Hohe Erwartungen, große Hoffnungen: Das neue deutsche Internet-Institut in Berlin soll die Bundesrepublik auch gesellschaftspolitisch für den digitalen Wandel fit machen. Generell braucht es in Deutschland viel mehr sozialwissenschaftliche Internet-Forschung – findet Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann.

Ende Mai wurde bekannt gegeben, dass das von der Bundesregierung geplante “Deutsche Internet-Institut” künftig in Berlin seinen Sitz hat. Bei der Ausschreibung gewann das Berlin-Brandenburg-Konsortium, bestehend aus den vier Berliner Universitäten, der Universität Potsdam und dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS). Den Verbund koordinierte das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Wir haben mit Projektleiterin Prof. Dr. Jeanette Hofmann über die Ziele des Instituts und die Rolle der Gesellschaft im Digitalisierungsprozess gesprochen.

Frau Hofmann, was war die Motivation für die Mitglieder des Konsortiums, sich mit einer eigenen Forschungsagenda für die Gestaltung des neuen Internet-Instituts zu bewerben?

Jede der teilnehmenden Institutionen betreibt Internetforschung auf seine eigene Art und Weise. Diese unterschiedlichen Felder durch interdisziplinäre Zusammenarbeit zu bündeln, ist ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung kaum möglich. Das Einreichen einer gemeinsamen Bewerbung erschien logisch, denn eine solche Gelegenheit auf Förderung der Internetforschung sollte meiner Ansicht nach auf jeden Fall genutzt werden.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit dem Aufbau des Instituts und dessen interdisziplinären Fokus?

Die Ausschreibung war recht spezifisch. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung hat sehr viele Themenkomplexe bereits vorgegeben. Die weiteren Forschungsthemen des Konsortiums orientieren sich daran und fungieren als inhaltliche Erweiterung. Der thematische rote Faden der Forschungsagenda wird generell von der Frage nach der Zukunft der “individuellen” und der “kollektiven Selbstbestimmung” bestimmt. Hierbei geht es sowohl um den demokratischen Charakter der Digitalisierung als auch die Autonomie des Einzelnen und der Gemeinschaft innerhalb dieses Prozesses.

Jetzt steht das Projekt “Internet-Institut” noch relativ am Anfang. Gibt es bereits Pläne, wie der Prozess auf der organisatorischen Ebene stattfinden wird?

Wir sind vorrangig ein Forschungsinstitut. Es werden circa 20 Forschungsgruppen eingerichtet, deren Leitung Postdocs übernehmen. Diese wiederum beschäftigen Doktoranden, die ihrerseits von studentischen Hilfskräften unterstützt werden. Zusammengehalten und weiterentwickelt wird das Forschungsprogramm durch die Direktoren in Zusammenarbeit mit den Principle Investigators (PIs). Die Gruppe der PIs besteht im Kern aus denjenigen, die den Antrag für das Internet-Institut entwickelt haben. Im Laufe der Zeit werden noch weitere PIs eingebunden.

Das Internet-Institut wurde ja besonders in den letzten Wochen häufig als deutsches “Leuchtturmprojekt” der internationalen Digitalisierung bezeichnet. Wo sehen Sie in der Bundesrepublik eigentlich den größten “Digitalisierungs-Nachholbedarf” im Vergleich zu anderen europäischen Staaten und natürlich den USA?

Deutschland ist im Bereich der technischen und rechtswissenschaftlichen Forschung relativ gut aufgestellt. Allerdings gibt es einen großen Nachholbedarf in den Sozialwissenschaften. Der Grund dafür ist, dass nur wenige etablierte SozialwissenschaftlerInnen neue Fragestellungen im Bereich der Digitalisierungsforschung aufgreifen. Das Institut soll dazu beitragen, diese Lücke gegenüber vielen anderen Ländern zu füllen.

In Berlin gibt es bereits zwei renommierte Forschungsinstitute, die sich die Digitalisierung auf die Fahne geschrieben haben (Anmerkung d. Autors: Einstein-Zentrum für digitale Zukunft und Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, kurz HIIG). Wo wird das Internet-Institut nochmal spezifische Akzente setzen?

Im Einstein-Zentrum liegt der Fokus der meisten Professoren im Bereich der technischen Forschung. Das Internet-Institut unterscheidet sich hiervon deutlich, weil wir einen gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt haben, aber interdisziplinär arbeiten werden.

