Dr. Alexander Dix ist der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Im Interview mit politik-digital.de spricht er über Google, das Ministerium für Wahrheit und erklärt warum Jugendlichen doch etwas am Schutz ihrer Daten liegt.

politik-digital.de: Sie sind Datenschutzbeauftragter von Berlin; nutzen Sie Google zur Internetrecherche?

Dr. Alexander Dix: Natürlich. Das ist ein sehr nützliches Instrument. Ich nutze allerdings auch andere Suchmaschinen.

politik-digital.de: …die wahrscheinlich vielen anderen Menschen nicht bekannt sein werden.

Dix: Das ist richtig. Google hat de facto eine Monopolstellung in diesem Bereich. Es ist ein mächtiger Pilot im Internet. Viele Leute kennen nur Google als Suchwerkzeug. Das ist ein Problem, weil Google damit eine erhebliche Informationsmacht angesammelt hat. Zudem schließt sich das Problem der Datenspeicherungen an.

politik-digital.de: Am 23. Juli 2008 hat die letzte deutsche Suchmaschine „Seekport“ Insolvenz angemeldet. Kommt man an Google noch vorbei?

Dix: Erfreulicherweise gibt es mittlerweile in Europa auch andere Suchmaschinen. Eine davon, die ich für sehr interessant halte, ist ixquick. Sie hat gerade das erste Europäische Datenschutzgütesiegel bekommen, weil sie die Speicherung von Nutzerdaten und Suchanfragen drastisch reduziert. Das hat Google bisher noch nicht zufriedenstellend gemacht.

politik-digital.de: Inwiefern?

Dix: Man muss auch einräumen, dass Google sich entwickelt hat. Google hatte zunächst die Politik, Suchanfragen personenbezogen über die jeweilige IP-Adresse mit den Logfiles unbegrenzt zu speichern. Nachdem die Datenschutzbeauftragten öffentlich auf das Problem hingewiesen haben, hat man sich darauf verstanden, die Speicherfrist auf 18 Monate zu begrenzen. Das ist aber nach unserer Auffassung und vor allem nach deutschem Recht nach wie vor unzulässig lang.

 

Dr. Alexander Dix

politik-digital.de: Google bekräftigt immer wieder, mit der Speicherung nur die eigenen Programme verbessern zu wollen. Wo sehen Sie also die Gefahr, wenn Google die Daten speichert?

Dix: Diese Zusicherung von Google klingt lobenswert, aber man muss sich eben darauf verlassen, dass sich der Unternehmensvorstand auch in zwei oder drei Jahren noch daran gebunden fühlt. Google ist ein riesiger Konzern mit ganz unterschiedlichen Angeboten neben der Suchmaschine wie Gmail (Googles Email-Service Anm. d. Red.), Google Health (Service, der die Möglichkeit bietet, seine Krankenakten online zu speichern) und neuerdings auch einer Wissensenzyklopädie. Für die Optimierung aller dieser Dienste könnten die Daten der Nutzer der Suchmaschine auch verwendet werden, so dass ein umfassendes Profil entstehen würde. Den meisten Nutzern ist dies vermutlich nicht bewusst.

politik-digital.de: Wo könnte man ansetzen, um es den Nutzern bewusster zu machen?

Dix: Das ist zunächst auch eine Aufgabe der Datenschutzaufsichtsbehörden, die es in den USA in dieser Form allerdings nicht gibt. In Europa ist Google erstmals in der Situation, dass sie sich mit Datenschutzbeauftragten auseinander setzen müssen. Ich bin der Meinung, dass so etwas auf den Lehrplan der Schulen kommen muss. Etwa: Was machen Suchmaschinen? Wie lange bleiben Mails gespeichert? Das betrifft nicht nur Google, sondern auch andere Internet-basierte Maildienste. Google wirft aber mit dem Dienst Gmail noch zusätzliche Probleme auf, weil sie in einem bestimmten Verfahren die Betreffzeilen von Emails analysieren, um dann zielgerichtet Werbung in die Email einzublenden. Nach deutscher Vorstellung ist das nicht mit dem Fernmeldegeheimnis vereinbar, denn auch die Betreffzeile unterliegt der Vertraulichkeit. Das sind alles Fragen, bei denen der Nutzer gefordert ist zu überlegen, ob er einen solchen Dienst nutzen will.

politik-digital.de: Ist der Nutzer überhaupt noch daran interessiert, dass die Daten geheim bleiben? Bei Portalen wie Facebook oder StudiVZ werden viele Daten ja wissentlich zur Verfügung gestellt.

