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Bei der Bundestagswahl 2013 kamen die Piraten der Fünf-Prozent-Hürde nicht mal nahe, es reichte nur für 2,2 Prozent. Klar ist: Themen gibt es für die Piraten genug. Im Interview mit politik-digital.de äußert sich die neue stellvertretende Vorsitzende, Caro Mahn-Gauseweg, zu Datenschutz, NSA-Überwachung – und dazu, was unfrei ist am geplanten Freihandelsabkommen TTIP.
Kaum ist die Bundestagswahl mit ihren schlechten Ergebnissen für die Piratenpartei verdaut, steht im Mai 2014 die Europawahl bevor. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind günstig wie selten für die Piraten: Erst 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht die Fünfprozenthürde gekippt, um auch kleinen Parteien Chancengleichheit zu gewähren. Doch die Piratenpartei und andere Kleinparteien sind nun erneut vor das oberste deutsche Gericht gezogen und klagen gegen die erst im Juni 2013 eingeführte Dreiprozenthürde. Doch einige Kommentatoren sind sich gar nicht sicher, ob es die Partei in sechs Monaten noch geben wird. Ende November wurde zwar ein neuer Bundesvorstand gewählt, doch die Wahl ging in den Medien fast unter, zumal diesmal kein einziger prominenter Name dabei war.
Der Bundesparteitag am 4. und 5. Januar in Bochum will u.a. Team und Programm für die bevorstehende Europawahl beschließen. Die neue stellvertretende Bundesvorsitzende Caro Mahn-Gauseweg gibt sich im Interview kämpferisch.
politik-digital.de: Der neue Parteivorsitzende Thorsten Wirth gab die Parole aus, dass Motivation das Gebot der Stunde sei. Wie wollen Sie eine Partei motivieren, die ihr Ziel – Einzug in den Bundestag – klar verfehlt hat?
MahnGausewegCaro Mahn-Gauseweg: Natürlich war das Wahlergebnis eine herbe Enttäuschung. Wir haben viel Energie und auch viele Hoffnungen in den Wahlkampf gesteckt. Das Scheitern war eine Kröte, an der wir schwer zu schlucken hatten.
Allerdings haben wir uns 2006 ja nicht mit dem Ziel gegründet, sofort in Parlamente einzuziehen. Wir haben uns gegründet, weil wir gesehen haben, dass der Politikbetrieb, wie er bis dato existierte, die digitale Gesellschaft und die Innovationskraft und Eigendynamik des Internets nicht verstanden hatte. Unserer Lebenswirklichkeit, in der nicht mehr zwischen online und offline getrennt wird, drohten Einschränkungen, Verbote, Überwachung und Zensur. Diese Themen sind heute so aktuell wie 2006. Wir als Bundesvorstand müssen es schaffen, den Blick der Piraten wieder nach vorne zu richten; auf die bevorstehenden Wahlen und vor allem auf die politischen Konflikte, die sich um Netzpolitik in den kommenden Jahren noch ergeben werden. Der Koalitionsvertrag bietet genug Angriffspunkte.
politik-digital.de: Mit welchen Themen soll sich die Piratenpartei unter Ihrer Leitung künftig profilieren?
Caro Mahn-Gauseweg: Hinter allem, was wir tun, steht das Ideal eines Lebens in Selbstbestimmung und Freiheit. Der Staat, die Gesetzgebung, Technik – all das sind Instrumente, die uns dazu befähigen sollen. Sie sind die Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck.
Ganz aktuell steht vor diesem Hintergrund natürlich der Grundrechtsschutz. Der massenhafte Eingriff in die Privatsphäre durch “befreundete” Nachrichtendienste, die Untätigkeit der Bundesregierung in diesem Zusammenhang… Das ist ein großer Themenkomplex, dem wir uns in den kommenden Monaten intensiv widmen werden.
politik-digital.de: An der Parteispitze der Piraten herrscht ein Kommen und Gehen. Katharina Nocun z. B. war nur ein halbes Jahr lang politische Geschäftsführerin, sie trat auf dem jüngsten Bundesparteitag nicht zur Wiederwahl an. Verschleißen die Piraten ihr Führungspersonal?
Caro Mahn-Gauseweg: Wir haben aus strukturellen Gründen eine höhere Fluktuation als andere Parteien. Das ist korrekt. Das liegt hauptsächlich daran, dass unsere Vorstände ehrenamtlich arbeiten. In einem Ehrenamt eine Partei mit 30.000 Mitgliedern zu führen ist eben nicht immer, oder zumindest nicht dauerhaft, vereinbar mit der jeweiligen privaten Situation. Das ist aber ein Phänomen, das auch auf NGOs und andere Vereine zutrifft.
Im Gegensatz zu anderen Parteien haben und wollen wir keine Lobbyspenden, weil das unserem Verständnis von politischer Unabhängigkeit widerspricht. Die Piratenpartei finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Kleinspenden, ergänzt um die staatliche Parteienfinanzierung. Für eine reguläre Bezahlung unserer Vorstände reicht das derzeit nicht.
politik-digital.de: Was gefällt Ihnen aus netzpolitischer Sicht am jüngst vorgelegten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD – und welche Punkte gehen überhaupt nicht?

