Congreso_Wearbales Big Data_Salud 2 COM Salud CC by SA 2.0 via Flickr Soldaten, die niemals müde werden, Sportler, die immer schneller laufen, und Schüler, die pausenlos lernen können: die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Menschen mit technischen Geräten und wissenschaftlichen Verfahren zu verändern, hat längst Einzug in unsere Gesellschaft gehalten und die Themen werden im Bundestag diskutiert. Eine Einführung in das Thema Human Enhancement.

Menschen auf mechanische, chirurgische oder gar genetische Weise zu verbessern klingt nach Science-Fiction. Aber während vollautomatische externe Skelette zu Unterstützung der Körperkraft und der Röntgenblick noch in ferner Zukunft liegen, versuchen Menschen schon jetzt in vielen Bereichen, die biologischen Grenzen ihrer Spezies zu überschreiten. Im englischen Sprachraum und wissenschaftlichen Debatten spricht man in dem Fall von „Human Enhancement“, also menschliche Verbesserung oder Erweiterung.

Meist geht es um drei Varianten: Erstens um mechanische Erweiterungen wie Prothesen, Herzschrittmacher und Hörgeräte. Zweitens um Medikamente, die zur Leistungssteigerung genutzt werden. Und drittens um gentechnische Verfahren, die von Präimplantationsdiagnostik bis zur Gentherapie reichen.

Wie Menschen sich durch Technik verbessern

Auch wenn das Thema nicht unter dem Begriff Human Enhancement diskutiert wird, hat die Debatte über konkrete Beispiele längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Medien und Politik beschäftigen sich damit, z.B. beim Sport. Weil dort der direkte Vergleich von Leistungen im Vordergrund steht, haben auch leichte Veränderungen der Leistungsfähigkeit große Auswirkungen. Seit Jahren taucht das Thema Doping bei fast jeder sportlichen Großveranstaltung in den Medien auf. Relativ neu ist hingegen die Frage, wie Sportler mit künstlichen Körperteilen einzuordnen sind. Der unterschenkelamputierte Oscar Pistorius bekam 2008 vom Internationalen Sportgerichtshof das Recht zugesprochen, mit Prothesen als Läufer bei den regulären Olympischen Spielen anzutreten. Dies entfachte eine Debatte darüber, ob Prothesen leistungsfähiger als normale Gliedmaßen sind und wie man sportlich fair damit umgeht. Im Jahr der Entscheidung verfehlte Pistorius die Qualifikationsnorm für die Olympischen Spiele, 2012 in London startete er dann jedoch bei der 400-Meter-Staffel.

Der medizinisch nicht notwendige Einsatz von verschreibungspflichtigen Medikamenten zur Leistungssteigerung ist ein weiteres Thema, das immer wieder in den Medien auftaucht und auch auf politik-digital.de schon diskutiert wurde. Menschen versuchen, sich durch das Einnehmen von Medikamenten wie Ritalin oder Modafinil Vorteile im stressigen Lern- oder Arbeitsalltag zu verschaffen.

Auch der Umgang mit menschlichem Erbgut steht immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit, zuletzt durch die Bundestagsdebatten zur Präimplantationsdiagnostik. In diesem Fall ist die aktuelle Anwendung fast ausschließlich therapeutisch. Kritiker sehen jedoch die Gefahr, mit Hilfe der selben Technologien „Wunschbabys“, bei denen spezielle genetische Anlagen bevorzugt werden, zu erzeugen.

Für die Technikinteressierte besonders spannend sind elektronische Implantate, zurzeit noch vor allem Herz- oder Hirnschrittmacher. Zentral ist dabei die Frage nach der Sicherheit dieser Geräte. Wie in vielen anderen Bereichen muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden: Die Implantate senden ihre Daten an den behandelnden Arzt. Dabei ist es einerseits hilfreich, wenn die Implantate die Daten drahtlos an den Arzt schicken. Dadurch können kritische Veränderungen festgestellt werden und in einem Notfall, etwa bei einem Herzinfarkt, erfolgt ein automatischer Notruf. Andererseits öffnet die drahtlose Verbindung einen Zugang von außen. Unbefugte könnten darüber vertrauliche Daten abrufen oder die Geräte im schlimmsten Fall hacken.