Dix: Das ist richtig. Diese sozialen Netzwerke dokumentieren, dass eine kulturelle Veränderung zu beobachten ist. Gerade viele junge Menschen wollen sich bewusst im Internet darstellen. Das will ich überhaupt nicht kritisieren. Aber wenn ich meiner Freundin eine Liebesmail schreibe, dann will ich nicht, dass meine Ex-Freundin mit liest. Das ist ein grundlegender Unterschied. Die Erwartung, dass Email-Kommunikation auch vertraulich ist, die ist nach wie vor da und sie herrscht auch bei jungen Menschen vor, da bin ich sicher.

politik-digital.de: Kann der deutsche Gesetzgeber überhaupt bewirken, dass Google seine Datenschutzrichtlinien enger strickt?

Dix: Immer dann, wenn ein ausländisches Unternehmen in Deutschland Daten verarbeitet, etwa ein Rechenzentrum stehen oder Server platziert hat, dann muss es sich an deutsches Datenschutzrecht halten. Zeitweise hat Google bestritten, dass sie sich überhaupt an außeramerikanisches Datenschutzrecht halten müssen. Mittlerweile haben sie eingesehen, dass das durchaus der Fall ist. In Europa ist nicht alles erlaubt, was in den USA erlaubt ist. Das ist für Google nichts Neues, so waren sie z.B. auch bereit, in Indien bestimmte aus religiösen Gründen anstößige Begriffe wie Homosexualität aus ihrer Suchmaschine verschwinden zu lassen. Sie reagieren auf nationale, regionale oder kulturelle Besonderheiten. Warum soll das in Europa in Bezug auf den Datenschutz nicht auch möglich sein?

politik-digital.de: Sie haben erwähnt, dass es in den USA keine vergleichbaren Datenschutzgesetze gibt. Gibt es denn eine ähnliche Debatte?

Dix: Ja. Die USA kennen zwar kein Bundesgesetz für den Datenschutz in der Wirtschaft, haben aber gleichwohl eine sehr kritische Debatte im Netz darüber, was Unternehmen eigentlich an Datensammlungen anlegen. Auch was die staatliche Datenverarbeitung nach dem 11. September angeht und inwiefern der Staat auf diese privaten Datensammlungen zugreift.

Poldi: Selbst wenn Google mit der eigenen enormen Datenspeichermenge nichts anfängt, wäre es denn denkbar, dass ein Dritter, etwa der amerikanische Staat, darauf zugreift?

Dix: Entsprechende Versuche hat es schon gegeben. Google ist aufgefordert worden, gespeicherte Nutzerdaten an das amerikanische Justizministerium heraus zu geben. Dagegen hat sich Google vor Gericht erfolgreich gewehrt. Aber solche Vorgänge zeigen, dass die riesigen Datenmengen bei Google Interessen und Begehrlichkeiten wecken. Sie wirken wie ein Honigtopf. Nach einem Terroranschlag wird es kein vernünftiges Argument geben, weshalb Google diese Daten nicht für Zwecke der Strafverfolgung herausrücken sollte. Das rechtfertigt aber nicht die Speicherung aller Nutzungsdaten auf Vorrat.

politik-digital.de: Sie haben sich einmal kritisch zu Google Analytics geäußert. Was genau stört sie daran? Es ist doch ein hilfreiches Tool für Webseitenbetreiber, den Verkehr auf der eigenen Seite zu analysieren.