Das Internet-Institut bietet den Vorteil, dass die Vernetzung und gemeinsame bereichsübergreifende Zusammenarbeit von vornherein in unserem Forschungsprogramm und in den Professuren selbst angelegt sind.

 

Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der Freien Universität Berlin, forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zu den Themen Global Governance, Regulierung des Internets und digitalem Wandel. Sie ist außerdem Leiterin der WZB-Projektgruppe ‚Politikfeld Internet‘, die sich mit der Herausbildung von Politikfeldern am Beispiel der Internetpolitik befasst. Des Weiteren ist Prof. Hofmann Honorarprofessorin an der Universität der Künste, Research Associate am Centre for Analysis of Risk and Regulation (CARR) der London School of Economics and Political Science (LSE) und Mitglied in verschiedenen politikberatenden Gremien.

Bedeutet das auch, dass das Internet-Institut nicht nur verschiedene Wissenschaftsbereiche vernetzen soll, sondern schlussendlich auch eine Schnittstelle für Politik und Wirtschaft darstellt? Oder anders gefragt: Hat das Internet-Institut auch eine Beratungsfunktion für Regierung und Unternehmen?

Wir haben in unserem Konzept einen Akzent auf Transfer gelegt, d.h. auf die Zusammenarbeit mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir rechnen damit, dass die Politik einen Zusammenarbeit mit uns anstrebt. Die vielen politischen Veranstaltungen, besonders hier in Berlin, machen deutlich, dass großes Interesse an der Digitalisierung und ihrem gesellschaftlichen Bezug besteht. Es ist eines unserer Ziele, mit allen relevanten Gruppen der Öffentlichkeit eng zusammenzuarbeiten.

Wo sehen Sie eigentlich als Professorin am WZB die Funktion der Sozialwissenschaften im Kontext des Digitalisierungsprozesses?

Noch sind die Möglichkeiten hier eher unterausgeschöpft. Es gibt diesbezüglich jedoch ein breites Aufgabenspektrum, angefangen im Bereich der sozialwissenschaftlichen Technikforschung. Dieses Feld ist deshalb so bedeutsam, weil die technische Entwicklung immer viele Entwicklungsoptionen eröffnet. Diese Optionen müssen auch sichtbar gemacht werden, damit sich die Gesellschaft ihrer Handlungsspielräume bewußt ist. Großen Nachholbedarf sehe ich auch im Bereich der international vergleichenden Regulierungsforschung. Die große Frage lautet hier, welche Prinzipien und Werte den weiteren Digitalisierungsprozess prägen werden und welche gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diese Werte auch durchzusetzen.

Dazu können die Sozial- wie die Rechtswissenschaften einen großen Beitrag leisten.

Zum Schluss noch eine allgemeine Frage: Wo sehen Sie eigentlich die größten gesellschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung in, sagen wir, den nächsten 20-30 Jahren?

Eine der großen Herausforderungen wird darin bestehen, den Trend zu Monopolstellungen in der digitalen Wirtschaft zu stoppen und den Wettbewerb zwischen Unternehmen zu erhalten.

Eine zweite Herausforderung sehe ich im Bereich der Arbeit. Im Zuge der häufig prognostizierten “Automatisierungswelle” wird wahrscheinlich eine Vielzahl von Arbeitsplätzen wegfallen. Hier müssen wir über Lösungen nachdenken, die in der Lage sind, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Entwicklung zu bewältigen.

Ein dritter Problembereich, der mich auch in meiner Forschung beschäftigt, stellt das Thema Privatheit und Datenschutz dar. Eine große Herausforderung bilden datenbasierte Geschäftsmodelle. Es wäre etwa denkbar, dass Nutzer in Zukunft für digitale Kommunikationsdienste ein Entgelt entrichten anstatt mit ihren personenbezogenen Daten zu zahlen. Die zentrale Frage dahinter lautet jedoch: Wie ist es möglich, dem Verlust der Privatsphäre im Zeitalter der Digitalisierung generell Grenzen zu setzen?

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hofmann!

 

Das Interview führte Daniel Krüger.

Titelbild: Jeanette Hofmann, by re:publica on Flickr, CC BY -SA 2.0

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