Wird der Wahlkampf auch zur Geburtsstunde einer politischen Blogosphäre in Deutschland? Einige Gedanken aus kommunikationssoziologischen Perspektive.

Wird der Wahlkampf auch zur Geburtsstunde einer politischen Blogosphäre in Deutschland? Einige Gedanken aus kommunikationssoziologischen Perspektive.

Vor einigen Wochen hat Jochen Wegner auf der ”
Les Blogs“-Konferenz in Paris mit seiner
Meinung, die deutsche Blogosphäre sei im Vergleich insbesondere zum angelsächsischen Raum (aber auch zu Frankreich, Polen und Japan) noch unterentwickelt, einige Diskussionen ausgelöst. Der Bundestagswahlkampf, der ähnlich überraschend über uns gekommen ist wie
Benedikt der XVI., könnte einige Bewegung mit sich bringen – in den USA war es der Präsidentschaftswahlkampf 2004, der erstmals deutlich gemacht hat, wie klassische Massenmedien und Weblogs gemeinsam eine politische Öffentlichkeit konstituieren können (vgl. auch die Studie von
Cornfield et.al. für den Thinktank ”
Pew Internet & American Life Project“).

Parteipolitische Weblogs

Zunächst eine Vorbemerkung – ich möchte zwei Spielarten von “politischen Weblogs” unterscheiden: Parteipolitische und zivilgesellschaftliche Weblogs – das ist eine ad-hoc-Klassifikation für den Moment, das geht sicher auch noch differenzierter – und Kommentare sind selbstverständlich herzlich willkommen.

Parteipolitische Weblogs werden von Gliederungen oder einzelnen Kandidaten der politischen Parteien geführt. Die SPD in NRW hat mit ihrem
Weblog zur Landtagswahl schon sehr gute Erfahrungen gesammelt. Durch eine umfangreiche quasi-Liveberichterstattung von
Wahlkampfveranstaltungen, die begleitende Diskussion zu den beiden
Fernsehduellen und auch durch die Aufbereitung der landes- und bundespolitischen Konsequenzen des Wahlausgangs hat das NRWSPD-Blog große Aufmerksamkeit erzeugt. Dies schlägt sich auch in zahlreichen Kommentaren und heftigen Diskussionen dort nieder. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten sehr viele weitere Partei- oder Kandidatenblogs sehen werden, die sicherlich nicht alle ähnlich erfolgreich sein können, aber das Weblog als eigenständiges Element der parteipolitischen Kommunikationsstrategien etablieren helfen.

Ähnlich wie bei anderen Praktiken des Bloggens (man denke an die Publikation von Unternehmens-Blogs oder semi-privaten Tagebüchern) sind auch an parteipolitische Weblogs spezifische Erwartungen und Regeln seitens der Autoren und Rezipienten geknüpft. Im Vordergrund steht dabei die Authentizität der Texte – Leser erwarten von parteipolitischen Weblogs Aussagen und Positionen, die nicht wie gedrechselte Polit-PR daherkommen, sondern direkter, persönlicher, eben authentischer wirken. Parteilichkeit läßt sich da nicht vermeiden und ist sogar gewollt – schließlich wird es darum gehen, die eigenen politischen Ziele und Maßnahmen zu kommunizieren, um möglichst viele Bürger zu überzeugen. Gleichzeitig fördern Weblogs aber auch den Dialog: Der Kommentar (und damit auch der mögliche Widerspruch) ist ein zentraler Bestandteil des Genres und erzeugt zusammen mit der Referenzierung in anderen Weblogs die “verteilten Konversationen”, die so charakterisierend für die Blogosphäre sind.

Zivilgesellschaftliche
Weblogs

Doch: Wer nur auf parteipolitische Blogs schaut, der verpaßt viel Wesentlicheres: Zivilgesellschaftliche Weblogs, die zweite Form des politischen Weblogs, tragen mindestens ebenso viel zur Formierung der politischen Öffentlichkeit bei. In der Summe kanalisiert das Netzwerk von kommunikativen Bezugnahmen (ob Link, ob Kommentar) ähnlich wie Massenmedien die Aufmerksamkeit, bei deutlich geringeren Zugangsbeschränkungen – prinzipiell kann jeder Bürger eigene Meinungen und Informationen veröffentlichen.

