Diese Presseschau steht ganz im Zeichen der Bundestagswahl. Vom „Ende einer netzpolitischen Ära“ bis hin zum „abgebrannten Neuland“– die Onlinepresse tobt. „Vermutlich hatte der Deutsche Ruderverein einen größeren Impact auf diese Wahl als die Netzgemeinde“, schreibt beispielsweise Michael Seemann in seinem Blog. Wir versuchen, einen Überblick über den medialen Sturm der Entrüstung zu bieten.

Video der Woche


Mit der FDP muss aktuell eine ganze Partei ihre Plätze im Bundestag räumen. Es scheiden aber auch 40 Mitglieder der SPD-Fraktion aus dem Parlament aus. Einige dieser nun ehemaligen Abgeordneten erinnern sich in unserem Video der Woche an besondere Momente aus ihrer Zeit im Bundestag.
 

Haben wir versagt?

„Willkommen beim Rollback, bitte anschnallen.“ Mit diesem Satz beschließt der Blogger Michael Seemann seinen Blogeintrag zum Ende einer netzpolitischen Ära: Bis vor kurzem schienen die politischen Einflussmöglichkeiten der Netzgemeinde anzuwachsen. Der Erfolg der Piratenpartei bei einigen Landtagswahlen, das Ende der Vorratsdatenspeicherung, die Einberufung einer Enquetekommission und der europaweite Protest gegen „Acta“ – all das habe die digitale Szene damals von einer neuen, von „ihrer“ Politik träumen lassen. Die Ereignisse dieses Jahres aber, hätten diese Hoffnungen zum Einsturz gebracht: So wurde beispielsweise das Leistungsschutzrecht umgesetzt – ein Gesetz, das von den Netzaktivistenmassiv bekämpft wurde. Allerdings hätte weder dieses Gesetz, noch der „digitale Überwachungsgau“ irgendeine Auswirkung auf das Wahlergebnis gehabt. Nun müssten wir uns auf Netzsperren, mehr Überwachung und ein Trojanergesetz gefasst machen – ein Rollback eben. Die Netzpolitik in der aktuellen Konzeption, also Politik „aus dem Netz (…) als reine Selbstbespiegelung der Interessen der Netzgemeinde“ sei tot, folgert Seemann. Nun gelte es vor allem herauszufinden, woran das liegt: „Ist Post-Privacy bereits so eine Gesellschaftsnormalität, dass die Prism-Debatte nicht verfängt? Haben wir versagt: organisatorisch, ideologisch, personell?“ Fragen, für deren Beantwortung die digitale Szene wohl einiges an Zeit brauchen wird.

Düstere Aussichten

Michael Seemann ist nicht der einzige, dem die Zukunft der Netzpolitik in vorerst düsterem Licht erscheint. Auch Friedhelm Greis schreibt auf golem.de von wenig erfreulichen Aussichten: Mit der CDU habe „diejenige Partei am stärksten zugelegt, deren Wahlprogramm die diffusesten Aussagen zur Netzpolitik enthält“. Die Union fordere die Vorratsdatenspeicherung und bekenne sich nur sehr eingeschränkt zur Netzneutralität. Zum flächendeckenden Ausbau der Breitbandinfrastruktur findet sich im Wahlprogramm kein einziger neuer Ansatz – „dafür aber das Bekenntnis zu wirtschaftlichen Verwertung von Nutzerdaten“. Wer taugt als Korrektiv? Die SPD eher nicht, meint Greis. Zum einen befürwortet auch die SPD die Vorratsdatenspeicherung und hat die Bestanddatenauskunft schon damals nicht im Bundesrat gestoppt. Zum anderen wird sie  – so vermutet Greis – für einige gute Vorschläge wie die Abschaffung des Leistungsschutzrechts in einer Koalition wohl keine Zustimmung finden. Was bleibt? Die Piraten liegen bei 2,2 Prozent und Grüne, Linke und FDP, also die Parteien mit „deutlichen Bekenntnissen zu Datenschutz, Netzneutralität, Breitbandversorgung und Open Government, haben zusammen 15 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009 verloren“. Da bleibt erst mal nicht viel, findet Greis. Netzpolitiker werden es in den nächsten Jahren noch schwerer haben, ihre Forderungen durchzusetzen.

