Ein neues Online-Kampagnenelement im Wahlkampf: Die Gewinnung von freiwilligen Wahlkampfhelfern per Internet (e-volunteers)

Amerikanische Trends finden zeitversetzt mit an Zwangsläufigkeit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland Nachahmer. Dies gilt für seltsame Sportarten (Fett-Weg-Striptease) aus Übersee ebenso wie für den US-Netzwahlkampf. Zu dessen klassischen Disziplinen zählt neben dem Online-Fundraising auch die Rekrutierung freiwilliger Helfer über das Internet (e-volunteers). Da es in den Vereinigten Staaten keine formelle Parteimitgliedschaft gibt, spielt die Mobilisierung von Unterstützern von jeher eine wichtige Rolle. Mit der „Nuklearwaffe Email“ (Larry Purpuro, Chef des republikanischen Nationalkomitees) wurde eine die Grenzen herkömmlicher Kommunikation sprengende, flächendeckende und kostengünstige Mobilisierung freiwilliger Helfer erreicht, die den amerikanischen Politikern im Wahlkampf manifeste Vorteile einbrachte. So konnte John McCain, in vielerlei Hinsicht Pionier der Online-Kampagne, im Vorwahlkampf zu den 2000er Präsidentschaftswahlen 140.000 Freiwillige via Internet für seinen Wahlkampf gewinnen.

Bundestagswahl 2002

Mit dem diesjährigen Bundestagswahlkampf bietet sich auch für deutsche Parteien eine Gelegenheit, das erfolgversprechende Wahlkampfwerkzeug der sogenannten „e-volunteers“ einmal selbst auszustesten. So haben inzwischen SPD, CDU und die Grünen auf ihren jeweiligen Homepages Bereiche installiert, über die man sich als Freiwilliger registrieren lassen kann, um dann die Partei im virtuellen oder realen Wahlkampf zu unterstützen. Der Zulauf bewegt sich bei den einzelnen Parteien im dreistelligen Bereich und nimmt sich damit – gemessen an amerikanischen Zahlen – eher bescheiden aus. Dennoch zeigt man sich in den Wahlkampfzentralen zufrieden mit der Resonanz: Sebastian Reichel, Mitarbeiter im Arbeitsbereich Online-Kampagne in der SPD-Kampa, bezeichnet das „Online-Campaigning-Team“ OCT der SPD als Pilotprojekt mit Zukunft. Mit mehr als 600 O.C.T.-Aktivisten, die sich auf dem virtuellen „Jobmarkt“ ihre Aufgaben suchen können und anschließend entweder im realen oder virtuellen Wahlkampf agieren, haben die Sozialdemokraten in der Tat einen guten Start hingelegt. Ein wesentlicher Vorteil des O.C.T. liegt in dessen Eigendynamik: Zwar gebe die Kampa den Rahmen vor, im wesentlichen organisiere sich das Forum aber selbst, so Reichel. Doch für manche OCT-Mitglieder könnte diese Freiheit noch größer sein. “Allerdings kann man sagen, dass noch weitergehende Unabhängigkeit vom Parteivorstand wichtig wäre, um noch mehr Ideen und spontane Umsätze kreativer Gedanken zu verwirklichen” sagt Gunther Heck, OCT-Mitglied im
Interview mit politik-digital.

Erfreulich ist, dass das Angebot offenbar über die Gruppe der sogenannten „heavy user“ hinaus eine breite Zielgruppe erreicht: So engagiere sich der Abiturient Seite an Seite mit politisch interessierten Senioren und der internetbegeisterten Hausfrau: “Ich denke, dass Internet wird weiblicher und es wird durchaus auch älter, und sowas bildet sich dann hier auch ab”, sagt Reichel. Die Freiwilligengewinnung der CDU ist laut Aussage von Stefan Scholz, Teamleiter des Online-Service bei den Christdemokraten, ebenfalls erfolgreich gewesen. “Hier sind wir mit der Nutzung auch sehr zufrieden. Es kamen zahlreiche Vorschläge von den etwa 600 Freiwilligen und unsere Angebote zur Aktivität (Initiative www.pro-stoiber.cdu.de, Aktion www.jedestimme.cdu.de und dieverse Abstimmungen) wurden sehr gut angenommen”, sagt Scholz.