Caro Mahn-Gauseweg (Jg. 1981) ist seit Ende November 2013 neue stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei. Die Verkehrsingenieurin war Beisitzerin im Landesvorstand Sachsen; ihre Themenschwerpunkte liegen in der Verkehrs-, Außen- und Sicherheitspolitik.
Caro Mahn-Gauseweg: Inhaltlich ist lobenswert, dass dem Breitbandausbau mittlerweile zumindest symbolisch ein derart hoher Stellenwert eingeräumt wird, dass er sogar in einem Ressortnamen verankert wird. Auch, dass Problemfelder wie die Störerhaftung oder der Routerzwang als solche erkannt wurden, ist erfreulich. Danach beginnt die Lektüre des Koalitionsvertrags aber sehr schnell wirklich frustrierend zu werden.
Die Koalitionsvereinbarung und mehr noch der Zuschnitt der Ministerien selbst verdeutlichen, dass die Bundesregierung die Komplexität und Vielschichtigkeit der Thematik nicht verstanden hat. Die wilde Zuteilung der Zuständigkeiten programmiert Kompetenzgerangel vor. Und sie zeigt, dass die Aspekte der Netzpolitik offenbar nur einzeln, nicht aber als Teiles eines nötigen Gesamtkonzeptes gesehen werden.
Konkrete Kritikpunkte sind unter Anderem die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die Netzneutralität mit Hintertüren, der unverkennbare ACTA-Einfluss, der Mangel eines schlüssigen und vor allem handfesten Datenschutzkonzeptes und das vollkommene Fehlen einer Aussage zur militärischen Nutzung des Internets.
politik-digital.de: Durch die Datenschutzgrundverordnung soll der Datenschutz EU-weit gestärkt werden. Aber wie lassen sich Daten schützen, die auf Servern außerhalb der EU gespeichert sind?
Caro Mahn-Gauseweg: Der Grundrechtsschutz der Datenschutzgrundverordnung soll auch bei den Diensten greifen, die speziell für den europäischen Markt angeboten werden; unabhängig davon, wo die anbietenden Firmen ihre Hardware geparkt haben. Das ist ein revolutionärer Ansatz, der Verbraucherrechte deutlich stärkt. Durch die Verordnung soll ebenso ein Verbandsklagerecht eingeführt werden, das Verbänden erlaubt, stellvertretend für Nutzer den Rechtsweg beschreiten zu können.
Im Moment bleibt uns allerdings kaum mehr als die Hoffnung, dass die Verordnung in diesen entscheidenden Punkten nicht weiter verwässert wird. Die bisherige Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten in diesem Zusammenhang nicht gerade mit Ruhm bekleckert, sondern sich eher als Bremser hervorgetan
 politik-digital.de: Nach wie vor werden neue Details über die weltweiten Überwachungsmaßnahmen enthüllt. Die USA und Großbritannien machen kaum Anstalten, ihre Dienste an die Leine zu nehmen. Bleibt den Bürgern nur die digitale Selbstverteidigung, z. B. durch Verschlüsselung?
Caro Mahn-Gauseweg: Vorerst ja. Die Bundesregierung hat bewiesen, dass ihr ein wirksamer Schutz der persönlichen Daten deutscher Staatsbürger weit weniger wichtig ist als eine reibungsarme transatlantische Zusammenarbeit. Zudem besteht gerade für die Dienstleistungen ausländischer Anbieter bisher keine datenschutzrechtliche Handhabe, die die Sicherheit der Daten und ein Verbot der Weitergabe regeln könnte.
Nichtsdestotrotz haben die Europäische Union und die europäischen Regierungen durchaus Möglichkeiten, die Auswüchse der Überwachungstätigkeiten einzudämmen.
Ein erster Schritt wäre ein wirksamer Schutz von Whistleblowern, beispielsweise durch politisches Asyl. Ein weiterer Schritt ist die konsequente Offenlegung aller bisher gesammelten Erkenntnisse über die Möglichkeiten, Quellen und Nutzer von Spähprogrammen wie PRISM, XKeyscore und Anderen. Internetznutzern muss eine Auswahl wirkungsvoller Software zur Verfügung gestellt werden, mit der er sich und seine Daten vor unberechtigtem Zugriff schützen kann.

