internetgovernance_puzzle_cutWenn man mal wieder verzweifelt eine verloren geglaubte Datei oder einen Link sucht, kommt neuerdings mit Sicherheit der Spruch: „Frag doch die NSA“. Obwohl scherzhaft gemeint, ist die Vorstellung keinesfalls lustig! Regeln fürs Internet? Ja! Aber: Wer soll die aufstellen und wie?

In seinen Anfangsjahren galt das Internet als freier und anarchischer Ort, an dem niemand uns vorschrieb, was wir dort zu tun oder zu lassen hatten. Machen wir uns nichts vor, diese Zeit ist seit Langem vorbei und wird auch nicht wiederkommen. Das Leben vieler Menschen spielt sich zunehmend online ab, viele Unternehmen verdienen ihr Geld mit dem Internet – daraus ergeben sich handfeste Interessen, die Entwicklung des Internets und seiner Strukturen zu beeinflussen. Auch Regierungen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn deren Funktionsträger haben die offizielle Aufgabe, den Staat und seine Bürger auch online vor Bedrohungen zu schützen. Das Internet bedarf also offenkundig der Regulierung. Es bleibt nur die Frage „Wer soll uns regulieren?“, mit der Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), seinen Vortrag auf der re:publica ’14 betitelte. Sollten das Regierungen, Geheimdienste, die globale Internetwirtschaft oder Multikstakeholder-Organisationen sein?

Historische Bedeutung von NETMundial

Ausgelöst durch die von Edward Snowden aufgedeckten weltweiten NSA-Bespitzelungen, initiierte die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef gemeinsam mit der Internet Cooperation for Assigned Names and Numbers (ICANN) die globale Multistakeholder-Konferenz „NETmundial“ über die Zukunft des Internets, die vom 23.-24. April 2014 in São Paulo stattfand und an der knapp 1.500 Personen aus 93 Ländern teilnahmen.
Jeanette Hofmann, Berliner Politikwissenschaftlerin und Expertin für Urheberrecht und Internetregulierung, hat in einem Vortrag auf der re:publica’14 die NETmundial als historisches Ereignis bezeichnet. Sie begründete diese Einschätzung mit dem Hinweis darauf, dass zum ersten Mal als Ergebnis einer solchen Multistakeholder-Konferenz ein gemeinsames Dokument vorgestellt werden konnte, in dem die Menschenrechte als Fundament für die Struktur und Regulierung des Internets verankert wurden. Obwohl das Dokument für die Akteure nicht bindend ist, sieht Hofmann, die maßgeblich an der Organisation der Konferenz beteiligt war, dieses Ergebnis als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, um belastbare Strukturen für das Internet zu schaffen.
Mit Begeisterung erzählte Hofmann, dass die Akteure – aus den vier Gruppen Regierung, Wirtschaft, NGOs und Wissenschaft – sich die Redezeit gleichmäßig aufteilten. Das führte dazu, dass sich selbst Minister in eine Schlange stellen mussten und maximal zwei Minuten Redezeit hatten. Trotz dieser positiven Nachrichten musste Hofmann zugestehen, dass schlussendlich nicht alle Teilnehmer das Abschlussdokument mittragen wollten. Es offenbarten sich große Kontroversen, insbesondere in der Frage, ob Netzneutralität als Prinzip für die Struktur des Internets festzuschreiben sei. Ein anderer großer Streitpunkt war die „Innovation ohne Zustimmung“ (permissionless innovation). Die Startup-Szene hält diese Bedingung für unabdingbar für das Umsetzen von Ideen, während Inhaltsanbieter ihre Urheberrechte verletzt sehen. Zum Schluss hatten sich die Teilnehmer auf folgende Internet Governance-Prinzipen geeinigt: 1. die Menschenrechte als ihr grundlegendes Fundament; 2. die rechtliche Haftung von Mittelsunternehmen (Netzanbietern) zu beschränken; 3. die kulturelle und sprachliche Vielfalt im Internet zu schützen und zu fördern, 4. das Internet als ein ungeteiltes Netz zu erhalten; 5. dass alle Akteure sich für ein sicheres, stabiles und wehrhaftes Internet einsetzen; 6. eine offene Systemarchitektur einzusetzen und technische Probleme kollaborativ zu lösen; 7. Innovation ohne Zustimmung zu ermöglichen.
Gründe für die Uneinigkeit in einigen Punkten erkennt Hofmann in der alt bekannten gegensätzlichen politischen Diskussionskultur und in den stark differierenden politischen Entscheidungsstrukturen der unterschiedlichen Staaten. Als Beispiele nannte sie die skeptische Haltung der Regierungen Chinas, Russlands und Indiens gegenüber dem Multistakeholder-Ansatz.
Obwohl das Ergebnis der NETMundial medial überwiegend positiv aufgenommen wurde, hat die Konferenz mitnichten eine Antwort auf Frank Riegers Frage „Wer soll uns regulieren?“ gefunden. Es bleiben zu viele Zweifel, ob der Multistakeholder-Ansatz tatsächlich ein gleichermaßen demokratisch wie effizienter Lösungsweg sein kann. Multistakeholder-Organisation wird oft der Vorwurf gemacht, dass ihre Mitglieder zu langsam entscheiden und die Resultate unvorhersehbar seien.

