fdp artikelbildWie funktioniert eigentlich politisches Marketing? Und welche Rolle spielen soziale Medien in einer Zeit, in der Wähler vermehrt auf digitalem Wege erreichbar sind? Wir haben mit Matthias Storath, Geschäftsführer Kreation der Berliner Werbeagentur Heimat über die Veränderungen der politischen Kommunikation, kluge Strategien und die vermeintliche Inhaltslosigkeit der FDP-Kampagne gesprochen.

Terrorgefahr, Rentenreform, Digitalisierung. Der Bundestagswahlkampf ist in vollem Gange. Neben der Vorstellung der Parteiprogramme haben in den letzten Monaten auch immer wieder verschiedene Formate der FDP-Parteiwerbung mediale Aufmerksamkeit erregt. Neue Farbe, Hashtags und ungewöhnliche Werbeaktionen. Besonders der starke Fokus auf Parteichef Christian Lindner wurde von der politischen Konkurrenz häufig kritisiert. Nichtsdestotrotz: Gerade in den sozialen Medien verbreiteten sich die Clips, die Lindner etwa im Gespräch mit dem Sprachassistenten Alexa zeigen oder seinen Arbeitsalltag dokumentieren, schnell viral. Hierfür hauptverantwortlich ist die Berliner Werbeagentur Heimat, die sonst eher im Bereich der klassischen Unternehmenskommunikation angesiedelt ist und Kampagnen für große Unternehmen wie Hornbach, Otto oder Coca-Cola entwirft. Im Gespräch mit politik-digital erklärt Geschäftsführer Matthias Storath das Prinzip politischer Werbung, was viele Parteien falsch machen und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt.

Herr Storath, Ihre Agentur ist nun seit 18 Jahren im Marketing-Bereich tätig, viele große Unternehmen zählen zu Ihren Kunden. Gibt es grundsätzliche Unterschiede bei der Herangehensweise an Parteiwerbung?

Normalerweise ist Parteikommunikation stark vom Wahlkampf geprägt. Das ist Vertrieb und Abverkauf: Sechs Wochen vor der Wahl wird eine Kampagne gestartet, die im Prinzip wie eine Rabattaktion beim Elektro-Großmarkt funktioniert. Dann heißt es plötzlich: Leute, kommt zu uns und wählt uns, dann bekommt ihr das da. Das ist nicht unser Ansatz. Wir behandeln eine Partei wie eine Marke, die langfristig aufgebaut wird. Das ist eine Arbeit über mehrere Jahre.

Und auch in der Herangehensweise anders: Wir wollen immer eine Wahrheit im politischen Produkt finden und die kommunizieren. Das ist im Zeitalter der „alternativen Fakten“ wichtiger denn je. Die Wahrheit, das sind nicht alleine die Inhalte, sondern eben wie eine Partei denkt: reaktionär, konservativ, progressiv.

Beispiel: Die Freien Demokraten sind sicher progressiver in vielen Dingen als andere Parteien. Das kann man jetzt so auf das Plakat schreiben, aber besser ist, wenn man es erleben lässt. Zum Beispiel indem man eine neue Farbe ins starre Farbsystem der Parteien einführt: Pink. Das ist natürlich fast ein Skandal und jeder spricht darüber.

Aber die Freien Demokraten haben eben damit bewiesen, dass sie eben auch wenn es um ihr Corporate Design geht mal anders denken als die anderen Parteien.

Sie haben davon gesprochen, dass die Vermittlung einer bestimmten Stimmung in der Werbung eine wichtige Rolle spielt. Wird der Aspekt des Emotionalen in der politischen Kommunikation häufig unterschätzt?

Im Kern geht es darum die Wahrheit im politischen Produkt zu finden und die dann nach außen zu tragen. Wenn Spitzenkandidat und Programm die gute alte Zeit beschwören, dann können sie keine progressive Kampagne machen. Das ist unglaubwürdig. Die Wahrheit heißt aber eben auch nicht, dass man die Punkte aus dem Wahlprogramm 1:1 in Social Media bringt. Das würde eben auch nicht dem Gesamtkonzept der Partei gerecht werden. Es geht vielmehr darum, die Menschen über entsprechende Maßnahmen wieder dazu zu bewegen, sich näher mit den inhaltlichen Positionen einer Partei auseinanderzusetzen.

Das ist meistens nicht so einfach, weil wir ja fast alle Parteien seit Jahrzehnten kennen und eine relativ klare Meinung haben wofür sie grundsätzlich stehen.