Und nicht zuletzt wird es Zeit, dass es endlich ein verbindliches internationales Abkommen über die Freiheit des Internets auf den Weg gebracht wird.

politik-digital.de: Warum ist es Ihrer Ansicht nach so vielen Bürgern egal, dass ihre Daten von Geheimdiensten gespeichert und ausgewertet werden?
Caro Mahn-Gauseweg: Ich glaube nicht, dass es den Bürgern egal ist. Einigen ist die digitale Welt möglicherweise zu abstrakt, um ein umfassendes Verständnis für sie und ihre Mechanismen zu entwickeln. Einigen sind die beinahe grenzenlosen Möglichkeiten der Aggregation von Bewegungs-, Verbindungs-, Zahlungsdaten und anderen Informationen vielleicht nicht bewusst. Mehrheitlich glaube ich aber, dass die Betroffenen – also im Grunde wir alle – mit einem Gefühl der Machtlosigkeit auf die Machenschaften der Nachrichtendienste sehen. Uns sind die Hände faktisch gebunden. Tragischerweise verfällt die Bundesregierung, die als einziger Akteur im Land wirkungsvoll tätig werden könnte, angesichts der Monstrosität der Snowden-Enthüllungen in Lethargie, anstatt mutig voranzugehen und sich ihrer Aufgabe gemäß für den Schutz der eigenen Bürger einzusetzen.
Mutige und einschneidende Reformen sind nötig; in Deutschland und Europa. Und eine starke außerparlamentarische Opposition kann durchaus ein Anstoß für die Bundesregierung zu sein, endlich tätig zu werden. Zumindest die Besetzung einiger Staatssekretärsposten gibt tatsächlich Anlass zu etwas Hoffnung.
politik-digital.de: Am 25. Mai 2014 ist in Deutschland Europawahl. Nach aktueller Gesetzeslage wird eine Dreiprozenthürde gelten. Ihre Partei will die Hürde fallen sehen und klagt deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Rechnen die Piraten also nicht mehr damit, über die Stimmenzahl einer Kleinpartei hinauszukommen?
Caro Mahn-Gauseweg: Der Kampf gegen die 3%-Hürde hat nichts mit der Angst vor zu wenigen Stimmen zu tun. Die Vielfalt in Parlamenten ist uns generell ein Anliegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht umsonst geurteilt, dass die 5%-Sperrklausel auf EU-Ebene gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verstößt. Warum eine 3%-Sperrklausel nun grundgesetzkonform sein soll, erschließt sich mir nicht.
Abseits der juristischen Argumentation sollten wir uns zudem eines vor Augen führen: Die Zeiten, in denen die politische Meinungsvielfalt durch wenige Volksparteien abgebildet wurde, sind vorbei. Dieser Realität sollte auch das Wahlrecht Rechnung tragen.
politik-digital.de: Mit welchen Themen gehen die deutschen Piraten in den Europawahlkampf ?
Caro Mahn-Gauseweg: Die europäische Idee liegt uns sehr am Herzen und wir sprechen uns nachdrücklich für eine stärkere europäische Integration aus. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn die europäischen Institutionen stärker demokratisiert werden. Das europäische Parlament – mithin das einzige europäische Gremium, dessen Zusammensetzung durch die Europäer selbst bestimmt werden kann – hat nur wenige Einflussmöglichkeiten. Deswegen ist eine stärkere Demokratisierung der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU eines unserer Anliegen. Größere Transparenz in der Arbeit der europäischen Institutionen und Gremien gehört aus unserer Sicht ebenso dazu wie stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten. Ein Thema, das bisher leider etwas außerhalb des öffentlichen Fokus steht, ist das Freihandelsabkommen TTIP. Dieser Vertrag gibt den USA ein umfassendes Mitsprache- und Vetorecht bei der europäischen Gesetzgebung. Auch der Einflussnahme von Konzernen wird Tür und Tor geöffnet. Die Verhandlungen dazu laufen zudem noch hinter verschlossenen Türen und damit unter Ausschluss derer ab, die von den Auswirkungen direkt betroffen sind. Ein solches Vorgehen seitens der EU, wie wir es auch schon von den ACTA-Verhandlungen kannten, werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.

Weitere große Themen sind der Kampf gegen Korruption, eine Reform des Urheberrechts und natürlich die Stärkung des Datenschutzes auf europäischer Ebene.

Ich hoffe sehr, dass die Datenschutzgrundverordnung noch vor der Wahl durch das europäische Parlament verabschiedet wird, damit wir darauf aufbauen können. Sollte das nicht gelingen, ist das die erste große Baustelle der PIRATEN im neu gewählten Europaparlament.
Fotos: tm-md (CC BY-NC-ND 2.0) / saxnpresse Fotoarchiv