Gesellschaft verändern bedeutet Schule verändern und umgekehrt. In der Debatte um zeitgemäße Bildung geht es um neue Inhalte und überreife Strukturen. Vor allem aber geht es um die beteiligten Menschen und deren Haltung, ohne die jede Bildungsreform eine leblose Hülle ist. Dieser Text nimmt Herausforderungen und mögliche Handlungsansätze für Lehrende in den Blick. Wegweiser sind dabei jene Kompetenzen des 21. Jahrhunderts, die wir alle für ein gelingendes Leben unter den Bedingungen von Digitalität brauchen: Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken.

Menschen angemessen zu unterrichten, ist mit einer besonderen Verantwortung verbunden. Gute Lehre verlangt einem Menschen sehr viel ab, und auch wenn die Aussicht auf einen sinnvollen und sicheren Job vielen attraktiv erscheint, ist nicht jeder und jede für diese Aufgabe geeignet. Hinzu kommt, dass die gesellschaftliche Erwartungen an LehrerInnen zwar enorm hoch, deren öffentliches “Image” allerdings weniger positiv besetzt ist. Nicht nur beschäftigen sich seit Jahren diverse Publikationen mit dem, was Lehrende alles falsch machen, auch scheint es einen sich haltenden “Common Sense” über den Berufsstand zu geben. Wer von uns Nicht-Bildungsmenschen hat nicht schon einmal gesagt (oder zumindest gedacht?): “Lehrer, puh….anstrengend”?

Dabei erinnert man sich an die Frustrierten, über die Jahre fies gewordenen, aus der eigenen Schullaufbahn. Oder meint die Besserwissenden und Welt-ErklärerInnen, die einem mal bei einer Party im Bekanntenkreis über den Mund gefahren sind. Ja, all diese Typen von Lehrenden gibt es. Fakt ist aber: diese Art der undifferenzierten Bewertung erschwert den umfassenden Wandel, den sich so viele für die Zukunft der Bildung wünschen. Denn, man ahnt, was kommt: Es gibt natürlich auch die anderen, die begeisterten, engagierten und leidenschaftlichen LehrerInnen. Facettenreiche Ideen dazu, wie man heute als Lehrende/r “die Welt verbessern kann“, lassen sich beispielsweise in zwei spannenden Ausgaben der Podcast-Reihe „Jöran ruft an“ nachhören.

Was bei allem Engagement bleibt, ist ein Schulsystem, in dem äußerer Umwälzungen zum Trotz lange kaum Veränderung stattfand: “Man kann es irgendwie machen und durchkommen. Aber wenn man es richtig macht, ist es eigentlich immer zu viel, erzählte mir jüngst ein befreundeter Lehrer beim Mittagessen. Das bringt den Eindruck von permanenter “Überlastung”, der sich durch die Besuche der aula-Schulen und diverser Gespräche mit Lehrenden zieht, ziemlich auf den Punkt. Durchatmen, reflektieren und planen, wie denn nun zeitgemäße Lehre in den straffen Schulalltag integriert werden kann, ist nahezu unmöglich.

Weitere Realiäten, die es inner- und außerhalb von Schulen dringend zu verhandeln gäbe, sind veraltete Lehrpläne und Lehrmethoden, der Fokus des Systems auf Noten und Abschlüsse, schlechte technische Ausstattung (PCs, mobile Geräte, Whiteboards) und Infrastruktur (WLAN!), ein Mangel an demokratischen Strukturen und der eben über allem schwebende Mangel an Zeit. Letzterer kann nicht oft genug betont werden, denn die tollsten Konzepte und Ideen bringen nichts, wenn niemand Zeit und kaum jemand das nötige Wissen hat, um sie umzusetzen. Dies zu ändern wird unter andem Aufgabe politischer Akteure sein, von deren verstärktem Einsatz die Zukunft zeitgemäßer Bildung abhängt.

Um wirklich an den richtigen Stellschrauben zu drehen, ist es enorm wichtig, die Zukunft von Bildung im Kontext von sowohl gesellschaftlichem als auch digitalem Wandel zu betrachten. Wie es Lisa Rosa treffend auf den Punkt bringt, geht es bei der Auseinandersetzung um die Gestaltung zeitgemäßer Bildung um nichts geringeres als die Frage:

“Welche Art von Gesellschaft wollen wir, und wie soll darum die Bildung unter den Bedingungen der Digitalität aussehen?”

