Julia Wolf - (CC BY-NC-SA 2.0)Pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen hat der IT-Planungsrat eine Studie zu Stand und Chancen der Digitalisierung in Deutschland veröffentlicht. Mit „Zukunftspfade Digitales Deutschland 2020“ versucht das Gremium aus Vertretern von Bund und Ländern Digitalisierung als Kernthema zu etablieren.
Cornelia Rogall-Grothe, Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik, stellte zusammen mit Vertretern verschiedener Landesverwaltungen und je einem Vertreter aus der Wirtschaft, Wissenschaft und einem Think Tank die Studie am Montag in Berlin vor. Für diese hatte TNS Infratest knapp 600 Experten aus Wirtschaft (35 Prozent), Wissenschaft (19 Prozent), Verwaltung (39 Prozent) und anderen Bereichen (9 Prozent) nach ihrer Meinung zu verschiedenen Aspekten der Digitalisierung befragt. Im Rahmen der Pressekonferenz mit anschließender Expertendiskussion wurde deutlich, dass der Fokus der Studie auf dem Potenzial von Informations- und Kommunikationstechnik für den Wirtschaftsstandort Deutschland liegt. Grundlegend dafür sehen die Autoren der Studie die drei Themenfelder digitale „Infrastruktur“, „Souveränität“ und „Sicherheit“.

Der IT-Planungsrat ist ein 2010 gegründetes, zentrales Gremium aus Bund und Ländern mit den Aufgaben, die Zusammenarbeit in der Informationstechnik zu koordinieren, Standards zu verabreden, E-Government-Projekte zu steuern und
ein verwaltungsinternes Verbindungsnetz zu planen und weiterzuentwickeln. Die rechtlichen Grundlagen sind der Artikel 91c Grundgesetz von 2009 und ein Staatsvertrag vom 1. April 2010.
Einig waren sich die Diskutanten, dass die Digitalisierung große Chancen böte, das Funktionieren von Wirtschaft und Verwaltung effizienter zu gestalten. Allerdings bräuchte es dafür einen aktiv gestaltenden Staat und supranationale, in dem Fall europäische, Regelungen. Bisher habe der Staat zu wenig gehandelt. Auf dem Podium attestierten Stefan Heumann von der Stifung Neue Verantwortung und Joseph Reger von dem Technologiekonzern Fujitsu der deutschen Regierung eine bislang passive Rolle, die weit unter deren Möglichkeiten blieb. In der Studie sprachen fast zwei Drittel der Befragten dem Staat die Kompetenz ab, „Digitalisierungspolitik auf der Höhe der Zeit“ zu betreiben.
Unterschiede auf dem Podium zeigten sich vor allem in der Konkretheit der Forderungen. Während Johannes Hintersberger (CSU), Staatssekretär in Bayern und diesjähriger Vorsitzender des IT-Planungsrates, forderte, „der Digitalisierung eine Heimat zu geben“, plädierte Prof. Dr. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE), deutlich für ein „Ministerium für digitale Innovation“ in der neuen Regierung.

Ergebnisse der Studie – „Digitale Infrastruktur“

Laut der Studie sehen 73 Prozent der befragten Experten den Staat in der Pflicht, im Rahmen des Breitbandausbaus regulierend einzugreifen, und immer noch 59 Prozent fordern auch die staatliche Finanzierung des Ausbaus. Heike Raab, Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz, erklärte während der Pressekonferenz den Marktansatz im Ausbau der Netz-Infrastruktur für gescheitert. Die Vertreter zeigten sich einig, dass der Ausbau flächendeckend und so schnell wie möglich voranschreiten sollte.

„Digitale Souveränität“

Unter „digitaler Souveränität“ fasst die Studie die Medienkompetenz von Akteuren zusammen. Von den befragten Experten sind fast alle (93 Prozent) der Meinung, dass die Bürger selbst eine „äußerst“ oder „sehr wichtige“ Rolle für die Bildung von „digitaler Souveränität“ einnehmen müssten. Der Staat als Förderer von Medienkompetenz wird, nach (Hoch-)Schulen und der Wirtschaft, nur von 61 Prozent als „äußerst“ oder „sehr wichtiger“ Akteur angesehen.
Sowohl im Hinblick auf die Infrastruktur, als auch auf die Medienkompetenz warnte Rombach vor der Entstehung neuer Ungleichheiten und forderte entschiedenes Handeln. Wie eine aktuelle Studie des Branchenverbandes Bitkom bestätigt, ist die Nutzung des Internets tatsächlich stark abhängig von den standarddemographischen Merkmalen Alter, Bildungsabschluss und Geschlecht. Demnach sind Menschen mit Abitur deutlich häufiger online als solche mit niedrigerem Bildungsabschluss. Der Unterschied zwischen den Generationen ist noch stärker ausgeprägt. Während nahezu alle 18-29-Jährigen das Internet in Deutschland nutzen, sind es nur 32 Prozent der Menschen über 65 Jahre. Auch sind Männer um sieben Prozent häufiger online als Frauen. Insgesamt nutzen laut Bitkom drei Viertel der Deutschen das Internet, im Vergleich zu „deutlich über 90 Prozent“ in Island oder Norwegen.

„IT-Sicherheit und Datenschutz“

Auch in Sachen Datenschutz sieht die Studie den Einzelnen als wichtigsten Akteur an. Für den individuellen Datenschutz ordnen laut der Umfrage 91 Prozent der Befragten dem Individuum eine besonders wichtige Rolle zu. Immerhin noch vier Fünftel sehen auch den Staat in besonderer Verantwortung und 58 Prozent die Wirtschaft. Zudem sprechen sich drei Viertel für eine Regelung hauptsächlich auf europäischer oder internationaler Ebene aus. Vor dem Hintergrund, dass die Studie während der ersten Enthüllungen Edward Snowden durchgeführt wurde, bemerkte Rogall-Grothe, dass die Menschen „sensibler“ geworden seien. Demnach, so die Staatssekretärin, sei das „Vertrauen in die Sicherheit und den Schutz unserer Daten“ eine „unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg der Digitalisierung“.
Ob es dem IT-Planungsrat gelingt, mit der Veröffentlichung der Studie einen Impuls in Richtung der verhandelnden SPD und CDU/CSU zu senden, bleibt offen. Zumindest im Ausbau der digitalen Infrastruktur scheinen sich die Koalitionäre bereits einig zu sein. Vielleicht kann der IT-Planungsrat, der seit 2010 beim Innenministerium (BMI) angesiedelt ist, sogar seine Position als zentrales Fachgremium für die föderale Zusammenarbeit in der Informationstechnik stärken. Denn, so auch ein Ergebnis der Studie, nur gut die Hälfte der Befragten gibt an, über dessen Zweck und Aufgaben Bescheid zu wissen.


 
Bild: Julia Wolf (CC BY-NC-SA 2.0)
Text:
Buch-Cover von Marina Weisband