Oscar Pistorius bei den Olympischen Spielen 2012

 

Cyborgs in der Mitte der Gesellschaft

Viele Human Enhancement-Techniken werden auch in therapeutischen Verfahren eingesetzt. Dadurch ist die Grenze zwischen Therapie und Verbesserung fließend. Die Grenze ist auf jeden Fall überschritten, wenn die Technik Möglichkeiten eröffnet, die über die Fähigkeiten der menschlichen Spezies hinausgehen. Andere Fälle sind nicht so klar einzuordnen: Ein Hörgerät ist normalerweise eine therapeutische Maßnahme, die eingesetzt wird, wenn das Gehör durch Unfall oder Krankheit geschädigt ist. Wenn man mit dem Hörgerät dann Frequenzen wahrnehmen kann, die außerhalb des menschlichen Hörbereichs liegen, gilt es als Enhancement.

In letzter Zeit wird zudem eine Theorie mit einem sehr breiten Human Enhacement-Begriff immer mehr populärer. Dieser Theorie zufolge sind wir durch unsere alltägliche enge Verknüpfung mit technischen Geräten sowieso schon alle mehr oder weniger Cyborgs. Die Geräte erweitern dabei unsere Sinne und geben uns Zugang zu Wissen, das kein Mensch im Kopf behalten könnte. Viele Menschen haben so eine engen Verbindung zu ihrem Smartphone, dass sie ohne es einen tatsächlichen Verlust und eine Einschränkung ihrer Sinne und Kommunikationsmöglichkeit erleben. Fast als wäre das Smartphone ein fester Teil von ihnen.

Auf einer weniger abstrakten Ebene können Wearables wie Fitness-Armbänder oder Google Glasses wie Implantate funktionieren. Die in die Kleidung integrierten oder unmittelbar am Körper getragenen Geräte können oft die verbessernden Funktionen übernehmen, die in klassischen Science-Fiction-Stories Implantate haben. Manchen Kritikern geht diese Definition von Human Enhancement zu weit:  Nach ihrer Ansicht sollten nur unumkehrbare Eingriffe als „Human Enhancement“ im strengen Sinne gelten. Brillen, die man weglegen, und Kleidung, die man ausziehen kann, zählen dann nicht.

In dieser Grafik finden Sie einen Überblick über die derzeitigen Enhancement-Möglichkeiten.

Human Enhancement für alle

Nicht nur Wissenschaftler und hochgerüstete militärische Labore entwickeln neue Human Enhancement-Techniken. Auch viele mehr oder weniger normale Menschen haben sich der Idee der Selbstoptimierung und –erweiterung verschrieben. Das beginnt ganz einfach bei Schönheitsoperationen und Body-Modifications und geht bis zu selbsternannten „Bio-Hackern“. Diese Hacker versuchen, sich nach dem Motto „do it yourself“ zu optimieren. Manche tun dies auf herkömmliche Art, indem sie versuchen, durch gezielte Diäten oder Training das Beste aus sich herauszuholen. Andere implantieren sich selbst Magnete oder über Funk auslesbare Chips (RFID). Mit diesen Chips können dann Türen geöffnet und persönliche Informationen „sicher“ gespeichert werden.

Die Gründe, den Schritt zur dauerhaften Veränderung zu wagen, unterscheiden sich so wie die Anwender. Bei manchen ist der Grund Leistungsdruck oder das Gefühl, ohne Verbesserungen nicht mit der Gesellschaft mithalten zu können. Bei anderen lautet der Grund schlicht: „Es ist möglich.“

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Die transhumanistische Vorstellung der Evolution

Andere Menschen haben sich der Weiterentwicklung als Ideologie verschrieben. Die Transhumanistische Bewegung verfolgt die Idee, dass sich Menschen mit Hilfe von Technik jenseits der biologischen Evolution weiterentwickeln können. Dadurch, so der Gedanke, wird es irgendwann eine neue Spezies jenseits des biologischen Menschen geben, die die Begrenzung des menschlichen Körpers und der menschlichen Psyche hinter sich lässt.

Ob es nun um Träume von einem besseren Menschen geht, gedopte Sportler oder Menschen, die versuchen, in einer Leistungsgesellschaft mithalten zu können: Human Enhancement ist es ein Thema, das mit seinen verschiedenen Facetten in der Mitte der Gesellschaft präsent ist und nach einer differenzierten und konsequenten Auseinandersetzung verlangt.

 

Bilder:
Titelbild Congreso Wearables Big Data Salud 2 von COM Salud via flickr unter CC BY SA 2.0/Original zugeschnitten
Bild 1 Oscar Pistorius, the first round of the 400 m at the London 2012 Olympic Games von Jim Thurston via Wikimedia Commons unter CC BY SA 2.0/Original zusgeschnitten
Bild 2 evolution-human-walking von ClkerFreeVectorImages via pixabay unter CC0; man-side-robot-cyborg-android von DrSJS via pixabay unter CC0/Originale zusammengeschnitten

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