Ein Modell, das zeitgemäßes Lernen und Lehren in diesem Zusammenhang abbildet, ist das 4K-Modell des Lernens. Dabei werden vier Kernkompetenzen (abgeleitet vom Framefork for 21st Century learning) beschrieben, die notwendig sind, um unter den Bedingungen des aktuellen digitalen, aber auch gesellschaftspolitischen Wandels ein gelingendes Leben zu führen: Kreativität, Kommunikation, Kritisches Denken und Kollaboration.

Die folgenden Abschnitte sind ein Versuch, anhand der vier Kompetenzen aktuelle Handlungsansätze und Herausforderungen für Lehrende aufzuzeigen. Ebenso wie die verschiedenen Lebensbereiche, die sie berühren, sind sie nicht getrennt voneinander und bedingen sich in vielerlei Hinsicht gegenseitig. Dennoch sind es gute Überschriften wenn es darum geht, Beobachtungen und Annahmen zusammenzufassen.

Kreativität: Raum für Experimente und Innovation schaffen

Den Zusammenhang von Bildung, Gesellschaft und Digitalität ernst zu nehmen heißt, verschiedenen Wissensgebiete innerhalb wie außerhalb von Schule miteinander zu kombinieren und interdisziplinär zu arbeiten. Um das zu leisten und Innovation zu ermöglichen, ist ein kreatives Vorgehen gefragt, denn es gibt keine schematischen Lösungen für einen solch komplexen Ansatz. Kreativität ist die Fähigkeit, aktiv und gestalterisch zu handeln und sich dabei auch abseits von Routinen zu bewegen, sodass neue Wege möglich werden. Das bedeutet auch, Gewohnheiten loszulassen, was viel schwerer ist als es sich anhört. Aber es ist notwendig, damit Neues entstehen kann.

Kreativität im außerschulischen Raum entsteht unter anderem durch die Zusammenarbeit von experimentierfreudigen Menschen aus verschiedensten Wissensgebieten. Ein interessantes Beispielprojekt dafür sind die kürzlich gestarteten edulabs. Hier kommen Menschen mit Technik- und Designkenntnissen mit LehrerInnen, PädagogInnen, und Menschen aus politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um gemeinsam an offenen und innovativen Bildungsformaten zu arbeiten. Das, was unter anderem dort passiert, kann wiederum das Entstehen von kreativem, fächerübergreifendem Lehren innerhalb von Schulen fördern. Unter den Bedingungen von Digitalität kreativ zu unterrichten, bedeutet dabei auch, aber nicht nur, digital gestützte Methoden des Lehrens und Lernens zu entdecken und für das eigene Fach einzusetzen. Wer dabei stehen bleibt, den früheren Frontalunterricht durch Erklärvideos zu ersetzen, macht zwar Unterricht mit digitalen Mitteln, hat aber den Kern von zeitgemäßer Bildung nicht getroffen. Das Gleiche gilt für analoge, aber in vielerlei Hinsicht veraltete Lehrmethoden wie “Lückentexte”, die scheinbar einfach nicht aus der Mode kommen.

Insgesamt ist es wichtig, eine Offenheit gegenüber dem eigenen Lernprozess zu entwickeln und keine Angst vor Fehlern oder den eigenen Grenzen zu haben. Dass nicht in jedem Klassenraum sofort der Greenscreen ausgerollt, mit Design-Thinking, Calliope & Co oder Social Media gearbeitet werden kann und muss, ist klar. Welche Methoden wo sinnvoll einzusetzen sind, ist immer themen-, kontext- und personenabhängig. Und letztlich steht bei aller Kreativität am Ende die wichtigste Frage: Welche Methoden und welches Material haben SchülerInnen dabei geholfen, welche Kompetenzen zu erwerben? Inspirierend ist hier beispielsweise die Social-Bookmarking Plattform edutags, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Materialien von SchülerInnen und LehrerInnen bewerten zu lassen.

