(Artikel) Das Schlagwort “Social Software” ist längst Lieblingsthema einschlägiger Medienseiten. Schuld daran sind etwa ein populäres Online-Lexikon, x-tausend Weblogs und intelligente öffentliche Bilder- und Business-Communities. Doch worum geht’s überhaupt? Und wird jetzt endlich alles gut?

Frühmorgens automatisch News mit dem RSS-Feed der tagesschau checken, abends vorm Schlafengehen kurz nachlesen, was in der Wikipedia eigentlich zum Begriff “Social Software” steht – Alltag in der Ära des Kürzels 2.0.

Kurz gesagt bezeichnet das Schlagwort “Social Software” einfach zu bedienende Internet-Anwendungen, die erst in einem sozial, also gemeinschaftlich, genutzten Kontext Sinn ergeben. Besonders anschaulich: die Online-Enzyklopädie Wikipedia . Hier kann und darf jeder mitschreiben, so dass sich für die deutschen Ausgabe mittlerweile ein Netzwerk aus rund 7000 aktiven Autoren gebildet hat. International schreiben sogar 214.000 registrierte Autoren mit. Die Qualität und die Fehlerfreiheit der Inhalte sollen durch das Wohlwollen der Nutzer, die Dokumentation der Webseiten-Historie und die öffentliche Präsenz garantiert werden. Doch nicht selten geriet die wahrscheinlich populärste “Social Software” wegen ihrer Offen- und damit Angreifbarkeit, etwa während politischer Wahlkämpfe, in die Kritik.

Weblogs sind die am weitesten verbreitete “Social Software”. Der Begriff ist eine Verschmelzung aus Web und Logbuch, was bereits auf die starke Personalisierung dieses Formats hinweist. Es ermöglicht, auf technisch unkomplizierte Art,diverse multimediale Inhalte zu publizieren – ob als Text (
Blog), Audio (
Podcast), Video (
Vblog) oder gar Foto vom Mobiltelefon (
Moblog). Dass Artikel kommentiert oder andere Weblog-Inhalte automatisch durch Trackback-Funktion verlinkt werden können, umrahmt die neuartige Interaktivität. Die Zahl der deutschen Weblogs zu schätzen, ist so gut wie unmöglich – die einen reden von 400.000, andere von knapp einer Million
Online-Tagebüchern.

Der neue Mythos “Web 2.0”

Die rasante Erfolgsgeschichte der Weblogs, Wikis & Co. hat eine neue und doch eigentlich alte These neu aufkochen lassen, forciert von
Tim O’Reilly, Erfinder des Begriffs “Web 2.0” und Gründer des gleichnamigen IT-Fachverlags. Im Kern besagt die neue alte These, dass Informationen nun unabhängig von traditionellen “Gatekeepern”, z.B. vom klassischen Zeitungsjournalismus, generiert werden können. Jeder Empfänger, so die Verfechter dieser These, könne nun selbst zum Sender werden, die Vermittlung werde überflüssig. Der daraus resultierende, neu geschaffene Kommunikations- und Partizipationsspielraum, so die Argumentation weiter, schaffe auf diese Weise nicht nur geänderte Spielregeln für die mediale Welt, sondern muss zwangsweise auch auf politische Amtsträger und gesellschaftliche Bewegungen wirken. Diesen Spielraum könne das “Web 2.0”, das die statischen html-Seiten der ersten Internet-Generation hinter sich gelassen habe, nun mittels “Social Software” vollständig entfalten.

“Social Software” als Ergänzung zum Mainstream

Diese Thesen sind mit Blick auf die tatsächliche Nutzung in ihrer Konsequenz sicher nicht haltbar. Zu schnell wird vergessen, dass der Zugang und die Nutzung von “Social Software” nicht nur entsprechendes Know-How und Technikkompetenz erfordern, sondern vor allem ohne Motivation und Mitwirkung nicht funktioniert. So liegt die Crux gerade in dem Wesenszug der “Social Software”, die sie auszeichnet. Denn damit sie funktioniert, müssen die Nutzer mitwirken. Kurz: “Social Software” ist darauf angewiesen, Teil eines sozialen oder gemeinschaftlichen Kontextes zu sein.

Das Potenzial hängt letztlich davon ab, wie es tatsächlich ausgenutzt wird. Weblogs brauchen nicht nur Autoren sondern auch Leser. Wiki-Projekte hingegen nicht nur Leser, sondern auch Autoren. Intelligente Communities benötigen neben intelligenten Strukturen auch intelligente Nutzer, die intelligente Inhalte einbringen. Ansonsten führt die best entwickelteste “Social Software” ins Leere und bleibt ohne gesellschaftliche oder politische Bedeutung.

Zweifellos haben sich die Audrucksmöglichkeiten im Netz durch „Social Software“ enorm weiterentwickelt, doch “Social Software” ist nicht mehr und nicht weniger als ein Publikationsformat für Information und Meinung. Welchen Einfluss sie auf gesellschaftliche, mediale oder politische Prozesse hat und haben wird, hängt von dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld ab, in den sie eingebettet ist oder wird. Bezeichnend ist daher, dass die freie Wirtschaft „Social Software“ als nützliches Marketingtool entdeckt hat. Denn dass die riesigen Datenmengen der “Social Software”-Communities ”
YouTube” oder ”
MySpace” nach dem Kauf durch den Netz-Giganten “Google” als Datenspeiser für profil- und nutzerbezogene Werbung fungieren werden, steht außer Frage. “Social Software” ist, wie der Rest unseres gesellschaftlichen Systems, gebunden an die Spielregeln des Marktes: Erfolgreiche Ideen werden, wenn sie wirtschaftlich nutzbar sind, auch wirtschaftlich genutzt. “Social Software” wird jedoch immer dort eine gesellschaftspolitische Bedeutung behalten können, wo sie unterhalb des Radars der Werbewirtschaft bleibt und entweder als spezifisch regionales oder ausdrücklich themenorientiertes Polit-Projekt auftritt.