Peking sammelt seine Kräfte für die Olympischen Sommerspiele im August 2008. Amnesty International und die Reporter ohne Grenzen verstärken derweil ihre Kritik an der chinesischen Internetpolitik. Im Interview erklärt der Sinologe Jens Damm, wie die Chinesen zur staatlichen Internetzensur stehen.

politik-digital.de: Im August 2008 werden die Olympischen
Spiele zum ersten Mal in China ausgetragen. Welchen Eindruck möchte
die Volksrepublik der Welt von sich geben, wenn sie zum internationalen
Schauplatz wird?

Jens Damm: China möchte sich als modernes, weltoffenes, Land
präsentieren. Dabei kann es sich der Unterstützung der
Bevölkerung für die Olympiade sicher sein, denn diese
sieht die Spiele im eigenen Land grundsätzlich positiv.

Welche Bedeutung haben die Spiele in Peking für die
Chinesen?

In China wird mit den chinesischen Spielen auch die nationalistische
Komponente, dass China nun „zur Welt" gehört, wahrgenommen.
„Ru shi" – in die Welt eintreten, ist ein Begriff,
der immer wieder im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen zu
vernehmen war. In einem größeren historischen Zusammenhang
bedeutet dies, dass nach den Erniedrigungen Chinas in den Opiumkriegen,
dem Bürgerkrieg und den Zeiten der Kulturrevolution, China
heute wieder seinen „ihm eigentlich zugehörigen Platz"
in der Weltgemeinschaft eingenommen hat.

Welche Maßnahmen hat China in Vorbereitung der Olympischen
Spiele getroffen was den Zugang zum Internet angeht und die Inhalte,
die dort publiziert werden?

Der Zugang zum Internet soll prinzipiell ausgebaut werden. Hierzu
gehören groß angelegte Infrastrukturprojekte wie die
Verlegung von Glasfaserleitungen bis weit in den chinesischen Westen
und Breitband (DSL) –Anschlüsse in neuen Siedlungen der
Großstädte. Andererseits werden Internetcafés
aktiv gegängelt und wechselnde, oft recht scharfe gesetzliche
Vorgaben wie eine allgemeine Registrierung von Nutzern, setzt die
Kommunistische Partei vehement durch. Wir müssen davon ausgehen,
dass sie das chinesische Internet in den Wochen der Olympischen
Spiele extrem strikt kontrolliert.

chinesisches Internetcafe
Chinesisches
Internetcafé in Beijing. (photo: Kai Hendry, CC-Lizenz)

Wie funktioniert die chinesische Kontrolle des Internets?

Politische Inhalte werden durch eine spezielle chinesische „Internet-Polizei"
landesweit und auf Provinzebene, aber auch durch die Dienstanbieter
selbst kontrolliert. Sie durchforsten unter anderem E-Mails und
Blogs systematisch nach „Sperrwörtern". Direkte
Kritik an der Kommunistischen Partei ist in keinem Medium erlaubt.
Gegebenenfalls werden Webseiten landesweit gesperrt, wobei insbesondere
taiwanesische Seiten betroffen sind.

Welche Wege finden Chinesen, trotz der staatlichen Zensur
Kritik an gesellschaftlichen Problemen im Internet zu äußern?

Protestler nutzen häufig Chats und Foren, sowie insbesondere
auch Handy-Nachrichten zur Mobilmachung der Bevölkerung. Kritik
an gesellschaftlichen und politischen Missständen wie Umweltverschmutzung
und Korruption wird in China inzwischen massiv geäußert
– wenn auch nur fallweise. Ein Beispiel sind die Proteste gegen
den Bau einer großen Chemieanlage in Xiamen vor einigen Wochen.
Jedoch ist das Vertrauen der Bevölkerung in die derzeitige
Regierung nach wie vor relativ hoch, sodass sich Kritik gegen einzelne
Probleme und nicht generell gegen die Führung oder die allgemeine
politische Linie des Landes richtet. Die chinesischen Internetnutzer
kritisieren beispielsweise massiv die Einführung einer namentlichen
Zwangsregistrierung für Chats und Foren, die Verhaftung so
genannter Cyber-Dissidenten [Personen, die das Internet nutzen,
um Kritik an der Kommunistischen Partei und der chinesischen Gesellschaftsordnung
zu üben, Anm. d. Red.] und – fallweise – Korruption,
Umweltverschmutzung, mangelndes Durchgreifen der Polizei gegen Straftäter
und mangelhafte Sicherheit an Schulen.

