Schwerpunkt: Die Wirtschaftszusammenhänge aufzeigen
Im Wahlkampf wird viel versprochen und Behauptungen über den politischen Gegner aufgestellt. Den Überblick über den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen zu behalten, ist für die Wählerinnen und Wähler so gut wie unmöglich. Um eine qualifizierte und neutrale Prüfung der aufgestellten Statements bereitzustellen, gibt es jetzt im Netz Angebote um nachzuprüfen, was hinter der ein oder anderen Behauptung eigentlich an Fakten steht.

Einmal mehr kommt ein in den USA erfolgreiches Konzept ins deutsche Netz. Im letzten US-Wahlkampf war
FactCheck.org eine der bekanntesten und nachgefragtesten Seiten, um Aussagen, Versprechen und Kommentare aus dem politischen Gefecht einer wissenschaftlichen und journalistischen Prüfung zu unterziehen. Für Deutschland gibt es diese Seite seit Anfang August, die von drei freien Journalisten betrieben wird:
FactCheck- Deutschland.de.

Die Idee für ein deutsches factchecking wurde geboren, nachdem Iris Karlovits, Andrea Protscher und Mathew D. Rose einen Fernsehbericht über die Arbeit von FactCheck.org im Herbst 2004 gesehen hatten und sofort erkannten: ein solches Angebot ist auch für Deutschland wichtig und nützlich. Ziel der deutschen Macher ist es, von Politikern getroffene Aussagen zu untersuchen und diese gegebenenfalls „der vorgenommenen, zweckgerichteten Interpretation durch die Politik“ zu entkleiden und sie anschließend in ihren ursprünglichen Zusammenhang zu stellen, erklärt Iris Karlovits. Dabei nutzen die Autoren die selben Quellen wie die Politiker, soweit ihnen diese zugänglich sind. Die jeweiligen Quellenangaben werden dem User am Ende jeden Artikels mitgeteilt, so dass man sich bei Interesse weiter informieren kann.

FactCheck Deutschland selbst versteht sich als eine Art „Verbraucheranwalt für Bürger“, die sich ohne parteipolitischen Filter eine Meinung zur Wahlentscheidung am 18. September bilden wollen. Neben der journalistischen Aufklärung durch die Redaktionsstelle und ehrenamtliche Redakteure steuert die Uni Tübingen die wissenschaftliche Fundierung bei. Das Team um Professor Josef Schmid am Lehrstuhl für
Politische Wirtschaftslehre recherchiert das Hintergrundwissen zu den Themen, steuert aber auch eigene Beiträge bei.

Schwerpunkt: Die Wirtschaftszusammenhänge aufzeigen

FactCheck Deutschland ist stark dem amerikanischen Vorbild orientiert, dessen Leiter Brooks Jackson dem deutschen Team Tipps aus seinen Erfahrungen mit FactCheck.org gab und somit den Start der Seite erleichterte. Über diese Kontakte und den Namen hinaus gibt es keine weiteren Beziehungen zwischen den beiden Projekten, die deutsche Seite läuft unabhängig vom US-Vorbild. Ein wesentlicher Unterschied zur amerikanischen Seite erwächst in den Augen von Iris Karlovits aus der unterschiedlichen politischen Kultur in Deutschland und den USA. In Nordamerika würden die Zusammenhänge zwischen Volkswirtschaft und Politik viel stärker betont und durchschaut, als in Deutschland. Daher herrsche in Deutschland eine viel größer Unwissenheit über Funktionsweise und Grundlagen der (Volks-) Wirtschaft.

Diesem Aufklärungsbedarf will FactCheck Deutschland nach eigenem Bekunden nachkommen, vor allem, da es sich in diesem Wahlkampf hauptsächlich um „das Eine“ dreht – das Geld der Deutschen, sagen die Macher von FactCheck Deutschland in ihrer Einschätzung der Bundestagswahl 2005. Ziel dieser Aufklärung soll es sein, Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft transparent zu machen, denn: „Wer keine Ahnung von Wirtschaft hat, der kann der Politik auch nicht in die Karten sehen“ argumentiert Iris Karlovits.

Um dem Leser eine Orientierung zu geben, erfolgt die Einteilung der Einträge thematisch in die Rubriken Wirtschaft, Arbeit und soziale Sicherheit. Unter dem Stichwort „Hintergründiges“ gibt es bisher nur eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Wahlkampfes: neoliberal. Unter den Aussagen, die unter die Lupe genommen werden, sind diejenigen der beiden großen Volksparteien vorne an. Die kleineren Parteien werden zu einem deutlich geringerem Anteil untersucht. Nur dem Zusammenschluss von WASG und PDS zur Linkspartei wird eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Es gibt jedoch einige zusammenfassende Artikel, die die Versprechen und Vorstellungen aller Parteien zu verschiedenen Politikfeldern, wie Renten- oder Konjunkturpolitik, näher beleuchten und die einzelnen Konzepte beurteilen.