Eine Variante der klassischen Freiwilligenrekrutierung, wie sie SPD, CDU und die Grünen betreiben, hat die FDP mit ihrer „Friendraising-Kampagne“ ins Leben gerufen. Uwe Evers von der Agentur Universum, die die FDP-Homepage betreut, erklärt das Konzept: „Sie als FDP-Mitglied oder Sympathisant können einem Freund etwas empfehlen, was sie an der FDP interessiert. Einem Lehrer beispilesweise können Sie eine kurze Aussage über Schulpolitik/Bildungspolitik zusenden und ihm empfehlen, in weitere entsprechende Angebote zu schauen.“ Laut Aussage der FDP haben 854 User 2641 e-mails verschickt, davon wurden 388 beantwortet.

Die Friendraising-Kampagne verweist außerdem auf einen anderen Trend des amerikanischen Online-Wahlkampfes: Das Customized Campaiging, auch Voter Targeting genannt; also die zielgruppenspezifische Ansprache von Wählern durch maßgeschneiderte Informationen.„Hier spielt das Stichwort „Individualisierte Webangebote“ eine Rolle – eine Entwicklung die sicher stattfinden wird,“ sagt Evers. Aber er nennt auch im
Interview mit politik-digital.de die Grenzen dieses Ansatzes: „Fast all unsere Angebote muss man bestellen und man kann sie selbstverständlich wieder abbestellen. Wir bombardieren niemanden mit Mails.”

Vorteile

Die Vorteile der virtuellen Freiwilligengewinnung fasst Prof. Dr. Peter Filzmaier, Politologe an der Uni Innsbruck und Autor des Buches „Wahlkampf um das weiße Haus“, so zusammen: „Beim professionellen Web Campaiging ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis im virtuellen Bereich günstiger. Es sind in kürzerer Zeit mit weniger Arbeitsaufwand oder Geld mehr Personen ansprechbar.“ Manuela Baldauf, Verfasserin von „Wahlkampf im Web“, sieht einen weiteren Vorteil darin, dass beispielsweise durch das Versenden individualisierter e-Mails ein direkterer Kontakt zum Adressaten aufgebaut werden kann, und dieser dann wiederum bei Bedarf über einen Link schnell an vertiefende Informationen gelangen kann.

Zukunft?

Wird die Freiwilligenmobilisierung über das Internet also in Zukunft den bundesdeutschen Wahlkampf revolutionieren? Wahlkampfstrategen wie Analysten warnen vor zuviel Euphorie und weisen einen Vergleich mit den amerikanischen Erfolgszahlen zurück: „Für uns sind diese Zahlen keine Vergleichgsgrundlage“, so Michael Scharfschwerdt von den Grünen. „Im Gegensatz zu den USA gewinnen wir Freiwillige durch unsere intakte Parteiorganisation. Vergleichbare Strukturen gibt es in den USA nicht.“ Auch Stefan Scholz, Teamleiter des Online-Service bei den Christdemokraten, scheut den Vergleich mit den USA: „Von solchen Zahlen sind wir noch weit entfernt. Das hängt mit mehreren Dingen zusammen. Zum einen ist das Netz in den USA immer noch weiter verbreitet als in Deutschland und auch die Nutzungsintensität ist dort höher als hier.“ Politologe Filzmaier dazu: „Ich warne davor, dass US-amerikanische Fallbeispiel der relativ erfolgreichen Online-Kampagne von John McCain allzu euphorisch auf den Stellenwert des Web Campaigning in europäischen Wahlkämpfen zu übertragen. Ich behaupte zum Beispiel, dass eine möglichst hohe Zahl von freiwilligen Wahlkampfhelfern, ob virtuell oder real, der Logik eines parteiexternen Wahlkampfmanagements in den USA entspricht, nicht aber zwangsläufig den Gesetzmäßigkeiten der von Parteien und ihren Funktionären geführten Wahlkämpfen in der Bundesrepublik Deutschland.“

Virtuelle Freiwilligengewinnung, da sind sich Wahlkämpfer wie Wissenschaftler einig, wird in Zukunft sicherlich ein sinnvolles Zusatzinstrument als Teil einer koordinierten Media-Mix-Strategie darstellen. „Ganz sicher aber sind virtuelle WahlkampfhelferInnen keine wahlkampfentscheidende Ressource der Parteien“, resümiert Filzmaier.

Erschienen am 26.09.2002