Jede Bloggerin, die als Privatperson ihre politische Meinung kundtut, Argumente mit anderen austauscht und auf interessante Quellen verlinkt, trägt dazu bei, dass der Blick auf bestimmte Themen und Standpunkte gelenkt wird. Denn findet sie andere Personen, die ihre Texte interessant oder diskussionswürdig finden, werden diese verlinkt – und je mehr Links auf ein Weblog führen, desto stärker ist seine Sichtbarkeit für Suchmaschinen und für die Rezipienten in der Online-Welt. Hinzu kommt, dass auch die Jornalisten der “klassischen” Medien Weblogs zumindest beobachten, wenn nicht gar selber welche führen. Dadurch steigt die Chance, dass Themen von den Weblogs auf andere Medien übergreifen und so größere Personenkreise erreichen. [Ohne den Vorgang selber hier beurteilen zu wollen: Als Beispiel kann der
Fall der vermeintlichen Manipulationen von Wikipedia-Einträgen zu Rüttgers und Steinbrück wenige Tage vor der Wahl dienen, der aus den Weblogs bis zu N24 und Spiegel Online gelangte.]

Weblogs sind keine Allheilmittel

Um allzu großer demokratietheoretischer Utopie direkt vorzubeugen: In den Weblogs werden sicher keine idealtypischen Diskurse a lá Habermas geführt, und die Niederschwelligkeit des Zutritts zur weblogbasierten Online-Öffentlichkeit bedeutet auch nicht, dass Hierarchien und Machtgefälle abgebaut werden. Die Publikations- und Vernetzungsregeln in der Blogosphäre resultieren in einer sehr stark ungleichen Verteilung von Aufmerksamkeit: Einige wenige Weblogs werden von sehr vielen Menschen gelesen, während die Mehrzahl der Blogs nur wenige Leser hat. Zumindest in den USA läßt sich beobachten, dass die aufmerksamkeitsstärksten Weblogs inzwischen massenmedialer Kommunikation ähneln – und oft sind es auch diese wenigen Weblogs, die von den Vertretern anderer Medien gelesen werden. Aber diese Form der Dominanz ist weniger dauerhaft, muss durch beständige Aktualisierungen der kommunikativen Netzwerke bestätigt werden und ist deutlich offener für “Neulinge”, als die Welt der Tageszeitungen oder Fernsehsender.

Schließlich kommt noch hinzu, dass die Fähigkeit zur Selbstorganisation in der Blogosphäre deutlich höher ist, weil es sich a) um ein ohnehin sehr dynamisches Feld handelt, das durch rasche technische und soziale Innovationen gekennzeichnet ist und b) seine Netzwerk-Struktur (mit einzelnen Weblogs und ihren Beiträgen als Knoten) die Rekombination von Elementen erleichtert. Um dieses Argument am konkreten Beispiel zu verdeutlichen: Nico Lumma hat eine
Diskussion angestoßen, die in einer Plattform münden könnte, auf der eine kleinere Anzahl von Bloggern aus unterschiedlichen politischen Positionen den Wahlkampf und die Strategien der Parteien kommentieren. Damit wäre eine neue und möglicherweise viel beachtete Arena der politischen Information und Diskussion geschaffen, die es bislang in Deutschland noch nicht gab.

Zusammengefasst erwarte ich also für die kommenden Monate im Bereich der politischen Blogosphäre in Deutschland:

  • eine Zunahme von parteipolitischen Weblogs, die von Parteigliederungen oder Kandidaten betrieben werden; Blogs mit einem persönlich-authentischen Stil werden erfolgreicher sein als Blogs mit der traditionellen politischen Rhetorik aus Massenmedien und Kundgebungen.
  • das Formieren einer kleinen Gruppe von reichweitestarken Weblogs, die parteipolitisch ungebunden, aber aus bestimmten politischen Haltungen heraus den Wahlkampf begleiten; diese Gruppe von Weblogs wird auch Themen auf die Agenda der Massenmedien setzen können.
  • eine Vielzahl von Weblogs mittlerer und kleiner Reichweite, die politische Themen diskutieren und dabei auf massenmediale wie “blogosphärische” Quellen zurückgreifen; hier werden sich Cluster, also Netzwerke von miteinander verbundenen Weblogs herausbilden, die auch durch technische Raffinessen wie Tagging oder kollaborative Bewertungsmechanismen unterstützt werden können.

Der Wahlkampf wird also nicht nur für den politischen, sondern auch für den wissenschaftlichen Beobachter spannend.

Der Artikel ist ursprünglich im
Weblog von Jan Schmidt erschienen.