Dix: Das ist richtig. Wir haben Google Analytics auch noch nicht endgültig bewertet. Wir wollen nur jetzt gemeinsam mit anderen Datenschutzbehörden die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens überprüfen. Das Problem ist, dass bei einer bestimmten Einsatzweise von Google Analytics über Cookies Nutzungsdaten an Google übermittelt werden, ohne dass man überhaupt einen Dienst von Google benutzt. Solange das Setzen der Cookies unerkannt geschieht, hat der Nutzer keine Einflussmöglichkeit. Dann ist der Portalbetreiber gefragt, der die Übermittlung von Nutzerdaten, noch dazu in ein Drittland, nicht zulassen darf. Aber es geschieht teilweise auch, dass Google Analytics von dem Portalbetreiber in Lizenz verwendet wird, dann gehen keine Daten über die Grenze. Das ist datenschutzrechtlich unproblematischer. Wir sind gerade dabei, bei Berliner Portalbetreibern festzustellen, wer dieses Verfahren einsetzt und was für Datenflüsse da konkret ausgelöst werden.

politik-digital.de: Sie haben mehrmals den Begriff „Grenze“ benutzt. Das Internet als globales Medium kennt aber keine Staatsgrenzen. Ist es möglich, einen Ansatz für eine internationale Datenschutzregelung zu finden?

Dix: Es gibt bisher keinen weltweiten Datenschutz, etwa in Form eines UN-Abkommens. Aber es gibt Bestrebungen, weltweit zu einer Vereinheitlichung des Datenschutzniveaus zu kommen. Auf europäischer Ebene ist man da schon weiter. Die Harmonisierungsbestrebungen der EU sollen zu einem einheitlichen Datenschutzniveau führen, um innerhalb von Europa die Daten freier fließen lassen zu können. Zudem sollte aber auch sichergestellt werden, dass das Datenschutzniveau in Drittländern, in die europäische Daten fließen, mindestens angemessen ist. Diese Diskussion hat dazu geführt, dass amerikanische Unternehmen über Möglichkeiten des Datenschutzes nachgedacht haben. Da ist man zu Lösungen gekommen, auch wenn die noch nicht optimal sind. Der nächste Schritt könnte sein – aber da müssen wir vielleicht die Präsidentschaftswahlen abwarten – dass sich in den USA die Erkenntnis durchsetzt, dass auch dort ein Bundesgesetz zum Datenschutz in der Privatwirtschaft gemacht werden sollte, verschiedene Vorstöße gab es schon. Ich finde es bemerkenswert, dass inzwischen auf fast allen Erdteilen – Afrika ist da wiederum ein Sonderfall – über Datenschutz diskutiert wird, weil es eine Rolle spielt nicht nur für die Kommunikation zwischen den Menschen, sondern auch für Unternehmen, die ja auch mit ihren Produkten Daten mitschicken oder mit Daten Geld verdienen.

politik-digital.de: Ihr zweite Zuständigkeit ist die Informationsfreiheit. Google hat in einigen Ländern eine Monopolstellung bei der Internetsuche. Dabei gibt Google auf mathematischem Weg vor, welche Informationen an welcher Stelle stehen. Inwiefern sehen Sie ein Problem für die Informationsfreiheit?

Dix: Google ist so etwas wie ein Gatekeeper. Sie kontrollieren, welche Informationen besonders gut platziert werden. Der Algorithmus, nach dem dieses Ranking zustande kommt, wird als hochgeheim angesehen. Google ist ein Unternehmen, das starken Einfluss auf den Grad der Informationsfreiheit nimmt. Es macht z.B. im Bereich von Google Earth (der digitale Globus von Google) aus Sicherheitsgründen Militärbasen oder Atomkraftwerke unkenntlich. Diese Einschränkung der Informationsfreiheit ist u.U. gerechtfertigt, aber daran sieht man, dass Google an einer ganz entscheidenden Stelle sitzt, was den freien Fluss von Informationen betrifft. Um so wichtiger ist es, dass sie ihre Verfahren, nach denen sie das machen, nicht zum Betriebsgeheimnis erklären. Sie müssen natürlich gegenüber ihren Konkurrenten nicht die Technik offenlegen, aber sie müssen schon den Nutzern sagen, nach welchen Kriterien sie solche Sortierungen oder auch Einschränkungen der Informationsfreiheit vornehmen.

