Dr. Bernad Batinic über Online Forschung, Repräsentativität, Wahlkampf und Datenschutz


politik-digital sprach mit Dr. Bernad Batinic, Wissenschaftlicher Assistent am
Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 1994, Gründungsmitglied und Sprecher des Vorstand der
Deutschen Gesellschaft für Online Forschung e.V. (1998-01), Herausgeber zahlreicher Bücher zu dem Themenfeld “Internet und Psychologie” und “Datenerhebungsverfahren im Internet”. Gründer und Mitinhaber der
Kölner Globalpark GmbH.

politik-digital: Seit wann gibt es Online-Meinungsforschung und wie waren die Anfänge?

Dr. Bernad Batinic: Im deutschsprachigen Raum fing Online-Meinungsforschung ca. 1994 an. Es gab vorher vereinzelte Studien, wie die Studie von Nicola Döring von 1993 zum Thema “Einsamkeit und Internetnutzung”. Der Boom fing aber erst 1999 bzw. im Jahr 2000 an.

In den Anfängen stand das Internet im Mittelpunkt der Untersuchungen, speziell die Nutzung des Internets durch die Menschen. Auch die Frage, ob das Internet für politische Wahlforschung genutzt werden kann. Beispielsweise habe ich 1995 für den virtuellen Ortsverein der SPD eine Umfrage im Internet zum Thema “Zensur im Internet” durchgeführt.Gesamtgesellschaftliche Fragestellungen, wie etwa “was wählen sie an der nächsten Bundestagswahl?”, wo das Internet lediglich als Transportmedium diente, sind bis auf kleine Ausnahmen eher neueren Datums.

Aber gerade im Internet gab es vorher bereits zahlreiche “Abstimmungen” auf verfahrens-tech-nisch hohem Niveau. Bei diesen Befragungen ist das Internet aber immer auch Untersuchungsgegenstand und nicht allein Untersuchungs-instrument. Wenn sie sich beispielsweise die “Usenet/Netnews” anschauen, die eine Art von Selbstorganisation haben: es werden neue Gruppen eingerichtet mit ausgetüfteltem Wahlverfahren, Wahlleitern und Anonymisierungsverfahren. Ich verstehe das als basisdemokratische Elemente von politischer Online-Meinungsforschung.

politik-digital: Was sind die Vorteile von Online-Meinungsforschung?

Dr. Bernad Batinic: Online Marktforschung ist schnell und im direkten Vergleich zu Face-to-Face Befragungen, auch preislich deutlich günstiger. Gegenüber Telefonumfragen hat man im Internet die Möglichkeit, Bilder zu zeigen und diese bewerten zu lassen.

Dies sind aber nur die großen Vorteile von Online Marktforschung. Viele Besonderheiten zeigen sich erst bei konkreten Fragestellungen. Wir haben beispielsweise 1996 in über 70 Ländern die Leiter der Goetheinstitute zu einer speziellen Fragestellung befragt. Die Durchführung der Studie dauerte nur wenige Tage. Hätte man dies mit traditionellen Methoden gemacht, wäre das Ganze sehr viel aufwendiger gewesen.

politik-digital: Wo liegen die Nachteile?

Dr. Bernad Batinic: Es gibt zwar einige Versuche und Anstrengungen, aber ganz grob kann man sagen, dass Internetbefragungen grundsätzlich nicht in der Lage sind repräsentative Ergebnisse für die Allgemeinbevölkerung zu liefern. Repräsentativität ist aber nur ein Gütekriterium unter anderen und sollte daher auch nicht überbewertet werden. Psychologen interessieren sich beispielsweise viel mehr für die Datenqualität (d.h. Reliabilität und Validität der erzielten Antworten) und zahlreiche Experimente bescheinigen Online Befragungen eine sehr hohe Datenqualität. Da ich von Haus aus Psychologe bin, kann ich sagen, dass etwa 80 Prozent aller wissenschaftlichen Forschungsarbeiten in der Psychologie auf Stichproben von 100 bis 200 Personen aufbauen. Die Daten sind auch nie repräsentativ, aber wir untersuchen korrelativ, d.h., wie geht das eine mit dem anderen einher. Das könnte man leicht auf die politische Meinungsforschung mittels Internet übertragen und käme weitgehend ohne das Kriterium der Repräsentativität zu spannenden Ergebnissen. Das hängt natürlich von der Fragestellung ab, die man untersucht. Bei Wahlprognosen im Sinne der sogenannten Sonntagsfrage ist Repräsentativität allerdings notwendig.

Ein weiterer Nachteil von Online Befragungen ist der hohe Technologieanteil. Viele potentielle Nutzer – ich denke da z. B. an die Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit in Parteien – ist gar nicht bekannt, welche Antworten einem Online Befragungen liefern können.

Auf der anderen Seite bleiben auch die Markt- und Meinungsforscher in der Regel lieber bei Bewährtem und begeben sich ungern auf technologisches Glatteis. Beispielsweise hatte die New York Times eine Online Befragung in Auftrag gegeben, die heraus finden sollte, wer der wichtigste Politiker des 20. Jahrhunderts war. Da kam dann mit deutlichem Abstand Kemal Atatürk heraus, denn ein amerikanischer Professor türkischer Herkunft hatte ein Script geschrieben, das sich immer wieder in den Server der Befragung einwählte und Atatürk angab. Das sind so kleine Unzulänglichkeiten, wo Umfragen unsauber durchgeführt werden und die gesamte Methode in Verruf geraten.

politik-digital: Wie erkenne ich als Internetnutzer, ob eine Umfrage, von denen es ja sehr viele Angebote gibt, seriös ist? Gibt es Richtlinien und erfüllen sie ihren Zweck?