Heimat hat schon zu Beginn der 2000er für politische Parteien Wahlkampagnen entworfen. Welche Veränderungen im politischen Marketing haben sich durch die Digitalisierung ergeben?

Die Digitalisierung hat vieles radikal verändert, die politische Kommunikation hat sich in Deutschland nur teilweise geändert. Das ist vielleicht auch ein Spiegel der tatsächlichen Politik, die beim Thema Digitalisierung zögerlicher agiert als andere Länder.

Trotzdem ist es heute selbstverständlich, dass ein Politiker auf Facebook, Twitter und Instagram aktiv ist. Profitiert haben davon aber vor allem extreme Haltungen. Weil diese Personen sowohl von ihren Unterstützern, wie auch ihren Gegnern profitieren. Das klingt zunächst absurd. Aber eben gerade Menschen die sich über etwas empören, geben dem Gegenstand ihrer Empörung Aufmerksamkeit. Und das wirkt in sozialen Medien noch viel stärker. Weil ich relativ direkt den Grund der Empörung mitposten kann. Das kann ein Video, ein Tweet oder ein ganzer Artikel sein. Und so irrsinnig das klingt, die Gegner dieser extremen Positionen schenken ihre Social Media Power ihrem Feind.

Vernünftige Positionen haben es da viel schwieriger Reichweite und Awareness zu erzeugen. Wir müssen deshalb viel kreativer werden.

Können Parteien der Mitte von der Social Media-Verwendung der Rechts- oder Linkspopulisten etwas lernen?

Nein. Denn es sind ja in erster Linie die extremen Inhalte, die Awareness erzeugen. Ich kann ja nicht mein Programm, das ich für das Richtige halte, verändern, nur um meine Reichweite zu verbessern. Das wäre dann tatsächlich Populismus, aber man muss das, wofür man steht, überraschender kommunizieren, als es im Moment oft getan wird.

Wir konnten aber vor allem in der letzten Zeit lernen, wie man digital nicht mit extremen Haltungen umgeht. Bestes Beispiel ist hier der Clinton-Wahlkampf: Da gab es zum Beispiel ein Online-Tool „Trump yourself“, das Daten von potentiellen Hillary-Sympathisanten sammeln sollte. Konkret konnte man gegen Angabe seiner Daten sein Facebook-Profilbild mit einer Beleidigung und einem Foto von Donald Trump versehen. „Total Lightweight. So sad.“ Das war lustig. Aber auch völlig wirr gedacht, weil man ja seinem Gegner dadurch kostenlos Awareness verschafft hat.

Wer Social Media nutzt, um Gegner zu diffamieren oder Angst vor ihm zu schüren, rückt ihn letztendlich noch mehr in den Mittelpunkt. Das ist jedoch besonders bei Populisten gefährlich, die genau davon leben.

Viele werfen Ihnen vor, die Werbestrategie der FDP inhaltslos zu gestalten und stattdessen den Parteivorsitzenden Lindner als Alleinvertreter zu inszenieren. Was sagen Sie dazu?

Das ist Unsinn, aber psychologisch nachvollziehbar. Der Mensch ist nicht dafür ausgelegt, dass er sein Weltbild ständig in Frage stellt. Sonst könnte er gar nicht überleben. Deshalb suchen wir in allem, was wir sehen, die Bestätigung unseres Denkens. Wahrscheinlich hat sich auch irgendwann der Eindruck verfestigt, dass es bei den Freien Demokraten immer nur um die Person Lindner geht. Mit Fakten hat das wenig zu tun.

Beispiel: Bei der Vorstellung der Bundestagswahl-Plakate wurde als erstes Motiv eine 1:1 Abbildung des Wahlprogramms vorgestellt. In der Berichterstattung wurde aber überhaupt nicht darüber gesprochen und nur über die Lindner-Motive gesprochen.

Anderes Beispiel: Schauen sie sich mal alte Wahlfilme von Angela Merkel oder Gerhard Schröder aus den letzten Wahlen an. Von der ersten bis zur letzten Minute Merkel, Merkel und nochmal Merkel. Häufig begleitet von Floskeln und vagen Begrifflichkeiten.

Wenn sie das neben unseren Film für Christian Lindner halten, dann wirkt das ja in Sachen Personenvermarkung geradezu schüchtern. Und der Film enthält sogar 6 konkrete inhaltliche Punkte der Freien Demokraten. So etwas ist ja fast schon skandalös in der politischen Kommunikation.