Mehr nationale Internetregulierung mit Wirtschaftsbeschränkungen verbunden

Die wenigsten Regierungen dürften sich leicht mit der Vorstellung anfreunden, ihre Kompetenzen teilweise auf nicht-staatliche Akteure – seien es Gruppen aus der Wirtschaft oder Zivilgesellschaft – zu übertragen. Stattdessen haben einzelne Regierungsvertreter (Indien, Südafrika und Brasilien) vorgeschlagen, die Aufsicht über das Internet einer neuen globalen Behörde zu überlassen. Es ist umstritten, ob ausgerechnet die UN, die in den vergangenen Jahren selten mit Durchschlagskraft geglänzt hat, der richtige Ort ist, um einen sich so dynamisch entwickelnden Bereich wie das Internet zu regulieren. Doch steckt möglicherweise bei einigen Befürwortern die Überlegung dahinter, auf die Unfähigkeit der UN-Behörden zu spekulieren.
Doch auch Staaten, die Zensurmaßnahmen eingeführt haben, können die Realität des globalen Internets nicht ignorieren. Eine komplette Abschottung vom Datenverkehr der restlichen Welt kann weder in ihrem Interesse sein, noch ist sie technisch umsetzbar, sofern diese Staaten weiter am globalen Handelsverkehr teilhaben wollen. Die Teilnahme dieser Staaten an der NETMundial demonstrierte jedoch immerhin ihre generelle Bereitschaft, über die Prinzipien des Internets zu verhandeln.

Die heiße Phase hat begonnen

Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, nach welchen Prinzipien und von wem das Internet in der Zukunft verwaltet werden soll, ist derweil ein laufender Prozess, innerhalb dessen NETMundial ein wichtiger Meilenstein war. Auf die NETmundial wird nun zunächst das Internet Governance Forum für Deutschland und im Anschluss die europäische Konferenz EuroDIG (12-13. Juni 2014 in Berlin) folgen. Multistakeholder-Konferenzen erfreuen sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Dank des prinzipiell offenen Zugangs für alle soll Entscheidungen mehr Legitimation verliehen werden. Frank Rieger vom CCC hingegen hält auf diese Weise getroffene Entscheidungen jedoch nicht für fair, weil „die Stärkeren mit mehr Geduld und Ressourcen“ am Ende gewännen.
Auch aus demokratietheoretischer Perspektive sind Multistakeholder-Konferenzen nicht unproblematisch, weil Lobbyisten, gleich aus welcher Ecke der Gesellschaft sie kommen, zu Mitgesetzgebern werden können, obwohl sie keine Wählerschaft vertreten. Sollte sich der Multikstakeholder-Ansatz als fruchtbar erweisen, um nicht nur unverbindliche Erklärungen hervorzubringen, sondern auch Dokumente mit spezifischen Maßnahmen zu erstellen, dann wird sich die Legitimationsfrage in Zukunft noch viel dringender stellen.

Die Internetunternehmen warten nicht bis zu einer Einigung

Während Experten jedoch mühsam über Formen der Internet-Governance diskutieren, schaffen Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon, Microsoft und Yahoo längst ständig neue Fakten, die nur noch schwer rückgängig zu machen sind. Gemeinsam mit 30 anderen Webseiten vereinigten sie 2013 50 Prozent aller Klicks weltweit auf sich. Selbst wenn Prinzipien, wie sie die NETmundial herausarbeitete, dauerhaft als Norm international etabliert werden könnten, werden diese nicht die Macht der großen Suchmaschinen tangieren. In den USA wurde kürzlich entschieden, dass Google seine Suchergebnisse beliebig sortieren darf, da diese vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein sollten. Ganz anders haben in dieser Woche die Richter des Europäischen Gerichtshofs geurteilt, indem sie die Suchmaschinenbetreiber verpflichteten, Ergebnisse aus ihrer Suche auf Wunsch zu entfern, sofern diese diese Persönlichkeitsrechte verletzen.
Der Auffassung, dass es Unternehmen frei stehen sollte, auf welche Weise sie ihre Dienste anbieten – denn de jure ist niemand gezwungen, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen –, stehen gute Gründe gegenüber, das Internet als öffentliches Gut aufzufassen und bestimmte Bereiche öffentlich zu regulieren. Das Internet nimmt inzwischen einen so prominenten Platz in der politischen Debatte ein, dass es als quasi öffentlicher Diskussionsraum nicht profitorientierten Unternehmen überlassen werden sollte. In jedem Fall sollte die Debatte weiter geführt werden, inwieweit wir als Gesellschaft das Internet als öffentliches Gut betrachten und Diskriminierungsaspekte berücksichtigen möchten.
Auch Frank Rieger konnte in seinem Vortrag keine abschließende Antwort auf seine Frage „Wer soll uns regulieren“ geben. Dennoch gab er seinen Zuhörern Vorschläge mit auf den Weg, wie seiner Ansicht nach die Zukunft des Internets aussehen könnte. Anstatt die Struktur und Regulierung des Internets vollständig in staatliche Hände zu geben oder den Multistakeholder-Ansatz zu verfolgen, schlägt er genossenschaftliche Strukturen für die Bereitstellung der Infrastruktur vor, ähnlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dazu zählt Rieger auch ausdrücklich Suchmaschinen. Allen, denen ein offenes und freies Internet ein Anliegen ist, sollten sich daher Gedanken darüber machen, wie eine demokratische Institution für diese Aufgabe und ihre Entscheidungsregeln aussehen und wie deren Etablierung erreicht werden könnte.
Foto: graells/flickr (CC BY 2.0)
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