Dr. Bernad Batinic: Einige Fachverbände haben Richtlinien für die Online Marktforschung herausgegeben. Diese Richtlinien richten sich aber in erster Linie an die Institute und an die Auftraggeber. Der Teilnehmer sollte darauf achten, dass elementare Informationen zur Befragung an deren Beginn bekannt gegeben werden. Dies sind u.a. Name/Bezeichnung der durchführenden Institution mit Postanschrift und Telefonnummer, Angabe der Teilnahmedauer und Beschreibung des Untersuchungszwecks. Und letztlich eine Erklärung über die Einhaltung des Datenschutzes. Diese Informationen sind Mindeststandard, sie sind aber noch lange keine Garantie für die Seriosität des Angebots. Internetnutzer sollten nur an Befragungen teilnehmen, die von Universitäten, Marktforschungsinstituten und bekannten Institutionen durchgeführt werden.

politik-digital: Wie wird der Datenschutz gewährleistet?

Dr. Bernad Batinic: Das lässt sich pauschal nur schwer sagen. Es kommt ganz auf die Art der Umfrage an. Und leider immer noch viel zu häufig auf die technischen Kenntnisse der Untersuchungsleitung. Ein Beispiel dazu: befragt man Personen zu einem spezifischen Thema und fügt am Ende der Befragung Eintragfelder für die Adresse der Teilnehmer ein, z.B. für ein der Befragung angeschlossenes Gewinnspiel, dann sollten die Befragungsdaten und die Personendaten getrennt voneinander aufbewahrt werden. Dies ist technisch ohne weiteres möglich, die Untersuchungsleiter haben aber nur zu oft nicht das Wissen, wie dies umzusetzen ist.

politik-digital: Wie hoch ist das Marktvolumen von Online-Meinungsforschung im Vergleich zu analogen Methoden?

Dr. Bernad Batinic: Ich würde den Anteil bei einem Prozent sehen. Womöglich sogar weniger. Beispielsweise liegt laut der Arbeitsgemeinschaft deutscher Marktforscher (ADM) bei ihren Mitgliedern der Anteil der Online-Umfragen am Gesamtbefragungsaufkommen nur bei zwei Prozent.

politik-digital: Welche Bedeutung hat der Bundestagswahlkampf 2002 für die Online-Meinungsforschung?

Dr. Bernad Batinic: Das Thema gewinnt an Aufmerksamkeit und einige Menschen fangen an, die Möglichkeiten, die Online-Meinungsforschung bietet, zu erkennen. Der diesjährige Wahlkampf, aber auch der Wahlkampf 1998, erzielen weit weniger Effekte als sie haben könnten. 1998 war vielen bewusst, dass das Internet von Bedeutung ist und noch dazu gewinnen wird. Aber die Personen, die ich damit erreiche, seien nur eine spezielle Randgruppe der Gesellschaft – “Freaks”, d.h. der pizzaessende Programmierer. Das war bei vielen noch das Bild im Kopf. Deshalb gab es nur wenige internetgestützte Untersuchungen. Aber das Bild stimmt natürlich nicht.

politik-digital: Wird der Wahlkampf 2002 neue Instrumente der Online-Meinungsforschung hervorbringen?

Dr. Bernad Batinic: Nein. Dieses Jahr wird Online-Meinungsforschung schon deutlich mehr eingesetzt, aber gegenüber den Möglichkeiten, die das Medium bietet, bleibt die Anwendung der Online-Meinungsforschung auch heute hinter seinen Möglichkeiten zurück. Viele Anbieter von Markt- und Meinungsforschung bieten eher die klassischen Methoden wie Telefonbefragungen oder Face-to-Face Befragungen an. Aber auch die Nachfrager solcher Befragungen oder Prognosen, etwa die Parteien, wissen nicht genau, was man mittels Online-Meinungsforschung alles an Daten und Ergebnissen erzielen kann. Besonders groß ist die Verunsicherung im Bereich der Repräsentativität, ob Ergebnisse von

Internetbefragungen repräsentatitiv sein können, was sie ja nicht sind. Aber Repräsentativität ist nur ein entscheidendes Kriterium von vielen, zur Beurteilung der Aussagefähigkeit von Umfrageergebnissen.

politik-digital: Können Sie einen Ausblick in die nähere Zukunft der Online-Meinungsforschung wagen? Was wird kommen? Was nicht?

Dr. Bernad Batinic: Im Bereich der Bürgerbeteiligung von E-Government könnten regionale, internetgestützte Befragungen sinnvoll eingesetzt werden. Die Bürger könnten sich zu speziellen kommunalen oder lokalen Themen äussern. Etwa: was denken sie über eine neue Umgehungsstraße oder soll der grüne Pfeil an Ampeln eingeführt werden? Das wird aber leider nur sehr selten gemacht. Ich vermute, dass teilweise die Verantwortlichen mit den Ergebnissen nicht umgehen können und das gar nicht so genau wissen wollen. Denn was heißt das, wenn beispielsweise 80 Prozent der Befragten einen grünen Pfeil haben wollen?

Durch das Zusammenwachsen von Computer, Fernsehen und Mobiltelefon wird das Internet multimedialer nutzbar werden, dass ja bisher sehr textlastig ist. Aber unsere Gesellschaft und ihre Kommunikation nutzen Sprache und zunehmend Bilder. Dahin wird sich auch das Internet und damit verbunden auch die Online-Meinungsforschung hin entwickeln.

politik-digital: Vielen Dank!

Erschienen am 02.05.2002