(Artikel) Einige aussichtsreiche Anwärter für die Nachfolge des US-Präsidenten George W. Bush haben ihre Online-Kampagnen bereits gestartet. Ein erster Blick zeigt, dass Webvideos eine zentrale Rolle im Wahlkampf spielen werden.

 

Wie früh das Rennen um die Präsidentschaft in diesem Jahr tatsächlich begonnen hat, ist an den bisher rudimentären Netzauftritten aussichtsreicher Kandidaten wie
John McCain und
Rudy Giuliani zu erkennen. Doch auch die Nachzügler werden sich den neuen Bedingungen des Online-Wahlkampfes in den USA stellen müssen. 2004 hatte die furiose Kampagne von Howard Dean gezeigt, wie effektiv das Internet bei der Beschaffung von Spenden und Mobilisierung von freiwilligen Wahlhelfern sein kann. Der österreichische Politikwissenschaftler
Peter Filzmaier stellte damals fest: "Ohne Internet kann man eine Wahl in den USA nicht gewinnen, aber auch nicht, wenn man sich ausschließlich darauf stützt." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch obwohl das Fernsehen bis auf weiteres das Top-Medium bleiben wird, setzen die Wahlkampfstrategen immer stärker auf das Internet. Aus guten, wissenschaftlich unterfütterten
Gründen: Im Vergleich zum Jahr 2002 nutzen heute doppelt so viele Amerikaner das Internet als erste Informationsquelle. Fast ein
Viertel dieser politisch interessierten Online-Nutzer produzieren eigene Inhalte oder leiten entsprechende Blog-Kommentare und Videos an ihre Bekannten weiter.

„Online First“ bei Obama

Es sind die Web-Videos, die den Online-Wahlkampf in den kommenden Monaten prägen dürften. Kein Kandidat verzichtet heute auf die Möglichkeit, sich unabhängig vom "Filter" der traditionellen Massenmedien ins Bild zu setzen. So verkündete der demokratische Senator
Barack Obama den ersten wichtigen Schritt seiner Präsidentschaftskandidatur, die Gründung einer Sondierungskommission, nicht etwa in einer populären Fernseh-Talkshow, sondern in einem Video auf seiner neuen Website. Seine ärgste innerparteiliche Rivalin, Senatorin
Hillary Clinton, reagierte nur wenige Tage später und startete ihre Kampagne mit einer Ansprache im "Hillary-TV" ihrer Kampagnenplattform. Kurz darauf stellte sich Clinton in drei Videointerviews einer Reihe von zuvor online gesammelten Fragen. Auf der politischen Gegenseite kann derzeit vor allem der republikanische Gouverneur
Mitt Romney mit einer ähnlich startegischen Nutzung von Internet-Videos aufwarten.

Der "eKandidat"

Im Vergleich zu den professionell und kühl produzierten Webauftritten von Clinton und Romney geht
John Edwards einen anderen Weg. "
Business Week" sieht in dem früheren demokratischen US-Senator den "e-Kandidaten", der die neuen Online-Instrumente am konsequentesten nutzt. Edwards veröffentlichte sein Bewerbungsvideo am 27. Dezember 2006 nicht auf einem eigenen "TV-Kanal", sondern auf "
YouTube". Seine Website integriert zudem weitere populäre soziale Netzwerke wie "
Flickr" und "
MySpace". Mit der "One Corps"-Initiative betreibt Edwards einen Servicebereich, über den sich Interessierte online treffen und verabreden können, um sozial aktiv zu werden – wie Howard Dean es 2004 vormachte. Anwender können Beiträge auf einer eigenständigen Blog-Plattform veröffentlichen und diskutieren. Neben Edwards selbst betreiben dort auch seine Frau und seine Tochter eigene Blogs.

Kratzer im glatt polierten Image

Die offensive Online-Kampagne von John Edwards lässt ahnen, wie Wahlkämpfe in den Vereinigten Staaten zukünftig aussehen könnten. In den kommenden Monaten wird jedoch zunächst einmal die "
YouTube-Ära" beginnen. Ob dies die amerikanische Demokratie beleben wird, muss sich erst noch zeigen. Die bisherige Verwendung der neuen Internet-Technologien beweist nicht zuletzt, wie geschickt die Botschaft und das Erscheinungsbild eines Kandidaten gesteuert werden können. Katja Gloger warnt im "
Stern" bereits vor einem "Endlosstream der Manipulation". Andererseits müssen sich die Kandidaten darüber im Klaren sein, dass Ausrutscher und Widersprüche jeglicher Art gefilmt und im Internet verewigt werden können. Die politische Konkurrenz verwendet das dankbare Material mittlerweile gezielt in eigenen Kampagnen. Linke Kritiker von Senator John McCain haben eine ganze
Website mit zahlreichen Videobelegen ins Netz gestellt, um die angebliche Prinzipienlosigkeit des republikanischen Präsidentschaftskandidaten zu belegen. Wie gefährlich die Internet-Videos für Politiker werden können, zeigt der Fall des republikanischen Senators George Allen, dessen Wiederwahl im November 2006 auch aufgrund eines gefilmten rassistischen
Ausfalls während eines Wahlkampfauftritts scheiterte. Ganz so schlimm hat es Hillary Clinton bisher nicht getroffen, doch auch sie musste sich bereits einigen Spott gefallen lassen: Clintons Versuch, bei einem Wahlkampfauftritt in Iowa die Nationalhymne zu singen, wurde von einem Mikrofon aufgezeichnet – das
Video stand kurz danach im Netz.