Trotzdem wird nicht über die Inhalte gesprochen. Die Reaktion auf unser Video war “Lindner macht Wahlkampf im Unterhemd”. Dabei hat es sich hier um ein Sportshirt gehandelt. (lacht) Man hat eines von 100 Bildern aus dem Film herausgenommen, das sicher nicht repräsentativ aber plakativ war. Auch das ist psychologisch nachvollziehbar. Abgesehen davon ist die Verdichtung auf eine Person natürlich sehr wichtig. Aber es nützt nichts ein Image aufzubauen. Gerade in Social Media ist jede aufgesetzte Inszenierung vernichtend. Sie müssen das Echte in der Person finden und das kommunizieren.

Im NRW Wahlkampf haben wir zum Beispiel Christian Lindner über Monate hinweg von einem Reportage-Photographen begleiten lassen, anstatt ein klassisches Werbeshooting zu machen – ungefiltered, ungephotoshopped – teilweise mit metertiefen Augenringen.Die daraus entstandenen Aufnahmen wurden dann unter anderem für einen Film verwendet, der Lindners Alltag zeigt. Gezeigt wurde nicht der perfekte Politiker, sondern einen Menschen, der auch gegen die Mehrheitsmeinung bestimmte Standpunkte vertritt.

 


Matthias Storath, 40 ist Geschäftsführer Kreation bei HEIMAT, Berlin. Er arbeitete u.a. für Marken wie IKEA, Hornbach, Pampers, Deutsche Bahn, Audi, Playstation, ASICS, Freie Demokraten und Coca-Cola. Matthias kreierte einige der meist besprochenen Kampagnen Deutschlands wie „Mach es zu Deinem Projekt“ (Hornbach), „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ (Media Markt) oder „German Mut“ (Freie Demokraten). Matthias gewann zahlreiche Preise unter anderem einen Goldenen Löwen in Cannes.

Über Social Media werden hauptsächlich diejenigen erreicht, deren Alltag längst digital ist. Wie groß ist die Bedeutung von Online-Wahlkämpfen, auch mit Blick auf die demographische Entwicklung, in Deutschland wirklich?

Wir arbeiten nach dem Prinzip „Digital First“. Das heißt aber eben auch, dass es ein „Second“, „Third“ usw. geht. Die meisten anderen Digitalagenturen machen eben „Digital only“.

Konkretes Beispiel: Die NRW Kampagne. Die Wahrheit im Produkt war klar: Christian Lindner ist ein Spitzenkandidat, der wirklich extrem hart arbeitet. Also haben wir beschlossen, das zu dokumentieren. Aus den 14.000 Fotos haben wir dann einige in Social Media veröffentlicht. Als Fotos aber auch als Film. Aber die Fotos haben wir dann eben auch für die Plakate verwendet, die Broschüren und für den TV und Kinofilm. Die Kampagne hat also nicht in Social Media aufgehört.

Ein großer digitaler Trend im Zusammenhang mit Marketing ist die nutzerspezifische Werbung, auch Targeting genannt. Ein Beispiel hierfür sind “Dark Posts”, also gesponsorte Anzeigen, die nur ausgewählten Zielgruppen erscheinen. Im Bereich der politischen Kommunikation wird dieses Vorgehen ethisch kontrovers diskutiert. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Apple verkauft Smartphones, Tablets und Notebooks. Wenn dann jemand zu ihnen kommt und einen Notebook sucht, würden sie nicht über ein Smartphone mit ihm sprechen. Wenn Sie das auf die Politik übertragen, dann ist das relativ einfach, dass Sie mit jemanden, der sich für Digitalisierung interessiert, auch über dieses Thema sprechen. „Dark Posts“ klingt seltsam, ist aber ganz klassischer Vertrieb.

Eine Frage zum Abschluss: Wir haben viel über die unterschiedlichen Formen und Instrumente der politischen Kommunikation gesprochen. Wo geht der Weg ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahren hin?

Das ist immer stark von der politischen Lage selbst abhängig. Wenn man wie aktuell merkt, dass radikale politische Kräfte überhandnehmen, dann sind die Parteien der Mitte eher bereit, kreative Lösungen finden und neue Wege gehen, um dem entgegenzuwirken. Das betrifft momentan besonders die digitalen Maßnahmen bei vielen Parteien. Wenn alles seinen normalen Gang geht, verschwindet in der Regel auch die Bereitschaft zur Innovation. Dann heißt es schnell: Bald ist Wahl, welchen Spruch bringen wir denn jetzt aufs Plakat?

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Storath!

 

Das Interview führte Daniel Krüger.

Titelbild: kschneider2991 via pixabay, Digitalpfade via pixabay// CC0 Public Domain, Eigene Bearbeitung

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