geschlechts- oder bildungsspezifisch?

Sachkenntnis und Wissen adäquat einbringen – dazu ist Disziplin erforderlich

Zu diesen Fragen äußerten sich die Sachverständigen recht kritisch. So meinte der Politikwissenschaftler Professor Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dass etwa 50 Prozent der Bürger der politischen Partizipation aus dem Weg gingen. Die partizipierenden „Digitalbürger“ hingegen machten nur ein Fünftel der Bevölkerung aus und diese seien zumeist junge, hoch gebildete Menschen, die es von jeher gewohnt seien, das Internet umfangreich zu nutzen. Wichtig sei besonders, dass man sich der Schnelligkeit des Netzes anpasst. Dr. Markus  Linden, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, sorgte mit seiner Aussage, dass die Forderung nach mehr E-Partizipation nur ein Krisenausgleich der Bundesregierung sei und sie vor allem an der Vielzahl der Anforderungen innerhalb der Diskussion kranke, für umfassenden Gesprächsstoff.

Alle Akteure müssen teilnehmen können

Schlechte Nachrichten gab es ebenfalls von Daniel Reichert, Vorstandsvorsitzender des Vereins Liquid Democracy. Nur 30 Prozent der rund 2.600 Nutzer der Adhocracy-Plattform glaubten an die Effektivität der Plattform und ihren Einfluss auf die Realpolitik, was nicht zuletzt dem fehlenden Feedback der Abgeordneten des Ausschusses geschuldet sei. Trotz dessen sei es aber ein Erfolg, so Reichert, dass es überhaupt die Möglichkeit der E-Partizipation gebe und jeder die Chance habe, diese auch zu nutzen. Daniel Reichert betonte weiterhin, dass die vorhandenen Beteiligungsplattformen noch einfacher gestaltet und zum Teil professionell moderiert werden müssten.

Die Bundesregierung kritisierte Reichert für die bisherige Nutzung der bekannten Tools und Angebote zur E-Partizipation. Statt enorme Summen in bundeseigene Plattformen zu stecken, sollten gemeinnützige Vereine mit ausgearbeiteten Konzepten unterstützt werden, ergänzte Stefan Wehrmeyer, Software-Entwickler bei der Open Knowledge Foundation Deutschland und Leiter des Projektes FragdenStaat.de. Professor Christian Neuberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München ermahnte die Kommission, dass es momentan kein positives Leitbild für E-Partizipation gebe, was insbesondere daran liege, dass es bislang mehr Spekulation als Forschung betrieben würde und die vorhandenen Forschungsergebnisse nicht ausreichend berücksichtigt würden.

Die Vertrauenskrise ist nicht durch Transparenz zu lösen

Positiv  bewertete die bisherige Errungenschaften der Enquete-Kommission Christoph Kappes, Geschäftsführer der Fructus GmbH. Die Möglichkeit der Online-Partizipation durch den „Klick-Aktivismus“ sei zudem die zukünftige Form der Meinungsäußerung und dürfe deshalb nicht unterschätzt werden, so Kappes . Man dürfe ebenfalls  nicht davon ausgehen, dass mehr Transparenz in der Politik das fehlende Vertrauen der Bevölkerung wiederherstellen könne. Die Technik sei allerdings noch im embrionalen Stadium und müsse sich erst noch der rasanten Entwicklung der Netz-Gesellschaft anpassen. Ebenfalls gebe die weitere Entwicklung der Technik Grund zur Annahme, dass sich Massenmedien zu politischen Akteuren entwickeln könnten und deshalb ein neues Rollenverständnis entstehen müsse.

Fazit der 15. Sitzung

Nach der zweiten Fragerunde beendete der Vorsitzende der Internet-Enquete Axel E. Fischer die Anhörung. Was blieb, war die Frage: Werden die vielen Kritikpunkte in Zukunft berücksichtigt werden? Sofern man sich die Ergebnisse der 14. Sitzung vor Augen führt, sind bis auf kleine Verbesserungen (400 Mitglieder mehr auf der Internetseite der Enquete) nur wenige Erfolge zu verzeichnen. Das Gefühl, dass die digitale Beteiligung noch zu gruppenspezifisch und techniklastig ist, will nicht so recht weichen. Was bleibt, ist die Erkenntnis einiger Experten, dass Handlungsbedarf vonnöten ist. Konkrete Zugeständnisse konnte man gestern allerdings wieder nicht erwarten. Aber vielleicht wird sich die Mitgliederzahl auf enquetebeteiligung.de mit etwas Glück bis zur nächsten Sitzung um weitere 400 erhöht haben.

Wer sich ein eigenes Bild von der gestrigen Veranstaltung machen will, kann sich in der Mediathek auf der Seite des Bundestages die vollständige Sitzung anschauen.