Poldi: Google stellt mit Book Search gerade eine riesige Bibliothek online. Am 23.7.2008 interessierte sicht Google für den Social-Bookmarking Dienst Digg. Am 24.7.2008 startete es mit dem Wikipedia-Konkurrenten Knol einen weiteren Wissensvermittler, und all dies ist kostenlos. Kann Google nicht dazu betragen, dass auch gerade in abgelegeneren Gegenden der Welt sehr viel mehr Informationen zugänglich sind?

Dix: Das ist sicherlich ein positives Merkmal. Allerdings müssten etwa in Afrika sehr viel mehr Internetzugänge vorhanden sein, da Google diesen ja voraussetzt. Wenn dies gegeben ist, kann Google mit seinen kostenlosen Diensten einen Beitrag zu mehr Informationsfreiheit leisten. Umso größer ist aber auch die Verantwortung, den Nutzern zu erklären, wie sie etwa ihre Seite finanzieren. Diese Angebote setzen nämlich doch eine Gegenleistung voraus, indem man sein Nutzungsverhalten registrieren lässt. Es ist illusorisch zu meinen, dass es kostenlose Internetangebote gibt.

politik-digital.de: Was könnten denn die negativen Folgen einer solchen Wissenskonzentration sein? Wenn Google die Bücher, die Suchanfragen, die persönlichen Profile, etwa durch das eigene soziale Netzwerk Orkut hat, was wäre der Worst Case?

Dix: Das will man sich gar nicht vorstellen. Dass es eine einheitliche Wissensverwaltung wie bei George Orwell, ein Ministerium für Wahrheit, gibt, das entscheidet, was an Informationen verteilt wird. Das will Google nicht und das will ich ihnen auch gar nicht unterstellen. Aber de facto kann diese Machtkonzentration erhebliche negative Folgen haben. Umso wichtiger ist es, dass auf allen diesen Gebieten auch andere Anbieter genutzt werden. Gerade im Bereich der sozialen Netzwerke habe ich den Eindruck, dass das Google-Netzwerk in Europa nicht besonders erfolgreich ist. Da gibt es andere Konkurrenten, die ihrerseits auch sicherlich Probleme aufwerfen. Aber es wäre schon wichtig, dass man sich nicht einem einzigen Unternehmen verschreibt.

Poldi: Zum Schluss: Wie kann man denn das Internet nutzen, ohne seine Daten zu entblößen?

Dix: Das Internet ist ein tolles Medium, das ich selber gerne und täglich nutze. Der Benutzer sollte sich nur zunächst möglichst gut darüber informieren, was man machen kann, um bestimmte Risiken auszuschließen oder zumindest zu begrenzen. Es gibt auf dem eigenen Computer bestimmte Möglichkeiten, durch Konfiguration des eigenen Browsers Cookies nicht zu akzeptieren. Des weiteren sollte man sich, etwa wenn man sich bei sozialen Netzwerken registriert, die Mühe machen auch einmal die Geschäftsbedingungen durchzulesen und Fragen zu stellen, auch wenn das öde und langweilig klingt. Bei jedem dieser Portale muss man danach schauen, wo die Datenschutzerklärung ist. Taucht das Wort Datenschutz überhaupt auf? Ist die Erklärung präzise, ist sie glaubwürdig?Und wenn man Fragen hat, sollte man sich nicht scheuen, den zuständigen Datenschutzbeauftragten zu befragen.

politik-digital.de: Herr Dix, wir danken für dieses Gespräch.

Das Interview führten Florian Wittig und Finn Kirchner.