Gibt es Unterschiede zwischen inländischer und ausländischer
Kritik?

Die Wahrnehmung des chinesischen Internets im Westen und in der
Volksrepublik China ist äußerst unterschiedlich. Der
Westen stellt Zensurmaßnahmen in den Vordergrund, insbesondere
das Blockieren von Webseiten und einzelnen Berichten über Verhaftungen
von Cyber-Dissidenten. Westliche Kritik konzentriert sich dabei
auf Webseiten, die pro-Falungong und pro taiwanesische Unabhängigkeit
werben [Falungong ist eine chinesische, spirituell-religiöse
Gruppe, die aufgrund ihrer kritischen Haltung zur Gesellschaftsordnung
der VR China offiziell verboten ist. Sie hat Millionen Anhänger
in allen Teilen der chinesischen Gesellschaft, Anm. d. Red.].
Der chinesische Diskurs hingegen betont die Möglichkeiten des
Internets für den weiteren Fortschritt der bisher äußerst
erfolgreichen Reform- und Öffnungspolitik. Das Internet bietet
vor allem Chancen für Geschäfte (e-commerce), Bildung
und Erziehung (e-learning) und für Good Governance (e-governance),
zum Beispiel Korruptionsbekämpfung und den Aufbau eines Rechtsstaates.
Außerdem könnte das Internet einen Beitrag zur Überwindung
des ökonomischen Gefälles zwischen Stadt und Land, Küste
und Binnenregionen leisten.

Banner Beijing 2008

Banner der Olympischen Sommerspiele 2008

(photo: Stuck in Customs, CC-Lizenz)



Weshalb wird die Zensur auf chinesischen Blogs nicht gleichermaßen
thematisiert?

Zum einen, weil das Phänomen staatlicher Zensur ja allgemein
bekannt und Kritik an der Kommunistischen Partei verboten ist. Zum
anderen herrscht in Bezug auf die „westlichen Lieblingsthemen"
wie die Tibet- und die Taiwanfrage in China ein nationalistischer
Konsens, der zumeist auch von so genannten Dissidenten geteilt wird:
Tibet und Taiwan werden als untrennbarer Teil des chinesischen Mutterlandes
verstanden.
Die Meinung bekannter Blogger wie Wang
Xiaofeng
, Yuan
Lei
oder Wang
Jianshuo
zur Zensurfrage ist zwiespältig: Zum einen teilen
sie die Kritik an einer zu starken Einschränkung der Internetnutzung,
sind aber von den westlichen Versuchen, das chinesische Internet
zu „befreien", wenig begeistert und sehen hierin eine
mehr oder weniger „koloniale" Einstellung des Westens.
Weiterhin kann man davon ausgehen, dass eine große Mehrheit
der chinesischen Internetnutzer Zensur im Bereich von Pornographie,
aber sicherlich auch Falungong, für richtig und notwendig erachtet,
um die erreichte gesellschaftliche Stabilität und das wirtschaftliche
Wachstum aufrecht zu erhalten. Stabilität und die Angst vor
dem "Chaos", in China kollektiv mit der Kulturrevolution
verbunden [einer radikalen politischen Kampagne von Mao Zedong zur
wirtschaftlichen und politischen Modernisierung Chinas, die bürgerkriegsähnliche
Zustände auslöste (1966-1976), Anm.d. Red.], ist sicher
eines der wesentlichen bindenden Elemente in der chinesischen Gesellschaft.

Wie viele Internetnutzer gibt es in China?

Im Januar 2007 waren es 137 Millionen, also rund 10 Prozent der
Bevölkerung der Volksrepublik China. Im Juni 2007 stieg die
Zahl auf 162 Millionen an. Die Zahl der chinesischen Internetnutzer
hat innerhalb eines Jahrzehnts in einem unvorstellbaren Maße
zugenommen. 1997 waren es bei der Umfrage von CCNIC,
dem China Internet Network Information Center, gerade einmal einige
wenige Hunderttausende, die sich mit einem einfachen Modem in den
großen Städten einwählten. Heute haben zudem 300
Millionen Chinesen ein Mobiltelefon, mit dem sie online gehen können.


Jens Damm ist Sinologe und wissenschaftlicher Assistent am Ostasiatischen
Seminar der Freien Universität Berlin.