Kommunikation: Den Perspektivenwechsel unterstützen

Kommunikation im schulischen Umfeld zeitgemäß zu denken, bedeutet auch, digitale Kommunikation in die Lehre zu integrieren. Es bedeutet aber noch viel mehr: zu verstehen, was Kommunikation im digitalen Wandel eigentlich bedeutet.

Ein lehrreicher Aha-Moment im Rahmen des aula-Projekts war, als in einer der Pilotschulen nach über 9 Monaten Praxiseinsatz wiederholt gefragt wurde, ob denn auch daran gedacht wird, die online-Kommunikation der aula-Plattform in das reale Leben zu übertragen. An dieser Frage wird einiges deutlich. Unter anderem auch, dass wir es offenbar nicht geschafft haben, unser Konzept, das natürlich eine Kombination von online- und offline-Kommunikation vorsieht, durchgängig an alle LehrerInnen zu tragen.

Was hier aber auch klar wird: Die spezifischen Bedingungen von Kommunikation im Digitalen wie Asynchronität, Interaktivität, Diskursivität etc. und deren Bedeutung sind noch längst nicht allen bewusst. Und das kann perspektivisch zum Problem für gelingende Kommunikation in der Schule und für generelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben werden. Nur wer Digitalität versteht und aktiv mitgestaltet, wird in der Zukunft an der Lebenswelt nachfolgender Generationen teilhaben können. Denn letztlich verändert der routinierte Umgang mit Digitalität auch das Kommunikationsverhalten, Techniken des Lesens, Schreibens und Sprache an sich. 

So lange diese umfassenden Wirkungen von Digitalität nicht selbst erfahren und verinnerlicht werden, bleiben Unsicherheiten und Missverständnisse bestehen. Eine der Folgen davon ist, dass einige weiterhin die Unterscheidung zwischen “analoger” und “digitaler” Kommunikation mit einer Trennung zwischen “realer” und “digitaler” Welt gleichsetzen. Hier gilt es in Zukunft zu vermitteln, dass “analog” und “digital” verschiedene Formen von Kommunikation darstellen, die aber beide gleichermaßen real sind und gleichzeitig stattfinden können. Dabei muss es natürlich darum gehen, Digitalität mit allen Facetten, sowohl den spezifischen Möglichkeiten als auch gleichzeitigen Herausforderungen und Konfliktpotentialen zu diskutieren.

In den konkreten Situationen, wenn wir durch Lehrende mit Vorbehalten gegenüber dem “Digitalen” in der Schule konfrontiert werden, entstehen dann manchmal paradoxe Momente. Denn wir wollen ja tatsächlich, unter anderem mit der Integration digitaler und partizipativer Strukturen, einige der als bisher “real” empfundenen Verhältnisse verändern. Dabei werden allerdings zwei Ebenen miteinander vermischt. Unbegründet ist die Annahme, analoge Kommunikation würde durch digitale Kommunikation ersetzt. Vollkommen richtig hingegen ist, dass Digitalität Strukturen verändern kann und unter anderem Dinge sichtbar macht, die vorher nicht in dieser Form zu sehen waren. Machtverhältnisse, Kommunikationswege, Qualität und Quantität der eigene Arbeitsweise werden transparenter und nachvollziehbarer und das ist manchmal vielleicht auch mit Unbehagen verbunden.

In jedem Fall bedarf es konkreter Unterstützung und Aufklärungsarbeit um diesen notwendigen Perspektivenwechsel in der Breite anzustoßen. Langfristiges Ziel muss dabei in jedem Fall auch eine Reform der Ausbildung von LehrerInnen sein. Für die bereits ausgebildeten geht es darum, Räume für das “learning by doing” zu schaffen. Dazu eignen sich offene und partizipative Formate wie beispielsweise Barcamps (Hier ein ausführlicher Bericht der Pestalozzi-Schule Freiburg) ganz hervorragend, weil sie auf gegenseitigem Wissensaustausch und Wertschätzung basieren.

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Artikels über Kritisches Denken, Kollaboration und den Ausblick.

 

Titelbild: Jankos via Pixabay CC0 Public Domain