Vier Wochen nach dem Go-Live und drei Wochen vor der Bundestagswahl ist FactCheck Deutschland nun warmgelaufen. Mittlerweile täglich erscheinen neue Einträge, die sich auf aktuelle Aussagen und Probleme im Wahlkampf beziehen.

Realisation des Projekts durch Spendengeld

Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für FactCheck.org war die Überparteilichkeit der Betreiber und auch die deutsche Seite reklamiert politische Unabhängigkeit und Neutralität für sich. Bei den bisherigen Einträgen gibt es keinen Anlass zu gegenteiligen Verdächtigungen, Regierungs- wie Oppositionsverlautbarungen und -taten werden zu gleichen Teilen kritisch beleuchtet. Auch dass die Redaktionsstelle in Berlin vom Privatmann Frank Hansen als Mäzen gesponsert wird, dessen eigene „Bridge-Stiftung“ als Grünen-nah gilt, tut dem keinen Abbruch. Hansen unterstützt das Projekt, um eine offene politische Diskussion und Kommunikation in Deutschland zu unterstützen, so Iris Karlovits, in die Arbeit der Redakteure „mischt er sich in keiner Hinsicht inhaltlich ein“. Überdies ist Frank Hansen einer der wenigen Leute in Deutschland, die als Spender von e-Democracy-Projekten auftreten. Über die Spende von Hansen hinaus verfügt FactCheck Deutschland über keine finanziellen Mittel, so dass alle weitere Arbeit ehrenamtlich läuft. Ob dies reicht, das Projekt nach der Bundestagswahl weiterlaufen zu lassen, ist ungewiss. Vorgenommen hat es sich die Redaktion von FactCheck Deutschland auf jeden Fall.

Das Experiment: Electofix

Einen ähnlichen Service, Wählern dabei zu helfen, eine gut informierte Wahlentscheidung am 18. September treffen zu können, bietet
Electofix. „Im Gegensatz zu redaktionell betreuten Angeboten wie FactCheck.org oder FactCheck-Deutschland.de handelt es sich bei Electofix um eine offene Plattform, bei der jeder mitmachen kann“, erklärt Tim Bonnemann, der die Idee für Electofix hatte und deren Umsetzung verantwortet.

Kernstück ist ein Wiki, die sogenannte
Checkliste, auf die jeder User das Thema eintragen kann, dass er gerne untersuchen lassen möchte. Gleichzeitig kann er alle angeführten Aussagen und Thesen selbst prüfen, unter Angabe von Fundort/Quelle sowie zu weiterführenden Informationen. Bis Ende August haben die User mittlerweile zehn Themen und Aussagen auf die Checkliste gestellt, unter anderem zur Familienpolitik oder dem Kirchhof-Modell zur Steuerreform. Im Wiki sieht Tim Bonnemann ein hervorragendes Collaboration-Tool, mit dessen Hilfe das verteilte Wissen der einzelnen Nutzer aggregiert und wesentliche Informationen herausgefiltert werden können. Dieser Ansatz bietet in seinen Augen das Potential, redaktionelle Angebote zu übertreffen, wenn eine gewisse Größe und Dynamik erreicht ist.

Zur Zeit hat die aktive Beteiligung durch Dritte gerade angefangen, wobei erst die weitere Entwicklung zeigen kann, ob und inwieweit dieses Format grundsätzlich funktioniert. „Falls es bis zur Wahl gelingen sollte, auch nur drei wesentliche Wahlkampf-Statements anhand von gemeinsam zusammengetragenen Quellen zu widerlegen oder zu bestätigen, wäre das in meinen Augen schon ein kleiner Erfolgt“, meint Tim Bonnemann. Das Ziel ist auch daher so niedrig gesetzt, da zwischen dem Go-Live des Projekts und dem Wahltermin am 18. September nur gut acht Wochen liegen – eine knappe Zeitspanne, um die erforderlichen Nutzerzahlen zu generieren und eine Community aufzubauen.

Auch Tim Bonnemann möchte sein Projekt nach der Wahl weiterlaufen lassen, auf alle Fälle bis Ende Oktober, um auch noch die ersten Wochen nach der Wahl begleiten zu können. Denn wie heißt es so schön: „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. Aussagen von Politikern werden auch nach dem 18. September 2005 sicherlich noch Anlass zu Skepsis und Nachforschungen geben.