Jetzt erst recht

Allen Untergangsszenarien zum Trotz: Die Netzgemeinde bleibt am Ball. Die „Digitale Gesellschaft“ hat einen ausführlichen 10-Punkte-Katalog online gestellt, und fordert die Politik auf „Zielvorgaben zu den zentralen netzpolitischen Vorgaben im Koalitionsvertrag zu verankern“. Dazu zählen: Die Wahrung grundlegender Datenschutzprinzipien auf EU-Ebene, die Verhinderung grundloser Überwachung, die Eindämmung des Exports von Überwachungstechnologien sowie die Abschaffung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsinstrument. Außerdem fordert die „Digitale Gesellschaft“ die Abschaffung der Störerhaftung. Denn bisher haften Betreiber von nicht gewerblichen Wlans für Rechtsverletzungen, die Dritte über ein von ihnen betriebenes offenes Funknetz verüben. Weitere Vorschläge der Digitalen Gesellschaft: ein „Recht auf Remix“, eine transparentere Gestaltung der öffentlichen Verwaltung, die Schaffung eines offenen Zugangs zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und natürlich die konsequente Durchsetzung der Netzneutralität.

Fünf Lektionen

In diesem Bundestagswahlkampf wurden von den Parteien so viel getwittert und gepostet wie nie zuvor. Oliver Voß zieht in der Wirtschaftswoche fünf Lektionen aus dem Social-Media-Wahlkampf. Erste und zweite Lektion: Twitter werde über-, Facebook dagegen unterschätzt. Denn nur sieben Prozent der Bevölkerung sind deutschen Bevölkerung sind gelegentlich auf Twitter unterwegs. Zum Vergleich: 25 Millionen Deutsche loggen sich mindestens einmal im Monat auf Facebook ein. Außerdem – Lektion drei – würden die neuen Plattformen nur in Kombination funktionieren. Ein Beispiel: Die wahre Innovation dieses Social-Media-Wahlkampfes waren die tumblr-Blogs, man denke an die „Stinkefinger-Blogs“ zu Peer Steinbrück. Und die meisten Besucher dieser Blogs kommen über Facebook und andere soziale Medien. Lektion vier: In den Social Media sind es die großen und die sehr kleinen Parteien, die dominieren. So wurden die meisten Kommentaren und Tweets über die CDU und die SPD verfasst. Direkt darauf aber folgt schon die Piratenpartei undnd die AfD holt schnell auf. Eine weitere Beobachtung von Voß: Die sozialen Medien würden Trends verstärken oder verzerren. Twitter wirke als Echokammer, und habe nur sehr begrenzten Einfluss auf die Wahlentscheidung der Bevölkerung.

Neuland ist abgebrannt

Bekommt Twitter von Seiten der Wahlkämpfer also viel zu viel Aufmerksamkeit? Ist das Social Web, eine Filterblase? Das fragt sich auch Richard Gutjahr in seinem Blog. Und zieht ein ernüchterndes Fazit. Der Wahlsieg der CDU zeige, dass es sich offenbar lohne, auf „öde Spots, Plakate und Strategien“ zu setzen. (…) Kreative Web-Wahlkämpfe hingegen verliefen oft im Nirvana.“ Allerdings habe das Netz alleine noch nie eine Wahl entschieden. Es komme auf das Zusammenspiel von On- und Offline an, das würden auch Experten bestätigen. Oft gelten online ohnehin die gleichen Regeln wie z.B. im TV: Insbesondere die Personifizierung sei bei abstrakten Themen von großer Bedeutung. Dennoch könnten digitale Analysen durchaus zu neuen Erkenntnissen führen. So würde die Analyse von Google-Suchabfragen „selektive Stimmungen und Trends im Wahlvolk besser abbilden, als das durch Wählerbefragungen geschehen ist.“ Ein Trend sei darüber hinaus auch ohne große Untersuchungen deutlich erkennbar:„Die „Zwischendrin“-Generationen 50- und 60-plus“ würden das Neuland beherrschen und hätten kein Interesse an Experimenten. Gutjahrs Resümee: „Mit abstrakten Netzthemen lassen sich keine Quoten machen, erst recht keine Wahlen gewinnen.“
 
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